Nach Auffassung des Philosophen und Risikoethikers Julian Nida-Rümelin (66) müssen sich die westlichen Industrienationen stärker um eine gerechte Verteilung des Impfstoffes bemühen. "Die Pandemie ist eine globale Herausforderung, die Steuerung ihrer Bekämpfung ist daher eine Aufgabe der Weltgesellschaft", sagte Nida-Rümelin dem Evangelischen Pressedienst (epd). Nida-Rümelin war bis zu seiner Emeritierung im September 2020 Professor an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität.

Nida-Rümelin kritisiert Vorgehen der reichen Länder

Derzeit gebe es aber nur einzelne nationale Strategien. Es gelte das Prinzip, wer zuerst komme und das meiste Geld auf den Tisch lege, erhalte große Anteile des verfügbaren Impfstoffs. Die ärmeren Länder seien davon abhängig, dass andere Länder ihnen ihre Überschüsse zur Verfügung stellen. "Das ist nicht gut", sagte Nida-Rümelin.

In der Bekämpfung der Corona-Pandemie hätten laut Nida-Rümelin zwei Aspekte zusammengeführt werden können: Um die rasche und umfassende Verfügbarkeit von Impfstoffen sicherzustellen, hätte man frühzeitig unterschiedlichen Anbietern Abnahmegarantien in großem Umfang geben müssen, mit der erwartbaren Folge einer massiven Überproduktion.

"Das wäre die Chance gewesen, mit dieser Überproduktion die Länder, die sich das selbst nicht leisten können, zu versorgen", sagte der Philosoph.

Er schlug einen Verteilmechanismus für ärmere Länder vor. "Hoffentlich entsteht in den nächsten Monaten noch eine Überproduktion des Impfstoffs", so Nida-Rümelin. Das wäre die Chance, einen Verteilmechanismus zu etablieren, der den ärmeren Ländern zugutekommt. Es sei jetzt natürlich schon ein später und ungünstiger Zeitpunkt dafür, weil die Verträge mit den bekannten Impfstoffherstellern überwiegend geschlossen worden sind. Vielleicht kämen aber noch weitere Impfstoffe auf den Markt, etwa aus Indien.

Hilfsorganisationen gegen Patentrechte von Impfstoffen

Laut WHO haben 14 Prozent der Weltbevölkerung in den westlichen Industrienationen sich bislang mehr als die Hälfte des zur Verfügung stehenden Impfstoffes gesichert. Vergangene Woche hatten mehr als 20 deutsche Hilfsorganisationen gefordert, die Patente für die Impfstoffe auszusetzen, damit ärmere Länder diese günstig nachproduzieren könnten. Nida-Rümelin sagte, ähnlich wie bei teuren HIV-Medikamenten könne man Übereinkommen mit den Herstellern schließen, damit ärmere Länder teure Therapien auch anbieten könnten. "Ich glaube aber nicht, dass das schon in den kommenden Stress-Wochen kommt", sagte er.