Die evangelische Kirche hat 1995 den Buß- und Bettag geopfert, damit der Arbeitgeberanteil an der neu geschaffenen sozialen Pflegeversicherung ausgeglichen werden konnte.

Der gesellschaftliche Druck sei damals sehr groß gewesen, erinnert sich Hessen-Nassaus Kirchenpräsident Volker Jung. Viele Jahre sei über die Versicherung diskutiert worden, auch die evangelische Kirche habe in Anbetracht von mehr als 1,7 Millionen Pflegedürftigen darauf gedrängt.

Kritik an der Abschaffung des Feiertages

Umso schwieriger sei es gewesen, "nein" zu sagen, als der Bußtag zur Gegenfinanzierung vorgeschlagen worden sei.

Da der evangelische Feiertag "damals eine eher geringe Bedeutung hatte, wurde an dieser Stelle aus heutiger Sicht nicht energisch genug Widerstand geleistet", sagt Jung selbstkritisch. "Das haben im Nachhinein viele bedauert."

Die kirchliche Basis hatte ein feines Gespür für die Zwickmühle, in der sich die Leitenden Geistlichen und Synoden befanden, und tat deren Stellungnahmen und Appelle zumeist als Lippenbekenntnisse ab.

Die Einwände seien zu spät und zu halbherzig vorgetragen worden, lautete die Kritik.

Kampagnen gegen die Abschaffung des Buß- und Bettages

Dynamik entfaltete der Widerstand gegen die Abschaffung des Buß- und Bettages erst dadurch, dass engagierte Protestanten in den Bundesländern Hessen, Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein Volksbegehren anstrengten und der Freistaat Bayern eine Gesetzesinitiative zur Wiedereinführung des Feiertages in den Bundesrat einbrachte.

Das Sammeln Hunderttausender Unterschriften für den Bußtag wurde von zahlreichen fantasievollen Aktionen begleitet. So initiierten die kurhessische und die nordelbische Kirche Plakat- und Anzeigenkampagnen und schickten Infobusse über Land.

Die bremische Kirche verschenkte "Atempausen". Die rheinische Kirche hob eine Aktion "Senfkörner" aus der Taufe, die symbolisch vor den Gefahren einer "Rund-um-die-Uhr-Gesellschaft" warnen sollte, und einige fränkische Dörfer verschworen sich zur Feiertagsruhe und machten am Bußtag ihre Läden und Werkstätten dicht.

Die hessische Initiative ging von der Sekretärin Gertrud Fritz aus. Sie sei sowohl mit dem hessischen Ministerpräsidenten Hans Eichel (SPD) als auch mit den beiden Leitenden Geistlichen der hessen-nassauischen und kurhessischen Kirche, Peter Steinacker und Christian Zippert, zusammengetroffen, erinnert sich die 69-Jährige aus Lollar bei Gießen.

Doch sowohl die Politiker als auch die Kirchenvertreter hätten sich sehr "bedeckt" gezeigt und die Erfolgsaussichten als gering eingeschätzt.

Das Scheitern auf dem Weg zum Volksbegehren

In der Tat scheiterten Fritz und ihre Mitstreiter an der hohen Hürde von 128.251 Unterschriften, die für die Anstrengung eines Volksbegehrens in Hessen erforderlich gewesen wären.

Sie konnten dem Landeswahlleiter lediglich 122.000 Signaturen vorlegen, von denen aber nur knapp 113.000 gültig waren. "Die Hürde war einfach zu hoch", sagt Fritz.

Auch die bayerische Bundesratsinitiative (1997) und die Volksbegehren in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen sowie der Volksentscheid in Schleswig-Holstein (alle 1998) rissen die hohe Unterschriften-Messlatte. 

Zunächst herrschte Katerstimmung, die jedoch bald einem kämpferischen "Nicht-noch-einmal" wich. Die Kirche werde sich künftigen Begehrlichkeiten der Politiker vehementer zur Wehr setzen, kündigte etwa der damalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Manfred Kock, an.

Aktionen zum Feiertag

Ganz umsonst war der Bürgerprotest allerdings nicht. Von ihm gingen nicht nur Impulse für eine direktere demokratische Teilhabe aus, auch der Feiertag selbst profitierte davon.

Bereits seit 1996 macht die kurhessische Kirche mit besonderen Bußtags-Kampagnen zu Themen wie "Wann lebst Du?" (2013), oder "Heute einen Krieg beenden (2018)" auf den Tag aufmerksam. In diesem Jahr heißt das Thema "Zukunft OFFen". Sie rückt die Frage ins Zentrum "Wo sehe ich die Zukunft offen - und wo fürchte ich das OFF".

Seit einigen Jahren beteiligen sich auch die bayerische, die pfälzische und die hessen-nassauische Landeskirche an den Aktionen.

"Tag der Besinnung"

Der Tag sei in den vergangenen Jahren vielerorts "bewusster und wertschätzender" begangen worden als zuvor, haben auch Fritz und Jung beobachtet.

Ein Tag der Besinnung, der in besonderer Weise auch gesellschaftliche Entwicklungen in den Blick nehme, sei wichtig, hebt der Kirchenpräsident hervor. "Deshalb bin ich froh, dass Gemeinden am Buß- und Bettag festhalten."

Übrigens hat das Bußtagsopfer die Finanzierung der Pflegeversicherung nicht auf Dauer gesichert. Nach anfänglichen Überschüssen glitt sie bereits 1999 in die roten Zahlen ab.

Trotz mehrmaliger Erhöhung der Beitragssätze schloss sie das Jahr 2018 mit einem Defizit von 3,5 Milliarden Euro ab. 

Der Buß- und Bettag

Der Buß- und Bettag ist ein evangelischer Feiertag. Er gehört zu den sogenannten beweglichen Feiertagen und findet jedes Jahr am ersten Mittwoch nach dem Volkstrauertag statt, in diesem Jahr am 18. November.  In Bayern haben Kinder schulfrei, so dass viele Eltern einen Urlaubstag nehmen müssen.

Der Tag ist ein Tag der Umkehr, der Neuorientierung und dient auch dem Nachdenken über gesellschaftliche Irrtümer wie Ausländerfeindlichkeit, Umweltzerstörung und soziale Ausgrenzung. Viele Gemeinden laden meist am frühen Abend zu Andachten ein, um Berufstätigen die Teilnahme zu ermöglichen. In Bayern, Baden-Württemberg, Sachsen, Sachsen-Anhalt sowie im Saarland gilt ein Tanzverbot.

Ursprünglich wurden Bußtage aus aktuellen Anlässen ausgeschrieben, wie etwa während des Dreißigjährigen Kriegs (1618-1648). Sie trugen einen öffentlichen Charakter: Die gesamte Bevölkerung wurde angesichts von Notständen und Gefahren zu Buße und Gebet aufgerufen.

Im 19. Jahrhundert verständigten sich die evangelischen Landeskirchen auf die Einführung eines allgemeinen Buß- und Bettages am Mittwoch vor dem letzten Sonntag des Kirchenjahres - dem Ewigkeitssonntag oder Totensonntag.