Er hat den deutschen Film verändert wie nur wenige andere: Rainer Werner Fassbinder (1945-1982) gehört unbestritten zu den wichtigsten Regisseuren des Neuen Deutschen Films, der in den 60er und 70er Jahren das Kino erneuerte. Sein Arbeitstempo war unglaublich: Er schuf mehr als 40 abendfüllende Kino- und Fernsehfilme in nur 13 Jahren, darunter das 14-stündige Werk Berlin Alexanderplatz. Hinzu kamen Theaterinszenierungen und Hörspiele sowie Auftritte als Schauspieler bei anderen Regisseuren, etwa als Baal bei Volker Schlöndorff. Es war ein Tempo, das seinen Preis hatte.

Zehn Tage nach seinem 37. Geburtstag starb Fassbinder 1982 in München nach der Einnahme von Kokain und Schlaftabletten.

Er arbeitete gerade an der Endfassung seines letzten Films Querelle. Am 31. Mai wäre er 75 geworden. Das Deutsche Filmmuseum in Frankfurt am Main würdigt ihn aus diesem Anlass mit einem Online-Programm. Es hat im vergangenen Jahr seinen Nachlass übernommen und dafür einen eigenen Raum geschaffen, das DFF Fassbinder Center.

Geboren 1945 im bayerischen Bad Wörishofen, drehte Fassbinder mit 21 seinen ersten Kurzfilm, kam zum Münchner Action-Theater, 1969 erschien sein erster Langfilm Liebe ist kälter als der Tod. Doch was ist von Fassbinder geblieben? Gibt man seinen Namen bei Netflix ein, lautet die Antwort: null Treffer; bei Amazon Prime allerdings sind etliche Filme zu finden.

Sein Werk entstand in einer anderen Zeit unter anderen Bedingungen

Junge Filmemacher verlangten in den 60ern eine Abkehr vom Schnulzen- und Kommerzkino, der deutsche Film sollte gesellschaftlich und künstlerisch relevant werden. Soziale Fragen, psychologische Entwicklungen, Auseinandersetzung mit der NS-Zeit waren neue Themen.

Der wachsende Aufbruchs- und Veränderungswille in der ganzen Gesellschaft schuf Freiräume, nicht zuletzt beim Fernsehen, ohne das es den Neuen Deutschen Film gar nicht gegeben hätte. Eine Vielfalt von Formen wurden erprobt, durchaus mit Rückgriffen auf die Filmgeschichte, aber nicht als schlichtes Zitat, sondern als kritische Aneignung - wie etwa die Gangster in Fassbinders frühen Filmen mit ihren langen Mänteln, Hüten und Sonnenbrillen.

1972/73 schaffte er es sogar, beim WDR mit Acht Stunden sind kein Tag eine mehrteilige Fernsehserie zu platzieren, die die Form der allseits beliebten Familienserien aufnahm, in der es aber nicht zuletzt auch um Konflikte am Arbeitsplatz ging und darum, wie die Arbeiter durch gemeinschaftliches Handeln ihre Interessen durchsetzen können.

Fassbinders Blick war auf die deutsche Geschichte gerichtet

In vielen Werken wandte er sich der deutschen Geschichte zu, von der Weimarer Republik und dem aufkommenden Faschismus (Berlin Alexanderplatz und Bolwieser) über die Zeit des Nationalsozialismus (Lilli Marleen) bis hin zu den Nachkriegsjahren und dem sogenannten Wirtschaftswunder, angefangen mit dem Händler der vier Jahreszeiten (1971), Angst essen Seele auf (1974) über Die Ehe der Maria Braun (1978) und Lola (1981) bis zur Sehnsucht der Veronika Voss (1982).

Seine Hauptfiguren sind oft Frauen: Maria Braun, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg durchschlägt; die Witwe Emmi, die bei einem jüngeren Gastarbeiter Liebe und Schutz sucht; Veronika Voss, einst ein Filmstar, der keine Aufträge mehr bekommt.

Den RAF-Terrorismus reflektierte er 1979 sowohl in Die dritte Generation wie in seinem Beitrag zu dem episodischen Kollektivfilm Deutschland im Herbst.

In Deutschland im Herbst zeigt er sich schonungslos selbst vor der Kamera, im Dialog mit seiner Mutter Lilo Pempeit, die in vielen seiner Filme Rollen übernahm.

In ihrer heftigen verbalen Auseinandersetzung ist dabei auch etwas von den Umgangsformen in seinem festen Ensemble von Mitarbeitern zu spüren, die er von Anfang an um sich versammelte und die seinen Schaffensrausch erst möglich machten. Eine von ihnen war Schauspielerin Hanna Schygulla, Hauptdarstellerin in zahlreichen Filmen. Die Arbeit war geprägt von Abhängigkeitsverhältnissen, Liebesbezeugungen und Liebesentzug durch den Motor Fassbinder. Er selbst hat daraus nie ein Geheimnis gemacht.

Noch heute beeinflusst er Filmemacher

Dazu gehören der Franzose François Ozon, der mit der Adaption von Fassbinders Bühnenstück Tropfen auf heiße Steine debütierte, oder der Südkoreaner Bong Joon-ho, dessen Film Parasite in diesem Jahr den Oscar als bester Film erhielt. Mangel, Lust und Gier beeinflussen Menschen und Familien, und das ist ein gutes Thema, weshalb sich viele Regisseure damit beschäftigen, sagte Bong Joon-ho der Süddeutschen Zeitung: "Besonders toll konnte das einer aus Ihrem Land, den ich sehr bewundere, Rainer Werner Fassbinder."

Enfant Terrible hat Oskar Roehler seinen neuen Spielfilm über Fassbinder genannt, der wegen der Corona-Pandemie auf den 1. Oktober verschoben wurde. Er stellt Szenen aus Leben und Arbeit des Filmemachers nach. Im Trailer tanzt Fassbinder selbstvergessen in einer Bar, es läuft Der goldene Reiter von Joachim Witt - einen Film mit diesem Titel bereitete er zum Zeitpunkt seines Todes gerade vor.