"Wir waren auf der Höhe unseres Lebens", sagt Peter Reichert rückblickend. Gerade war er mit seiner jungen Familie in ein neues Haus gezogen, das zweite Kind war unterwegs. Das Glück schien perfekt. Da erreichte den Mediziner die Nachricht, dass seine Frau zusammengebrochen war: Hirnblutung. Nach wenigen Tagen im Koma starb die 30-Jährige. Von heute auf morgen stand Peter Reichert (Name geändert) mit seinem zweijährigen Sohn alleine da. "Das war's jetzt mit meinem Leben", so ging es ihm damals durch den Kopf.

Peter Reichert ist einer von rund 500.000 jung Verwitweten unter 50 Jahren in Deutschland. Für diese Menschen, die mitten im Leben stehen, häufig auch Kinder zu versorgen haben, gebe es nur wenige Hilfsangebote, sagt Ulla Engelhardt. Sie selbst war Mitte 30, als sie ihren Mann verlor. Und merkte: Viele Angebote für Trauernde richteten sich eher an ältere Menschen. "Ich dachte, es geht niemand anderem so wie mir", erinnert sie sich.

Doch dann fing Ulla Engelhardt an, im Internet zu recherchieren. Dabei stieß sie auf ein Portal für jüngere Menschen, die ihren Partner verloren haben. Das wurde für sie zum Rettungsanker. "Manchmal habe ich meine Tochter ins Bett gebracht und dann die ganze Nacht mit anderen Betroffenen durchgechattet", sagt Engelhardt. "Kontakt zu haben und nicht mit den eigenen Gedanken und Gefühlen allein zu sein, das hat mir in dieser schweren Zeit geholfen."

Kinder verarbeiten Trauer anders als Erwachsene.
Kinder verarbeiten Trauer anders als Erwachsene.

 

Engelhardt gründete nach einiger Zeit eine Selbsthilfegruppe und wurde im Verein "jung verwitwet" aktiv, der bundesweit Stammtische für Betroffene organisiert. Später verarbeitete sie ihre Erfahrungen in einem Buch ("Weiterleben, wenn der Partner früh stirbt"). "Auch wenn es schwer fällt, man muss sich selbst Hilfe holen", weiß sie.

Der Verein VIDU Selbsthilfe für Verwitwete hat ebenfalls Gruppen in verschiedenen Städten organisiert. "Es ist eine Erleichterung, andere zu treffen, die im Trauerprozess schon weiter sind und auch wieder Freude am Leben gefunden haben", sagt Vorsitzende Ellen Pfeiffer. "Denn das kann man sich selbst zunächst gar nicht vorstellen."

Auch wenn es banal klingt: "Am Anfang ist es das Wichtigste, über seine Situation reden zu können", erklärt Martina Willer-Schrader, Trauerbegleiterin und Vorstandsmitglied der Nicolaidis YoungWings Stiftung mit Sitz in München. Die Stiftung leistet Hilfe für Verwitwete bis zum Alter von 49 Jahren sowie deren Kinder und bietet auch telefonische Trauerbegleitung an. In den Trauergesprächen geht es für viele Betroffene darum, erst einmal zu erfahren, dass anhaltende Gefühle von Trauer, Wut oder auch Mutlosigkeit völlig normal sind.

Trauer muss man nicht allein bewältigen - für Betroffene gibt es zahlreiche Hilfsangebote.
Trauer muss man nicht allein bewältigen - für Betroffene gibt es zahlreiche Hilfsangebote.

 

Viele überfällt angesichts des Todes des geliebten Partners auch ein Gefühl der Hilflosigkeit. Bei der Trauerbegleitung ermutigt Willer-Schrader sie, kleine Schritte zurück ins Leben zu finden. "Was tut mir gut, was gibt mir Kraft, welche Menschen helfen mir?", das seien die entscheidenden Fragen. Oft ist auch Hilfe bei der praktischen Lebensbewältigung gefragt. Da reicht etwa durch den Tod des Partners das Geld nicht mehr oder es gilt Fragen rund um das Erbe zu klären. Bei finanziellen oder rechtlichen Problemen vermittelt die Stiftung eine Beratung. Für jung Verwitwete komme zum Verlust des Partners oft auch noch das mangelnde Verständnis anderer Menschen hinzu, beobachtet Willer-Schrader: "Die anderen gehen sehr schnell wieder normale Wege."

Viele Verwitwete aber fallen auch nach Jahren noch in Trauerlöcher. Einen Satz bekommen junge Witwen oder Witwer häufig zu hören: "Du bist noch jung, du findest schon wieder jemanden." Das ist gut gemeint. Aber viele Menschen wüssten nicht, wie verletzend das sei, sagt Willer-Schrader. Denn nach dem Tod eines geliebten Menschen erscheine es unvorstellbar, dass ein anderer Partner diesen Platz einnehmen könne.

Auch Kollegen und Chefs nähmen wenig Rücksicht, beobachtet Ulla Engelhardt. Häufig werde spätestens nach wenigen Monaten erwartet, dass die Witwe oder der Witwer im Job wieder normal funktionieren. "Mir wurde nach einiger Zeit zu verstehen gegeben, dass mein Witwenschutz langsam auslaufe." Neben der eigenen Trauer müssen viele sich auch um ihre Kinder kümmern, die unter dem Verlust des Vaters oder der Mutter leiden.

Peter Reichert macht die Erfahrung, dass sein Sohn zehn Jahre nach dem Tod seiner Mutter immer wieder Momente der Trauer erlebt, weil er seine Mutter nie richtig kennenlernen konnte. Reichert selbst hat die schwere Zeit nach dem Verlust seiner Frau bewältigt, indem er sich eine Trauerbegleitung suchte. Und auch er wurde selbst aktiv und gründete den Witwer-Stammtisch der Nicolaidis YoungWings Stiftung. Mittlerweile richtet er den Blick wieder nach vorne. Natürlich gebe es Situationen und Tage, an denen die Trauer wieder hochkomme, sagt Reichert. Doch inzwischen weiß er: "Ich komme da auch wieder raus."