Trainspotter David Bieler hat sie schon ein paarmal gesehen, die Kirchentagslok. Weil er auch Lokführer ist und dummerweise immer gerade dann im Dienst war, konnte er sie aber bisher nicht fotografieren. Doch genau darum geht es beim "Trainspotting".
Eigentlich ist die Kirchentagslok eine ziemlich gewöhnliche Elektrolokomotive. Die weit verbreitete Baureihe 101 zieht vor allem Intercity- und Eurocityzüge. Aber die Beklebung macht den Unterschied – jedenfalls für Zugjäger wie Bieler. Bis vor kurzem hingen an der Kirchentagslok 101-060 meistens Güterwaggons, und die sind oft nachts unterwegs. Doch mittlerweile fährt die Lok auch im Personenverkehr. Auf jeden Fall ist sie eine begehrtere Beute für Trainspotter.
Trainspotting ist ein Hobby, bei dem die Liebe zu Lokomotiven zusammengeht mit Fotografie. Die Motivation ist aber durchaus unterschiedlich. Manche legen Alben mit allen Bildern der Loks an, die sie jemals vor die Kamera bekommen haben. Andere sammeln nur eine besondere Serie wie die BR 101 oder Sonderbeklebungen wie die Kirchentagslok. David Bieler möchte die Gegenwart dokumentieren, um in der Zukunft zeigen zu können, wie schön die Loks heute sind.
Ziel ist das "perfekte" Foto
Bieler ist in Coburg aufgewachsen, ganz in der Nähe vom Bahnhof. Das habe seine Leidenschaft für Züge geweckt, erzählt Bieler. Für ihn sei es ein logischer Schritt gewesen, Lokführer zu werden. Seit 2007 fährt er nicht nur mit den Loks, er fotografiert sie auch in seiner Freizeit. Für das perfekte Foto muss das Wetter passen und die Sonne richtig stehen. David Bieler findet diejenigen Bilder am schönsten, auf denen im Hintergrund ein Dorf mit Kirchturm zu sehen ist. "Das setzt einen schönen Rahmen", sagt er. Und dann muss "nur noch" der richtige Zug mit einer möglichst seltenen Lok kommen, die er inklusive Triebwerk mit seiner Kamera in freier Fahrt auf ein scharfes Foto bannt.
Jeder Trainspotter hat seine speziellen Plätze, wo er auf dieses perfekte Bild wartet. Die Informationen, welche Züge wann und wohin fahren, sind dank Internet und Social Media mittlerweile recht leicht zu bekommen. Früher war das schwieriger. "Da wurden spezielle Listen in Fachzeitschriften veröffentlicht. Aber die haben oft nicht gestimmt, weil ja immer was dazwischen kommen konnte", erinnert sich Bieler. Heute sind die Trainspotter in ganz Deutschland vernetzt. Auf speziellen WhatsApp-Gruppen informieren sie sich über "Sichtungen".
So auch während des Sonntagsblatt-Interviews: Auf David Bielers Handy ploppt die Nachricht auf, dass am Münchner Hauptbahnhof, Gleis 26 in wenigen Minuten eine ganz besondere Rarität einfahren wird: eine "218er Doppeltraktion in der Lackierung ozeanblau-beige". Von diesen Loks gibt es deutschlandweit noch vier, und nur eine wird im Personenverkehr eingesetzt. Als Profi weiß er, dass der perfekte Ort für ein Foto ganz am Ende von Gleis 23 ist. Hier ragt der Bahnsteig so weit aus dem Münchner Bahnhofsgebäude heraus, dass man den einfahrenden Zug noch in freier Fahrt erwischen kann. "Hier steht der Zug noch nicht am Bahnsteig, der das Fahrwerk verdecken würde", erklärt Bieler, und das Fahrwerk sei ein ganz wichtiger Bestandteil des perfekten Fotos.
Die Kirchentagslok 101-060 ist in ganz Deutschland unterwegs. "Echte Fans von Sonderbeklebungen jagen solchen Zügen durch ganz Deutschland hinterher, um sie vor die Kamera zu kriegen", weiß Bahnfan Bieler. Um ihrer Funktion als rollende Botschafterin für den Deutschen Evangelischen Kirchentag 2019 in Dortmund gerecht werden zu können, sollte sie also auch bald im Personenverkehr eingesetzt werden.