Immer wenn Dani Mire seine Reisegruppen durch Jerusalem führt, geht er mit ihnen auf den weltberühmten Friedhof auf dem Ölberg. Und manchen zeigt er dort seit kurzem einen sehr persönlichen Ort: "Dann gehe ich mit ihnen zu dem Grab meiner Großmutter Ida Ilse Pappenheimer und erzähle ihre Geschichte." Es ist keine einfache Geschichte. Vor etwa 100 Jahren waren die Pappenheimer noch angesehene und wohlhabende Bürger der Stadt Aalen im Osten Baden-Württembergs. Dort besaßen sie ein Bekleidungsgeschäft. Doch ab 1933 wurden sie - wie so viele deutsche Juden - zunehmend verfolgt und ausgegrenzt. Das alles erreichte am 9. November 1938 mit der Reichspogromnacht seinen Höhepunkt - an einem Tag, der für die Familie eigentlich ein Festtag werden sollte:

"Die jüdische Bar Mizwa meines Onkels Siegfried sollte in der Kristallnacht sein."

Mehr muss Dani Mire dazu nicht sagen. Statt miteinander zu feiern, wurden Danis Großvater und dessen Vater ins Konzentrationslager nach Dachau gebracht. Großmutter Ida Ilse Pappenheimer wusste, dass sie schnell handeln muss: Sie besorgte sogenannte "Palästina Zertifikate", das waren Ausreise-Dokumente, für die Juden ein Vermögen bezahlen mussten. Mithilfe der Papiere holte Ida Ilse die beiden Männer aus dem Konzentrationslager. In der ersten Hälfte des Jahres 1939 konnten die Großeltern schließlich mit Danis Mutter Ruth ins damalige Palästina auswandern. Onkel Siegfried, der Bruder der Mutter, kam später nach. Ihr Haus und das Bekleidungsgeschäft in Aalen hatten die Pappenheimers auf Druck der Nationalsozialisten weit unter Wert verkaufen müssen.

All diese Details der Familiengeschichte und über wie viele Umwege die Pappenheimer im August 1939 nach Haifa kamen, erfuhr Dani Mire erst im Laufe des vergangenen Jahres - und zwar von Werner Dombacher aus Aalen. Für die Stolperstein-Initiative der Stadt recherchierte der die Familiengeschichte. Im Juli 2018 schrieb Dombacher eine Mail an Dani, dass die Stadt Aalen gerne Stolpersteine für seine Familie verlegen würde. Wie das Ehepaar Dombacher Dani Mire in Israel ausfindig gemacht hatte, ist eine ganz eigene Geschichte von ausgiebigen Internetrecherchen und auch ein bisschen Zufall: "Es ist ein extremes Glück, dass Dani Mire Reiseleiter ist und Deutsch kann", so Annedore Dombacher, eine Expertin in Sachen Familienforschung. Sie und ihr Mann kennen durch ihre Nachforschungen Danis Familiengeschichte beinahe so gut wie er selbst.

Im Juli 2019 wurden vor dem ehemaligen Bekleidungsgeschäft der Familie vier Stolpersteine verlegt: für Großvater Heinz, Großmutter Ida llse, Danis Mutter Ruth und Onkel Siegfried. Die kleinen Gedenktafeln setzt seit 1992 der Künstler Günter Demnig, um der Menschen zu gedenken, die während des Nationalsozialismus verfolgt wurden. Inzwischen erinnern bundesweit mehr als 70.000 Stolpersteine an sie. Einer kostet 120 Euro. Die zum Andenken der Familie Pappenheimer finanzierten die Stadt sowie diverse Aalener Institutionen, Geschäfte und auch Privatleute durch ihre Spenden.

Dani und seine Frau Lea reisten eigens zum Festakt der Stolpersteinlegung aus Israel an. Als sie vor dem ehemaligen Geschäftshaus des Großvaters standen, war es für Dani schon ein komisches Gefühl, sagte er: "Die Geschichten, die ich zuhause gehört habe, sind wirklich geworden."

Familie Pappenheimer fiel es zunächst schwer, sich in Israel einzuleben.

Für die Familie aus dem schwäbischen Aalen war es damals nicht leicht, in dem kleinen Land im Nahen Osten Fuß zu fassen. Großmutter Ida Ilse starb schon 1945. Ihr Mann Heinz hatte laut der Recherchen von Werner Dombacher in den Wiedergutmachungs-Akten geschrieben, dass "das Leid, das wir erfahren haben, vermutlich dazu beigetragen hat, dass sie so früh an Krebs gestorben ist".

Großvater Heinz konnte sich nicht an das Klima und die Gesellschaft in Israel gewöhnen und auch nicht an die hebräische Sprache. Die Familie und alle ihre Freunde sprachen weiterhin Deutsch, was für den ältesten Enkel Dani ein paar Schwierigkeiten mit sich brachte. Aus Erzählungen seiner Mutter weiß er, dass sie ihn als Dreijährigen in den Kindergarten brachte, "und nach paar Stunden rief die Kindergärtnerin an und sagte: Sie müssen Ihren Sohn wieder nach Hause holen und ihm Hebräisch beibringen. Er versteht die anderen Kinder nicht." Erst später profitierte Dani davon, dass er fließend Deutsch gelernt hatte. Und letztendlich war das auch ein Grund, warum er Reiseleiter wurde.

Bei der Verlegung der Stolpersteine für die Familie Pappenheimer in Aalen
Dani Mire bei der Verlegung der Stolpersteine für die Familie Pappenheimer in Aalen
Dani Mire in seiner Heimatstadt Haifa
Dani Mire in seiner Heimatstadt Haifa
Dani Mire auf dem Berg Arbel mit einer Gruppe der Sonntagsblatt - Leserreisen
Dani Mire auf dem Berg Arbel in der Nähe des See Genezareth auf einer Reise mit einer Gruppe der Sonntagsblatt - Leserreisen. Im Hintergrund die Golanhöhen.
Dani Mire vor dem Grab seiner Großmutter in Jerusalem
Dani Mire vor dem Grab seiner Großmutter Ida Ilse Pappenheimer auf dem Friedhof auf dem Ölberg in Jerusalem
Werner und Annedore Dombacher
Werner und Annedore Dombacher recherchierten die Geschichte der Pappenheimers aus Aalen.
Gunter Demnig verlegt Stolperstein
Gunter Demnig verlegt die Stolpersteine in der Bahnhofstraße in Aalen
Stolpersteine für die Familie Pappenheimer
Die Stolpersteine für die Familie Pappenheimer in der Bahnhofstraße in Aalen
Mit Frau Lea auf dem jüdische Friedhof in Bopfingen-Oberdorf
Dani Mire mit seiner Frau Lea auf dem jüdischen Friedhof in Bopfingen-Oberdorf vor einem Grab der Pappenheimer - Vorfahren.
historische Fotos der Familie Pappenheimer
historische Fotos der Familie Pappenheimer
Dani Mire mit Enkeltochter
Dani Mire mit seiner einjährigen Enkeltochter in Israel
Dani Mires Tochter mit Familie
Dani Mires Tochter mit der Familie beim jüdischen Shavuot-Fest in Israel

Nachdem der junge Israeli seinen Armeedienst abgeleistet und im Jom Kippur Krieg gekämpft hatte, studierte er Elektotechnik an der Universität von Haifa, seiner Geburtsstadt. Dort lernte er auch seine Frau Lea kennen und zog mit ihr auf den Hof ihrer Eltern in eine landwirtschaftliche Siedlung nahe des See Genezareth. In dem genossenschaftlich organisierten "Moschav" kümmerte er sich um die Zitrusfrüchte–Plantagen.

Landwirt und Reiseleiter

Im selben Dorf wohnte damals der Landrat der Region Untergaliläa, die eine Partnerschaft mit der Stadt Hannover hatte. Als eines Tages eine deustche Gruppe Schüler kam und der für die Partnerschaft Zuständige sich krank meldete, bat der Landrat Dani, die Jugendlichen zu übernehmen, weil er Deutsch konnte. Und so kam Dani zu seiner ersten Führung: "Ich konnte zwar die Sprache, aber sonst wusste ich nichts. Ich habe mich geschämt, die wussten mehr über Israel als ich."

Heute lachte er darüber, denn es hatte ihm trotzdem so viel Spaß gemacht, dass er daraufhin zwei Jahre lang die Ausbildung zum Reiseleiter machte: "Ich mache das jetzt seit mehr als 25 Jahren und es macht mir immer noch Spaß!" Immer wieder stellt Dani fest, dass die Reiseteilnehmer ein falsches Bild von Israel haben - seiner Meinung nach hauptsächlich aus den Medien. Darum freut er sich umso mehr, ihnen die Schönheit und Vielfalt des Landes zeigen zu können, die archäologischen Kostbarkeiten, unterschiedlichen Menschen, Kulturen und religiösen Sehenswürdigkeiten. Und am Ende der Reise sind sie dann oft sehr begeistert: "Sie sind dann die besten Botschafter für Israel in Deutschland".

Israeli mit Herz und Seele und einer "guten deutschen Erziehung"

Seine Lieblingsorte sind Haifa und Jerusalem: "Ich kann als Reiseleiter stundenlang durch Jerusalem gehen und erzählen und manchmal frage ich mich, ob sich die Leute überhaupt noch erinnern, was am Anfang des Tages geschehen war." Und obwohl er mit ganzem Herzen Israeli ist, ist Dani auch ein bisschen stolz auf seine "gute deutsche Erziehung". Die will er auch an seine drei Enkel weitergeben. Mit der kleinsten Enkelin, die gerade ein Jahr alt ist, wird er Deutsch sprechen. Denn außer ihm beherrscht keiner der Pappenheimer Nachkommen mehr die Sprache der Großmutter. Der Großmutter, die dafür gesorgt hat, dass der Stammbaum Pappenheimer–Mire weitergeht. Der Großmutter, die dafür jetzt mit einem Stolperstein in ihrer alten Heimat gewürdigt wurde.