Seit sechs Wochen hat die Münchner Tafel eine Notfall-Hotline für Menschen in akuter Existenznot. Bis zu zehn Anrufe pro Tag verzeichnet derzeit Axel Schweiger, bei der Tafel Vorstand für Personal und Leiter einer Ausgabestelle. Normalerweise müssten neue Gäste etwa drei bis vier Wochen warten, bis ein Platz in einer Ausgabestelle frei wird. "Das ist aber für jemanden in einer Hungersituation kein adäquates Mittel", sagte Schweiger dem Sonntagsblatt.
Dramatische und alltägliche Geschichten
Der Ehrenamtliche erfährt über die Hotline die unterschiedlichsten Geschichten, "dramatische und alltägliche", wie er sagt. Da sei zum Beispiel die Dame, deren Hund dringend in der Tierklinik behandelt werden musste - doch die Behandlungskosten hätten den Rest des Monatsgelds aufgezehrt. Ein Dilemma, sagt Schweiger:
"Sie hat sich für den Hund und gegen ihr Essen entschieden."
Oder der Gerüstbauer, der nach einem Arbeitsunfall ohne Geld dastand, weil sich Berufsgenossenschaft und Jobcenter nicht einigen konnten, wer zahlt. "Der ist mir hier erst mal umgekippt, weil er seit drei Monaten nur von Brühwürfelsuppe gelebt hat", erinnert sich der Ehrenamtliche.
Inflation und Energiekosten schlagen durch
Auch die aktuelle Entwicklung mit Inflation und Energiekosten schlage durch. Wessen Stromabschlagszahlung sich von 80 Euro auf 160 Euro verdoppele, wisse manchmal nicht mehr, wie es weitergehen soll. "Diese Menschen bekommen bei uns eine erste Notration und dann schnellstmöglich einen Platz an der Tafel", erklärt Schweiger das Prozedere. Manchmal greift er selbst zum Telefonhörer:
"Wenn wir sehen, dass jemand sehr lang keine Sozialleistungen bekommen hat, bieten wir Gespräche mit den Jobcentern an."
Grundsätzlich sei die Tafel nicht für die Existenzsicherung der Menschen zuständig, betont Schweiger, denn das sei Aufgabe des Staats. Doch die Realität spreche eine andere Sprache.
"Der Kaufkraftverlust in diesem Jahr hat bei vielen Menschen alle bescheidenen Rücklagen aufgebraucht",
sagt Schweiger. Die Tafel helfe Menschen in Not, doch "der aktuelle Ansturm überfordert uns". Er fürchte, dass im Laufe des Winters "noch viele Menschen in schwierige Lebenslagen kommen" könnten.
Die Münchner Tafel versorgt nach eigenen Angaben pro Woche rund 23.000 Menschen an 28 Ausgabestellen mit 130 Tonnen gespendeter Lebensmittel.