Herr Wielgoss, Sie waren gerade erst 18 Jahre alt, als Sie eine kleine NGO zur Unterstützung peruanischer Kleinbauern gegründet haben. Wie sind Sie damals auf diese Idee gekommen?

Arno Wielgoss: Durch einen Schicksalsschlag. Ich stand kurz vor dem Abitur, mein zwei Jahre älterer Bruder reiste als Auszeit vor dem Studium ein Jahr durch Südamerika. Beim Flussbaden in kleinen Urwaldtal ist er ums Leben gekommen - die Strömung hat ihn erfasst und abgetrieben. Bis heute wurde seine Leiche nicht gefunden. Der peruanische Staat stellte meinen Eltern die Suchaktion in Rechnung, Bekannte, Freunde und Familie solidarisierten sich und spendeten. So viel, dass am Ende einiges übrigblieb. Als Vermächtnis für meinen Bruder wollten wir in diesem Tal etwas Nachhaltiges aufbauen, nachdem wir bei Besuchen dort die Armut der Menschen aus nächster Nähe gesehen haben.

Und was genau haben Sie dann gemacht?

Wielgoss: Zunächst haben wir beispielsweise Solar-Paneele installiert, etwa auf einem Gesundheitsposten, der bis dahin keinen Strom und also auch kein elektrisches Licht hatte. Wir haben aber schnell bemerkt: Es braucht mehr: Hilfe zur Selbsthilfe. Die Situation vor Ort damals war:

Die Kleinbauern dort schuften hart - und können trotzdem kaum davon leben. Sie wirtschaften schlecht und bearbeiten ihr Land absolut nicht nachhaltig. Ich habe damals noch studiert, heute bin ich promovierter Tropenökologe. Ich kenne mich mit dem Thema also aus. Es war aber gar nicht so leicht, die Menschen von meinen Ideen zu überzeugen.

Wieso war das schwierig?

Wielgoss: Die Kleinbauern in diesem peruanischen Tal - wie in vielen anderen Urwald-Regionen Südamerikas auch - sind keine Ureinwohner des Regenwaldes. Die sind in den vergangenen zehn bis 30 Jahren dorthin eingewandert, weil im Hochland kein Platz mehr für sie war: Die Bevölkerung wächst, die Gletscher schmelzen, das Ackerland ist knapp. Also gehen die Leute entweder in die Slums der großen Städte, oder eben in den Urwald. Dort wird dann brandgerodet, eine Monokultur angebaut und wenn der Boden ausgelaugt ist, zieht man weiter. Die Amazonas-Feuer, über die in diesem Jahr so viel diskutiert wurde, die kennen wir mit unserem Verein "Frederic" schon seit Jahren.

Und was genau machen Sie jetzt mit "Ihren" Landwirten anders?

Wielgoss: Wir nehmen degenerierte, ausgewaschene Böden und machen sie wieder fruchtbar. Wir pflanzen Bodendecker an, die sehr anspruchslos sind, den Boden schnell und tief durchwurzeln, sich über die Erde legen und viel Stickstoff fixieren. In etwa zwei Jahren wird so eine Ackerfläche, die sonst bis zu 100 Jahre nicht mehr genutzt werden könnte, wieder fruchtbar gemacht. Wir pflanzen in diese Bodendecker hinein Mischkulturen: Kakao, Gewürze, Kaffee, Avocados, Zitrusfrüchte, Gemüse, Ananas, Bananen und auch heimische Forstbäume.

Das klingt alles ziemlich einfach - warum ist da vorher niemand drauf gekommen?

Wielgoss: Das klingt vielleicht einfach - aber die Überzeugungsarbeit war alles andere als einfach. Man muss den Menschen ja auch erst mal beweisen, dass dieses andere Wirtschaften funktioniert. Das haben wir inzwischen.

Unsere Landwirte wirtschaften größtenteils auch Bio. Und sie fahren auf ihren rund zwei Hektar Land pro Familie mehr Erträge ein, als konventionell wirtschaftende Bauern mit mehr Fläche.

Weshalb es immer noch Kleinbauern gibt, die anders wirtschaften, kann man vielleicht so erklären: Sagen Sie einem Landwirt in Europa mal, er soll aufs Pflügen verzichten. Das wird seit Jahrhunderten gemacht - heute wissen wir, dass das kontraproduktiv für Bodenqualität und Ertrag ist.

Blick in das mitllere Urubamba-Tal (Region Cusco) im Bergregenwald Perus. Hier in der Wiege des Kakaos ist die Bauernkooperative APECM tätig, die den Kakao für das Start-up "Perú Puro" liefert
Blick in das mittlere Urubamba-Tal in der Region Cusco im Bergregenwald Perus. Hier in der Wiege des Kakaos ist die Bauernkooperative APECM tätig, die den Kakao für das Start-up "Perú Puro" liefert.

Und wie wurde aus einem entwicklungspolitischen Verein der Hersteller einer der weltbesten Schokoladen?

Wielgoss: Das ist ein bisschen dem Zufall geschuldet. Wir haben mit den Landwirten in unserer Kooperative wieder alte Kakaosorten statt der Industriezüchtungen angepflanzt - und das in Bioqualität. Mittels genetischer Untersuchung unseres Kakaos kam dann heraus, dass wir eine der ältesten Kakaosorten der Welt anbauen, wenn nicht sogar den Ur-Kakao schlechthin von dem alle anderen Sorten abstammen. Dieser Chuncho-Kakao wird nun sortenrein geerntet, frisch eingesammelt, in der Kooperativen-Zentrale fermentiert und getrocknet. So können wir eine gleichbleibende hohe Qualität der Kakaobohnen garantieren.

Sie haben zuerst aber gar keine Schokolade produziert. Wieso eigentlich nicht?

Wielgoss: Weil das gar nicht so einfach ist. Denn: Wir können von der höchsten Qualitätsstufe des Chuncho maximal fünf Tonnen anbieten, die meisten auch mittelständischen Schokoladenfirmen fangen unter 20 bis 100 Tonnen gar nicht erst mit Einkaufen an. Also mussten wir eine Firma finden, die aus unserem Kakao eine Schokolade macht - in der Schweiz sind wir dann bei einem Edelchocolatier fündig geworden, das mussten wir aber vorfinanzieren. Also haben wir eine Firma gegründet und Spenden gesammelt - 25.000 Euro hätten wir gebraucht, mehr als das Doppelte kam innerhalb von sechs Wochen zusammen.

Selbst eine Fairtrade-Schokotafel kostet mindestens 2,20 Euro, viele mehr als drei Euro - dafür bekomme ich von Ihnen keine Tafel...

Wielgoss: Nein, das sind gerade mal die Herstellungskosten. Es gibt drei Faktoren, die zum Preis einer Schokolade führen: zum einen die Qualität der Zutaten. Sobald sie etwa Sojalecithin, Butterreinfett oder Palmfett auf der Zutatenliste finden, ist es billig hergestellte Schokolade, egal wie schick sie verpackt und toll sie vermarktet wird. Zum zweiten: die faire Bezahlung der Menschen vor Ort, die den Kakao anbauen.

Der Preis für Fairtrade-Kakao liegt bei um die 2.000 US-Dollar je Tonne, wir bezahlen 4.000 Dollar - vom Fairtrade-Preis haben die meisten Bauern kein ausreichendes Einkommen.

Und drittens: In unserer Schokolade ist der Regenwaldschutz eingepreist. Bei billigen Schokoladen-Tafeln ist es so: Mit jeder Tafel beteiligt man sich an Brandrodungen und Co.

Was ist mit Nachhaltigkeitssiegeln wie UTZ?

Wielgoss: UTZ ist ein Siegel, das sich die Industrie selbst geschaffen hat. Die Standards liegen deutlich unter denen von Fairtrade und Bio, da von Nachhaltigkeit zu sprechen, das ist schon ziemlich frech. Das, was "Puro Perú" macht, ist einen Quantensprung davon entfernt. Man muss es klar sagen: Schokolade war einmal ein Luxusprodukt und sollte es wieder werden - eine nachhaltig hergestellte Tafel Schokolade muss mindestens 5,50 Euro kosten. Laut Statistik isst jeder Deutsche pro Jahr 11,2 Kilo Schokolade, das ist einfach zu viel. Ich komme nur auf vier bis fünf Kilo pro Jahr, obwohl ich aus dem Geschäftsbereich komme.

Gibt es etwas, das Sie noch besser machen könnten?

Wielgoss: Ich würde gerne die Verpackung nachhaltiger gestalten. Das ist aber nicht so einfach. Schokolade ist ein sehr sensibles Produkt. Man muss sie vor Hitze, vor Licht und Feuchtigkeit schützen.

Momentan sind die Tafeln in Alufolie eingepackt, mir wäre Bioplastik lieber - aber auch dafür braucht man Rohstoffe, die zumeist aus Monokulturen stammen. Das wäre ökologisch nicht klug. Man kann sicher noch manches besser machen, aber Schokolade wird nie ein umweltfreundliches Produkt sein. Es ist ein Luxusartikel wie Kaffee auch. Wir sollten sie bewusster genießen.