Seit langem ist der Michael-Müller-Verlag mit Sitz in Erlangen einer der Marktführer der deutschen Reiseführerbranche. Wie der Sommerurlaub in Corona-Zeiten ausfallen und wie sich der Tourismus verändern könnte, darüber sprach Müller mit dem Sonntagsblatt.

Herr Müller, Ihr Verlag war wegen Corona in Kurzarbeit, die Produktion gestoppt - bringen Sie heuer überhaupt noch neue Reiseführer heraus?

Müller: Ja. Wir hatten alles runtergefahren, aber jetzt haben wir uns in der Produktion wieder etwas vorgetastet. Wir haben die restlichen Deutschland-Titel fertig gemacht, die für dieses Jahr geplant waren, und bereiten das Programm für 2021 vor. Im Oktober soll es wieder richtig losgehen, dann werden wir auch einige Bücher nachziehen, die wir eigentlich für das Frühjahr 2021 geplant hatten - etwa den Reiseführer „Portugal“, der heuer bereits im vierten Jahr lief. Normalerweise werden unsere Titel alle zwei bis drei Jahre überarbeitet.

Haben Sie die Deutschland-Titel absichtlich vorgezogen, weil Sie darauf setzen, dass die meisten Deutschen heuer daheim urlauben?

Müller: Deutschland war bei den Reiseführern immer eine Nische. Wer hierzulande verreist, sieht als Muttersprachler wenig Notwendigkeit, sich dafür ein Buch zu kaufen. Je weiter die Reise führt, desto eher werden Reiseführer gekauft. Ich denke, die Menschen werden im Sommerurlaub auch die europäischen Autoziele ansteuern: Österreich, Slowenien und Kroatien, vielleicht die französische Atlantikküste, Dänemark oder Norwegen. Städte werden wohl eher gemieden, weil sie wegen der erhöhten Infektionsgefahr gerade ein schlechtes Image haben.

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hat zum Urlaub im eigenen Land aufgefordert, doch der Deutsche Reiseverband warnte jetzt: Deutsche Hotspot-Regionen wie das Allgäu und die Ostsee hätten nicht die Kapazitäten, um das für alle Bundesbürger möglich zu machen.

Müller: Natürlich sind die Kapazitäten bei weitem nicht da! Von daher denke ich, der innerdeutsche Tourismus wird sich aufsplitten auch auf weniger bekannte Urlaubsziele. In unserem jüngsten Newsletter hatten wir eine Umfrage, wohin die Menschen heuer verreisen: Etliche wollen gar nicht verreisen, manche nur Tagesausflüge machen, viele in deutschen Regionen unterwegs sein.

Könnten nun verstärkt Urlaubsregionen in den Fokus rücken, die bislang weniger gefragt waren - für Sie als Franke: etwa die Fränkische Schweiz?

Müller: Ja, die Fränkische Schweiz ist so eine Gegend. Früher haben viele Berliner hier wochenlang Urlaub gemacht, das ist weggebrochen. Es gibt fast nur noch Wochenendtourismus. Das liegt auch daran, dass die Strukturen teilweise überkommen sind, die Gasthäuser oft altbacken wirken mit ihren kleinen Fenstern und der Möblierung zum Teil noch aus den 1960er-Jahren.

Es wurde wenig Geld investiert, die Jungen wollen die Gasthäuser nicht übernehmen. In Italien dagegen wurde viel Infrastruktur hochgezogen, das hat eine ganz andere Qualität und Erscheinung. Auch in Oberbayern, wo das reiche München nah ist, sieht das anders aus, da kommt dann auch der internationale Tourismus hinzu.

Könnte die Coronakrise eine Chance für schwächere Urlaubsregionen sein?

Müller: Ich glaube schon, dass sich dort jetzt etwas tut und dass mehr investiert wird in solche Regionen.

Können Ihre Reiseführer überhaupt aktuell sein, wenn jetzt womöglich viele Lokale und Pensionen schließen müssen?

Müller: Das Sterben der Lokale hat ja noch nicht begonnen, die fangen gerade wieder mit dem Betrieb an. Viele Lokale, gerade in Südeuropa, werden wohl erst im Lauf des kommenden Jahres merken, wie es ihnen wirtschaftlich geht und ob sie überleben können. Unsere Reisetipps sind zum großen Teil stabile Familienbetriebe, die oft besser dastehen als Lokale in Städten, die oft mit einer dünnen Gelddecke hochgezogen werden und schnell wieder verschwinden können.

Könnte die Coronakrise auch den Massentourismus eindämmen?

Müller: Naja, die Masse an Menschen, die verreisen wollen, ist nun mal da - insofern wird es immer eine Art Massentourismus geben. Aber auch ohne Corona ist zu spüren, dass die Touristen emanzipierter werden. Früher haben sie sich nicht getraut, allein einen Flug oder ein Hotel zu buchen. Heute funktioniert das alles, und die Touristen werden selbstständiger und zugleich anspruchsvoller - sie wollen mehr als nur in die Bettenburg und an den Pool. Insofern wird der Pauschaltourismus vermutlich leiden in dem Maße, wie die technischen Infrastrukturen noch besser werden.

Buchungs-Apps, digitale Reiseführer: Haben Ihre guten Bücher dagegen eine Chance?

Müller: Wir machen auch die mmtravel-Apps, die im Paket mit dem Buch verkauft werden. Aber da gab es bislang einige Hürden. 2017 hat das Bundesfinanzministerium plötzlich die Bündelung von Buch und App wegen des reduzierten Mehrwertsteuersatzes verboten. Das hat uns viel Ärger und Geld gekostet. Im Dezember 2019 hat die EU dann genau das wieder erlaubt. Seitdem haben wir neue Apps programmiert, ab Herbst werden wir wieder E-Bundles anbieten. Die Nachfrage ist da.

Ihr Verlag ist auf Europa spezialisiert. Also noch die Frage: Wohin in Europa würden Sie heuer empfehlen zu reisen?

Müller: Nach Portugal, nach wie vor - dort hat für mich damals alles angefangen. Oder nach Griechenland, dort sind die Infektionszahlen noch niedriger. Aber als Hürde bleibt das Fliegen, wegen der Infektionsangst. Ein Schnelltest für alle Flugreisenden wäre die Lösung, aber ob das gewollt ist und kommt, ist fraglich.