Seit über 15 Jahren fließt Geld nach dem sogenannten Fallpauschalen-System an die Kliniken und trimme sie auf Effizienz und auf eine falsch verstandene Wirtschaftlichkeit.

Hierarchie entmündigt

Das wirke sich fatal auf die Pflege aus, ist Doppelfeld überzeugt. Pflegekräfte könnten wegen des Spardrucks nicht so pflegen, wie sie das für gut und richtig halten. Der Arbeitsalltag kollidiere mit ihrer beruflichen Identität. Es würden Patienten aus der Klinik entlassen, die aus pflegerischer Sicht noch nicht nach Hause gehören. Doch Pflegekräfte haben in den hierarchisch strukturierten Kliniken wenig zu melden.

"Das ist ein Grund, warum viele Leute aus der Pflege aussteigen."

Solidarischer Arbeitskampf wäre wichtig

Pflegekräfte könnten ihre Lage verbessern, indem sie gemeinsam für ihre Anliegen kämpften, sagt Julia Inthorn. Eine einzige Stunde Pflegestreik zur gleichen Zeit in ganz Deutschland - und das Chaos wäre perfekt. Doch es werde kaum gekämpft. Im Gegenteil, sagt Inthorn: "Pflegende gehen bisweilen genauso grob miteinander um, wie mit ihnen umgegangen wird." Dabei bräuchte es positive Veränderungen "aus der Pflege selbst", sagt die Leiterin des Zentrums für Gesundheitsethik der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannover.

Bürokratie-Probleme

Die Hierarchie im Gesundheitswesen ist für Burkhard Halbig, Leiter einer Caritas-Sozialstation in Würzburg, ein Grund für den wachsenden Frust in der Pflege. Geht eine Pflegekraft zu einem alten Menschen, sehe sie aufgrund ihres Fachwissens genau, was dieser Mensch brauche, damit er sich besser fühlt, erklärt er: "Doch verordnen darf sie nichts." Dies sei seit Jahrzehnten so: "Pflegebetten, Toilettenstühle, Rollstühle, Rollatoren, Inkontinenzartikel - alles kann nur der Arzt verordnen." Nicht einmal für Verbandsmaterial darf eine Sozialstation selbst sorgen: "Obwohl wir eine ausgebildete Wundmanagerin haben."

Mensch gerät in den Hintergrund

Halbig beklagt, dass Bürokratie und Sparzwänge von Jahr zu Jahr zunehmen. "Mein Empfinden ist, dass die persönliche Lebenslage eines hilfesuchenden Menschen dadurch immer mehr in den Hintergrund gedrängt wird." Sein Team bekomme immer öfter mit, dass andere Pflegedienste "unattraktive Versorgungen" ablehnen. Natürlich könne das am Personalmangel liegen:

"Doch es geschieht sicher zum Teil auch aus wirtschaftlichen Überlegungen heraus."

Pflegekräfte, die das aufgrund ihrer Berufsauffassung nicht mittragen könnten, bleibe nichts übrig, als zu kündigen - innerlich oder tatsächlich.

Gesundheitswesen kollabiert

Dabei dulden Pflegekräften oft viel zu viel, sagt Michael Bauch, Betriebsratsvorsitzender des Klinikums Würzburg Mitte. Zu wenige nutzten zum Beispiel das Instrument der Überlastungsanzeige, obwohl sie mit ihren Kräften am Limit seien: "Die Leute sind in ihrer Helferrolle gefangen und kommen da nicht raus." Pflegende versuchten stets, "aus der Mangelwirtschaft das Maximum herauszuholen". Wer physisch und psychisch am Ende ist, geht. Und das seien inzwischen "Scharen":

"Wir steuern im Gesundheitswesen sehenden Auges auf einen Kollaps zu", beobachtet Bauch.

Pflegekräfte kündigen

Thomas Möller gehört zu jenen, die irgendwann nicht mehr kompromissbereit waren. Der 31-Jährige war acht Jahre als Krankenpfleger tätig. Inzwischen engagiert er sich in Berlin beim Bundesverband Gesundheits-IT. "Es ist nicht in erster Linie die Bezahlung, die den Pflegeberuf so unattraktiv macht", sagt Möller, der sich 2015 in der Protestbewegung "Pflege am Boden" einbrachte. Auch für ihn waren betriebswirtschaftliche Zwänge und der geringe Einfluss auf die Gestaltung der eigenen Arbeit die Hauptgründe, warum er den Pflegeberuf an den Nagel gehängt hat. "Pflege hat in Deutschland einfach kein gutes Standing", sagt er. Es sei ein "dienender Assistenzberuf". "Doch wir sind so gut ausgebildet, dass wir mehr Verantwortung bekommen sollten."