Jesus war kein Kostverächter. Das hat sich inzwischen herumgesprochen. Einen "Fresser und Weinsäufer" nannten ihn einige seiner Feinde. Als in Kana der Wein ausgeht, beschafft er auf wundersame Weise Unmengen des berauschenden Tranks. Im Gegensatz zu den Anhängern des asketischen Täufers Johannes kannten die Jünger Jesu keine Fastenregeln. Einmal reißen sie sogar am Sabbat Ähren aus, weil sie hungrig sind. Und Jesus billigt das ausdrücklich. Die berühmten Speisungsgeschichten schildern, wie er die Volksmassen nicht nur geistig und geistlich genährt hat, sondern auch dafür gesorgt hat, dass ihr physischer Hunger gestillt wird. Jesus weiß, dass Essen und Trinken Leib und Seele zusammenhalten.

Nur einmal wird in der Bibel berichtet, dass Jesus gefastet hat. Direkt nach seiner Taufe im Jordan geht er in die Wüste und bleibt 40 Tage ohne Nahrung. Das ist Extremfasten, das Äußerste an Entbehrung, was ein Mensch aushalten kann. Warum tut Jesus das? Askese um der Askese willen ist ihm fremd. Er ist kein spiritueller Hochleistungssportler. Aber er weiß, dass es Zeiten gibt, wo wir leer werden müssen, damit Gott uns erfüllen kann, damit wir uns wandeln können und bereit werden für Neues. Die Zeit in der Wüste dient seiner intensiven Läuterung, Sammlung und der Vorbereitung auf sein öffentliches Auftreten.

Mediziner und Therapeuten sind heute der Meinung, dass gelegentliche Fastenkuren der körperlichen und seelischen Entschlackung und der inneren Neuausrichtung dienen können, wenn bestimmte Regeln eingehalten werden:

Regelmäßige Darmentleerung (Einläufe oder Abführmittel), viel Flüssigkeitszufuhr (ungewürzte Gemüsebrühe, verdünnte Fruchtsäfte, Mineralwasser) und langsamer Wiederaufbau der Nahrungsaufnahme nach der Fastenkur, außerdem viel Bewegung und wenig Stress.

Strenges Fasten ist also während der normalen Arbeitszeit wenig sinnvoll und gehört in ein "geschütztes" Umfeld. Es kann eine Wohltat sein für Leib, Seele und Geist. Das Leerwerden dient dem Leben. Gift wird ausgeschieden, damit sich der ganze Mensch regenerieren kann. Ich habe mehrfach an solchen Fastenwochen teilgenommen und fühle mich danach in der Regel ungemein erfrischt und wach. Klöster und Tagungsstätten bieten begleitende Fastenklausuren an, bei denen das Gewicht auf der spirituellen Seite des Fastens liegt: Das "Leerwerden" birgt ja vor allem die Chance neuer Erfahrungen mit mir selbst und mit Gott. Fasten und Beten gehören zusammen. Das hat Jesus praktiziert und den Jüngern als Heilmittel gegen schwere psychische und spirituelle Belastungen (dämonische Besessenheit) anempfohlen.

Die Fastenzeit ist eine Einladung, auf das zu verzichten, wovon wir (vielleicht) abhängig sind

Eines unserer modernen Worte für "Besessenheit" ist Sucht. Auf der Suche nach Glück und Erfüllung geraten viele von uns irgendwann unmerklich in Abhängigkeit. Das ist ein gesellschaftliches Phänomen, das es in diesem Ausmaß vielleicht noch nie gegeben hat. Überspitzt ausgedrückt: Wir müssen gar nicht fragen, ob wir von irgend etwas abhängig sind, sondern nur noch, wovon. Sucht bedeutet, dass mein Bedürfnis nach einer bestimmten Substanz oder nach einem bestimmten Verhalten mich so in Besitz nimmt (Besessenheit!), dass ich dieses Bedürfnis mit dem bloßen Willen nicht mehr regulieren kann.

Es gibt "stoffgebundene" Abhängigkeit wie die Fixierung auf Alkohol, auf Essen, auf Süßigkeit, auf Nikotin, auf Tabletten oder auf Geld und materielle Sicherheit. Und es gibt "verhaltensgebundene" Abhängigkeit: Arbeit, Ordnung, Körperwäsche, Sex, Beziehungen und Erfolg. In den letzten Jahren haben vor allem die Essstörungen unter jungen Menschen dramatisch zugenommen (Anorexia und Bulimie). Die Vermarktung des Lebens, Konsumterror und soziale Kälte dürften die Hauptursachen dafür sein, dass Menschen sich entweder selbst "verzehren" (Magersucht) oder ihren Körper mit Nahrung "zuschütten" (Bulimie) - beides sind schleichende Formen der Selbstzerstörung.

Die Fastenzeit zwischen Aschermittwoch und Ostern ist eine Einladung, sieben Wochen lang auf das zu verzichten, wovon wir (vielleicht) abhängig sein oder werden könnten. Das herauszufinden, erfordert Aufrichtigkeit. Gibt es etwas, auf das Sie nicht verzichten können - wenigstens sieben Wochen lang? Wenn es etwas gibt, ohne das ich nicht leben kann, dann bin ich abhängig. Fasten ist auch ein notwendiger Protest gegen die allgegenwärtige Lüge, dass Konsum glücklich macht.

Beim Fasten können wir die kleinen Dinge wiederentdecken, die nicht käuflich sind

Es geht nicht um Kasteiung, sondern darum, sensibel zu werden für das Wesentliche. Was tut mir wirklich gut? Ein gutes Buch, ein Naturerlebnis, ein langer Spaziergang, wieder einmal einen persönlichen Brief schreiben, der Besuch bei einem einsamen Menschen, ein Gottesdienst. Es geht um die Wiederentdeckung der kleinen Dinge, die nicht käuflich sind.

Deswegen mündet das Fasten am Ende ins Feiern. Das können wir unseren moslemischen Mitmenschen abgucken, die am Ende des Fastenmonats Ramadan ein rauschenden Fest feiern. Für uns Christen ist Ostern das Fest, auf das wir uns durch Fasten und Verzicht vorbereiten: die Erneuerung des Lebens, die Überwindung der Kultur des Todes durch Gottes unzerstörbares Leben.

Jesus war alles Einseitige und Extreme fremd. Er lädt uns zu einem Leben ein, in dem wir keine Angst mehr haben müssen, etwas zu versäumen. Wir können Zeiten der Einsamkeit und Leere aushalten, weil wir wissen, dass wir geliebt werden. Wir müssen uns nicht selbst verzehren oder zuschütten. Wir brauchen der Realität nicht auszuweichen. Wir dürfen wach und fröhlich leben. Und dazu gehört beides: Bereit zu sein, mit Mangel umzugehen - und frei zu sein zur Freude, zum Fest - und zur Ekstase wie bei der Hochzeit zu Kana. Beides hat seine Zeit.