Seit fünf Jahren lebt Marianne Lorenz in Liberia. Als Beraterin für die Jugendarbeit ist sie viel im Land unterwegs. Warum es ihr Freude bereitet, ein Jugendcamp aufzubauen und Weihnachten und Silvester dort zu verbringen, erzählt sie im Sonntagsblatt-Interview.

Marianne Lorenz, Sie sind Mitarbeiterin von Mission EineWelt und leben in Liberia. Gerade planen Sie ein Weihnachtscamp für Kinder und Jugendliche. Wie schaut Ihr Leben aus?

Lorenz: Ich bin gerade in der Hauptstadt Monrovia. Hier leben ungefähr 1,5 Millionen Einwohner, es gibt eine bunte Mischung von Hochhäusern und Einfamilienhäusern. Ich arbeite als Diakonin und Beraterin in der lutherischen Kirche in Liberia auf Landesebene und möchte die Jugendarbeit verbessern.

Wie ist die Jugendarbeit in Liberia?

Lorenz: Ich kam hierher und fand eine gut strukturierte Jugendarbeit vor. Die Jugendlichen und jungen Erwachsenen brauchen oft einfach nur ein wenig mehr Anerkennung und Akzeptanz in der Erwachsenenwelt. Gemeinsam mit dem Landesjugendamt bieten wir Trainings an für Jugendliche und Jugendleiter. Wir sind in ganz Liberia unterwegs und arbeiten Hand in Hand mit den Einrichtungen vor Ort.

Zur Aufgabe gehört es auch, Jugendcamps zu machen, richtig?

Lorenz: Ein Hauptprojekt ist es, unser Jugendcamp wieder aufzubauen. Während des Bürgerkriegs wurde das Camp mit den Gebäuden zerstört. Danach wurde es fünfzehn Jahre nicht mehr bespielt. Jetzt bauen wir das Camp wieder auf und machen dort viele Aktionen. Die Jugendlichen sagten, wir wollen unseren eigenen Ort, unsere eigene Jugendarbeit wiederhaben, uns selbst erleben, wo wir Aktionen haben und wieder hinkommen können.

Das Camp heißt "Haus des Brotes" und wurde 1912 als Missionsstation von US-amerikanischen Missionaren betreut. Diese gaben den Menschen Brot und Wasser. Mit der Zeit wurde aus dem Haus des Brotes eine Krankenstation und später eine Schule. Viele Jugendliche bekamen hier ihre schulische Ausbildung und eine berufliche Ausbildung, die oft über das ganze Land hinweg bekannt war.

Nach dem Krieg waren nur zwei Gebäude übrig geblieben. Viele Grundmauern standen noch. Und jetzt bauen wir eben diese Häuser wieder auf. Jetzt stehen hier fünf Häuser und zwei moderne Toiletten sowie Gemeinschaftsräume, und wir wollen hier Weihnachten feiern.

Wie wird denn Weihnachten gefeiert?

Lorenz: In unserem Jugendheim kommen Jugendliche, Kinder und Jugendliche von 4 bis 30 für acht Tage zu einer Bibelfreizeit zusammen. Wir bieten viele verschiedene kreative Workshops, es gibt Zeichenkurse oder Legostein-Kurse. Wir spielen Basketball, Volleyball und Fußball. Es sind einfach acht Tage, die wunderbar sind für die Kinder und Jugendlichen. Sie lernen, auf sich selbst aufzupassen. Wo sind meine Klamotten? Wie wasche ich mich, wenn Mama oder Papa da sind? Glücklicherweise sind die Corona-Zahlen sehr gering, offiziell haben wir 14 Fälle im Land. Das heißt, wir können derzeit relativ gefahrlos Jugendarbeit machen. Natürlich tragen wir Masken und halten Abstand.

Und wie wird Heilig Abend gefeiert?

Lorenz: Den Weihnachtsabend feiern wir mit den Eltern. Die Kinder kommen danach zu uns. Besonders ist die Nacht vom 31. Dezember. Der Jahreswechsel wird mit einem besonderen Essen gefeiert, einem Pfannkuchen. Es gibt Reis mit verschiedenen Suppen. Dann gibt es einen Gottesdienst gegen 23 Uhr mit vielen Gesängen, Liedern und Gebeten. Und kurz vor Mitternacht werden die Kerzen angezündet und es tritt eine Stille ein, bis dann das neue Jahr beginnt und mit Freude begrüßt wird. Dann wird getanzt und gesungen.

Wie erleben Sie den lutherischen Glauben in Liberia?

Lorenz: Dieses "Hier stehe ich, ich kann nicht anders" ist etwas ganz, ganz Wichtiges hier in der Kirche. Das hat die lutherische Kirche gelehrt und das wird gefeiert. Und dieses Peacebuilding, also die Friedensarbeit während des Krieges und nach dem Krieg.

Zu sagen, hey Leute, wir können nicht die ganze Zeit kämpfen und uns die Köpfe einschlagen, wir sind Brüder und Schwestern, wir müssen anders miteinander umgehen. Dazu gehört zu sagen, dass wir alle von Gott geschaffen sind und gut wie wir sind.

Und wir müssen lernen, miteinander umzugehen. Die Kirche ist hoch geschätzt für ihr Bemühen um Frieden, um ein Miteinander und um Konsens. In Deutschland versuchen wir meistens, einen Kompromiss zu finden. Hier ist die Kirche mehr auf Konsens aufgebaut. Es ist manchmal echt frustrierend und langwierig, wirklich etwas zu finden, wo jeder sich wieder findet. Erst muss der kleinste gemeinsame Nenner gefunden werden, und von dort aus wird gesagt, wie können wir jetzt die Situation lösen?

Wo sehen Sie denn die größten Hürden für Kinder und Jugendliche in Liberia?

Lorenz: Das Wichtigste für die Jugendlichen ist es, anerkannt zu werden, eine Aufgabe zu haben und eine schulische Ausbildung zu bekommen. Viele Kinder und Jugendliche können hier in die Schule gehen, aber das ist definitiv eine Frage des Geldes - denn jede Schule hier kostet Geld.

Natürlich spüren wir immer noch die Nachwirkungen des Krieges. Liberia ist jetzt ein friedliches Land und man kann hier leben, wohnen und das Leben genießen. Was bleibt ist die Erinnerung der älteren Menschen an die Kindersoldaten. Die sagen oft, dass Jugendliche nichts wert sind oder wollen ihnen nichts anvertrauen. Deswegen ist es so wichtig, den Jugendlichen einen Ort zu bieten, an dem sie sich selber erfahren und zeigen können, was sie in sich haben.

Kennen Sie ehemalige Kindersoldaten?

Das kann ich nicht so genau sagen. Im Land ist schon viel Aufarbeitung geschehen. Ich habe viel Kontakt mit den Kindern, die während des Krieges geboren wurden. Die sind jetzt zwischen 18 und 30 Jahre alt und müssen lernen, den Tag zu schätzen und immer wieder aufzustehen, auch wenn es mal nicht funktioniert. Aber das mache ich auch nicht anders.

Wie präsent ist das Thema sexuelle Gewalt in der Jugendarbeit?

Lorenz: Sexueller Missbrauch ist auch hier ein großes Thema. Bei Kindern und Jugendlichen, aber auch jungen oder älteren Frauen. Da laufen verschiedene Kampagnen, die Aufklärungsarbeit leisten wollen. Wir sind auch dabei und laufen beispielsweise mit bei einer friedlichen Demonstration, wo es um dieses Thema geht. Wir bieten in der Kirche einen Workshop an mit Gebet, weil wir auch hier ein Zeichen setzen wollen.

Wie erleben Sie den Umgang der Kirche mit Korruption?

Lorenz: Die Korruption im Staat ist groß: Leider gibt es mit der neuen Regierung wieder mehr Korruption als früher. Auch in der Kirche ist das ein Thema.

Wir müssen genau hinschauen, wo laufen die Gelder hin, wie werden sie verwendet? Aber das sind viele Sachen schon in Gang gekommen.

Wie sehen Sie die globalen Partnerschaften der lutherischen Kirche, spüren Sie etwas davon in Liberia?

Lorenz: Ich bin durch die Mitarbeiter von Mission eine Welt mit unterschiedlichen Kirchen vernetzt. Es gibt Verbindungen nach Nigeria und Tansania. Und dann gibt es die direkte Partnerschaft zwischen dem Dekanat in Bayern und der lutherischen Kirche hier vor Ort. Das hat einen großen Stellenwert. Die afrikanischen Partner können nicht nur von uns lernen, sondern auch wir können von ihnen lernen. Und das ist das Schönste, dieser Austausch. Es geht nicht so um das Finanzielle. Der Fokus sollte mehr auf dem Miteinander und dem voneinander lernen liegen.

Was ist für Sie typisch evangelisch?

Lorenz: Für etwas eintreten. Für die Rechte der Menschen eintreten. Deutlich aufzutreten und zu sagen, was wichtig ist oder wie etwas nicht laufen sollte. Das habe ich hier gelernt. Und jeden Tag zu genießen, den Gott uns geschenkt hat, weil wir nicht wissen, wie der nächste Tag wird. Das ist die größte Lektion, die ich hier in Liberia gelernt habe.
 

Marianne Schuster ist für Mission EineWelt in Liberia

Marianne Schuster ist vor fünf Jahren nach Liberia gekommen. Schuster hat Fremdsprachensekretärin gelernt, war als Au Pair in den Staaten und engagierte sich früh für Jugendarbeit mit Theaterprojekten. Nach einer Ausbildung als Diakonin in Rummelsberg hat sich Schuster als Jugendberaterin für die Stelle in Liberia beworben. Sie lebt mit ihrem nigerianischen Mann und ihrem Sohn in Monrovia. Ihr Vertrag mit Mission EineWelt läuft bis Ende 2023.

Kinder und Jugendliche in Liberia
Kinder und Jugendliche in Liberia
Das Jugendcamp in Liberia
Das Jugendcamp in Liberia.
Das Jugendcamp in Liberia
Das Jugendcamp in Liberia
Das Jugendcamp in Liberia
Mitarbeiter des Jugendcamps von Mission EineWelt in Liberia, links unten steht Marianne Lorenz.

Lutherische Kirche in Liberia

Die Lutherische Kirche in Liberia (Lutheran Church in Liberia, LCL) besteht aus acht Dekanaten. Die Kirche gehört zum Lutherischen Weltbund und unterhält partnerschaftliche Beziehungen zur Evangelisch-Lutherischen Kirche in Amerika, der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, der Lutherischen Kirche von Schweden und der Dänischen Evangelischen Mission.

Das Centrum Mission EineWelt in Bayern unterstützt die Partnerkirche in Liberia beim Wiederaufbau von Institutionen und Gemeinden, damit die in die Dörfer Zurückgekehrten eine geistliche Heimat finden. Zusätzlich werden medizinische Aufklärungsprogramme gefördert. Neben finanziellen Mitteln für Projekte, gibt es auch eine personelle Unterstützung vor Ort.  Mehr über die internationalen Beziehungen gibt es auf dieser Seite von Mission EineWelt.