Der 13-jährige Timmy, schmal, mit dunklen Augen und Stoppelfrisur, trägt ein ordentliches dunkelblaues T-Shirt und Jeans. Wer ihn trifft, kann sich vielleicht vorstellen, dass er am Wochenende seiner Tante das Auto wäscht, um sein Taschengeld aufzubessern. Dass er aber ein notorischer Schulschwänzer war, einer den die Polizei regelmäßig aufgriff, einer, mit dem seine Mutter einfach nicht mehr fertig wurde, das denkt man kaum.
Timmy hat bereits seit eineinhalb Jahren einen Platz im PTI, dem Pädagogisch-Therapeutischen Intensivbereich (PTI) für besonders schwierige Kinder in Rummelsberg, einem Ortsteil von Schwarzenbruck im Landkreis Nürnberger Land. Er ist hier an einem Ort für elf- bis 15-jährige Jugendliche untergebracht - Jugendliche, an denen alle anderen Jugendhilfemaßnahmen zuvor gescheitert waren. Im Höchstfall können hier 24 Jungs mit ihren Betreuern leben. In einer Anschlussgruppe sind noch einmal sieben Plätze.
Geschlossene Einrichtung für Strassenkinder und schwierige Jugendliche
Ende August zieht sie aus dem alten Haus samt Innenhof mit dem Charme eben dieser 1970er Jahre in einen generalsanierten Bau. Timmy schläft dann endlich in seinem neuen, viel größeren Zimmer. Er hat mehr Platz im Schrank und ein Waschbecken. Zusammen mit einem Jungen im Nachbarzimmer teilt er sich ein Bad. Aus seinen absperrbaren Fenstern schaut er auf einen vier Meter hohen grau-grünen Metallzaun, davor liegt die neue "Dirtbike-Strecke", ein Fußballplatz und demnächst eine Werkhalle.
Der Zaun ist besonders dicht, damit keine Drogen oder Alkohol hineingeschmuggelt werden. Einrichtungsleiter Reinhard März sagt: "Wir sind kein Ersatz für Strafvollzug, aber wir arbeiten fluchthemmend." Unbedingt muss ein Familiengericht nach Paragraf 163 1b des Bürgerlichen Gesetzbuchs einen Beschluss gefasst haben, dass ein Junge hier im geschlossenen Bereich untergebracht wird.
Der Umbau der Gebäude für den PTI ist teuer geworden, voraussichtliche vier Millionen Euro werden es am Ende sein.
Der hohe Betrag liegt unter anderem daran, dass elektronische, zum Teil computergesteuerte Notfall- und Sicherheitssysteme eingebaut wurden. Die Mitarbeitenden bekommen es über ein Computersystem mit, wenn ein oder mehrere Jugendliche in der Nacht ihre Zimmer verlassen. Spiegel, Steckdosen, Tische oder Badezimmer-Interieur sind schwer zerstörbar, zeigt März bei einem Rundgang. Er führt die Besucher auch in den mit Schaumstoff-Matratzen ausgekleideten Timeout-Raum. Eine Maßnahme, die "ein letztes Mittel" sei, erklärt März, um den Betroffenen selbst oder andere kurze Zeit zu schützen, wenn er gegen sich oder anderes besonders aggressiv ist.
Jugendhilfeeinrichtung in Rummelsberg
Schon vor dem Umzug hat Olli in diesen Tagen schweren Herzens die Jugendhilfeeinrichtung verlassen. Drei Jahre und drei Monate hat er hier gelebt, berichtet er. Jetzt macht er eine Lehre zum Kraftfahrzeugmechatroniker, berichtet er. Der 14-Jährige, der eine drogenabhängige Mutter hat und seinen Vater nicht kennt, erzählt ein bisschen großspurig, warum er in einer der Wohngruppen gelandet ist: "Ich habe alle Drogen ausprobiert, die es gibt". Kleine Diebstähle, Betteln, das Leben auf der Straße, falsche Absichten von Erwachsenen, all das hat er kennengelernt.
Über die Jungen sagt Einrichtungsleiter März: "Sie sind oft so geworden wie sie sind, weil sie zu oft enttäuscht worden sind".
Einige mussten die psychischen Erkrankungen der Eltern erleben oder sehen, wie der Vater ins Gefängnis ging, sie sind chronisch vernachlässigt oder verprügelt worden. Oder sie haben sich "falschen Freunden" angeschlossen.
März betont, dass man den Jungen gegenüber einen "wertschätzenden Umgang" pflege. Die Erzieher würden ihre Aufgabe darin sehen, "gebrochene Seelen" zu heilen. "Wir wollen ihnen verlässliche Partner sein, das haben sie meist noch nie erlebt". Oft könnten die Jungen erstmals erreicht werden.
Im PTI bekommen sie eine letzte Chance. Sie können die hauseigene Schule besuchen, sie üben in der Hausgemeinschaft wieder simple Alltagsrituale wie Zähneputzen und feste Essenszeiten ein, werden zum Sport motiviert. Boxen, Klettern, Fahrradfahren oder Basketball werden zum Beispiel angeboten.
In den Wohngruppen, wo sie zu sechst leben, wird um 6.30 Uhr geweckt und 30 Minuten später gefrühstückt. "Und wenn wir sieben Uhr sagen, meinen wir punkt sieben Uhr", sagt März. "Ein klares Regelwerk und überschaubare Strukturen" bestimmen den Tag. Das soll den Jungen Orientierung geben, sagt März. Schule, Hausarbeiten, Therapie, Freizeitgruppen haben ihren festen Takt. In der Eingewöhnungsphase bekommen sie allein keinen Ausgang. Je nach Entwicklung und Dauer der Maßnahme kommen Gruppenausflüge, begleiteter oder unbegleiteter Ausgang hinzu.
Rummelsberger Dienste: Heimfahrten am Wochenende gehören zum Konzept
Ein völlig anderes Verständnis als vor 20 oder 30 Jahren habe man heute von der Hilfe in diesem Intensivbereich, sagt der Regionalleiter der Rummelsberger Dienste für junge Menschen, Thomas Bärthlein. Heute gibt es für jeden Bewohner einen individuellen Hilfeplan, Jugendamt, Erziehungsberechtigte oder Fachdienste würden in die Entwicklung der Kinder und Jugendlichen intensiv mit einbezogen. Da fährt dann schon mal eine Erzieherin ein paar hundert Kilometer, besucht eine Mutter und spricht mit ihr über ihren Sohn, erzählt März.
Olli hat die Zeit im PTI geholfen, Timmy ist auf einem guten Weg. Aber die Mitarbeitenden in der Rummelsberger PTI müssen auch immer wieder Enttäuschungen verarbeiten. Erlebnispädagoge Maximilian Singldinger versuchte etwa zu einem der Jugendlichen bei einer mehrtägigen Bergtour ein Vertrauen aufzubauen. Sein gutes Gefühl aber trog ihn. Zurück in Rummelsberg, suchte der junge Mann das Weite und tauchte unter. Auch Timmy erzählt, dass er kürzlich "Stress" hatte, weil er den Besuch bei der Familie in München benutzte, um sich wieder einmal am Bahnhof rumzutreiben. Die Polizei brachte ihn nach Rummelsberg zurück. "Wir sind kein Erfolgsgarant", sagt Bärthlein. Aber Timmy sagt: "Die helfen dir, wenn du in einer Scheiß-Situation steckst".