Im Schaufenster thronen drei Geigen auf weißen Podesten jeweils unter einer Glasglocke. Laufkundschaft macht hier in der Landsberger Altstadt jedoch nicht Halt, weil der Geigenbauer Martin Schleske nur für einen festen Kundenstamm fertigt. Knapp 30 Streichinstrumente pro Jahr.

Für wen eine Geige ist, das spürt er. Sobald eine Geige hergestellt ist, geht er die Liste der Anfragen durch und teilt der entsprechenden Person aus seiner "Wolke an Interessenten" mit: "Es könnte sein, dass dein Instrument fertig ist."

Weltweit sind Musiker des London Symphony Orchestra, des Seoul Philharmonic Orchestra in Südkorea, des Orquestra do Norte in Portugal oder der Münchner Philharmoniker im Besitz einer Schleske-Geige. Auf vier Etagen baut er Geigen, Bratschen und Celli.

Wer eine vollgestellte, staubige Handwerkerbude erwartet, irrt: Von Schleskes modern renovierter Altbauwerkstatt geht ein aufgeräumter, edler Flair aus. Auf jedem Stockwerk findet ein anderer Arbeitsschritt des Instrumentenbaus statt, und auf jedem Stockwerk begegnet man einer Facette von Martin Schleske.

Die Werkstatt von Martin Schleske

Schleske stammt aus einer musikalischen Familie. Seine Mutter spielte Klavier, sein Vater Querflöte, die Schwester Cello, er fängt mit sieben Jahren an, Geige zu spielen. Fast jeden Sonntag macht die Familie nach dem Kaffeetrinken Hausmusik. Mit 17 Jahren beginnt er dann die Geigenbauausbildung in Mittenwald.

Für sein Handwerk sind besonders der Tastsinn und das Gehör wichtig. Und das Vertrauen in sich und die Hände, "dass keine Verbissenheit reinkommt, sondern eine Selbstvergessenheit. "Wenn der Meister den goldenen Wölbungshobel in kurzen Bewegungen über das Holz schiebt und sich das Holz kräuselnd vom Geigenboden schält, ist es ganz ruhig im Haus. Auch er ist ein stiller Typ, der gern tüftelt.

Am Treppenaufgang im ersten Stock hängt ein Experiment des gebürtigen Stuttgarters: eine Geige mit aufgeklebten Blüten auf dem Geigendeckel und einer Rückseite aus Rochenhaut. Ein Ammonit bildet die Schnecke. Abgesehen von solchen Kreationen will er in Zukunft neuartige Instrumente entwickeln, die Geige mit anderen Formen und Resonatoren verändern. Im Alter aufhören – das kann er sich nicht vorstellen. Er will lieber mit 85 seine beste Geige bauen.

Das Labor von Schleske

Im zweiten Stock riecht es nach Lack. Hier forscht Schleske und prüft seine Werke auf Herz und Nieren. In einem Raum mit rundem Stuck an der Decke sind mehrere silberne Tageslichtlampen an einer Metallkonstruktion befestigt. Aus verschiedenen Richtungen werfen sie ihr Licht auf eine herabhängende Geige. Senfgelb leuchtet die erste Schicht Lack auf dem Geigenkörper, während der sich langsam um die eigene Achse dreht.

Auf der gegenüberliegenden Seite stehen Messgeräte. Damit untersucht Schleske das Resonanz- und Schwingungsverhalten des Instruments und kann Letzteres messen. Denn hinter den Tönen, die eine Geige erzeugt, stecken komplexe physikalische Vorgänge. Um mehr über Akustik zu lernen und bessere Geigen bauen zu können, hat Schleske deshalb von 1990 bis 1994 Physik studiert und mit Diplom abgeschlossen. Einige seiner Forschungsergebnisse sind im Deutschen Museum München ausgestellt.

Wenn der Mann mit den schlanken und doch kräftigen Fingern ein Instrument baut, wechselt er ständig zwischen Werkstatt und Labor hin und her. Rund 200 Arbeitsstunden fließen in den Bau einer Geige. Es ist seine Berufung. Und Berufung bedeutet für ihn: "Ich diene." So verbringt er gewöhnlich zwölf Stunden täglich in seiner Werkstatt. Wenn er danach erschöpft ist, ist das für ihn ein gutes Zeichen, weil er alles gegeben hat. Wer aber gleichzeitig versucht, aus der Berufung Kraft zu beziehen, der missbraucht sie, meint Schleske. An drei Vormittagen kehrt er seiner Werkstatt deshalb ganz bewusst den Rücken und geht zum Reitstall, um aufzutanken.

"Ein Pferd zu reiten ist wie Geige spielen. Das Eintauschen und die Einheit mit dem anderen zu spüren, das ist das größte Glücksgefühl",

schwärmt der 57-Jährige. Seit drei Jahren sind Pferde seine große Liebe und seine Kraftquelle. Besonders von "Schorschi", dem schwarzen Kaltblüter mit seiner langen Mähne, ist er fasziniert. "Man hat das Gefühl, er hat keine Selbstzweifel. Ich habe sehr viele Selbstzweifel, und er hat so eine Selbstverständlichkeit und gibt mir Anteil an seiner Stärke."

Der Einfluss der Pferde schwappt auch auf seinen Instrumentenbau über. Durch die Kaltblüter hat er erst verstanden, was eine Bratsche ausmacht, und baut seither bessere, erzählt der Meister in Lederhose und schlichtem hellgrauem Leinenhemd. "Sie muss die größte Tiefe haben, sie muss viel tiefer sein als ein Cello. Nicht von der Tonhöhe her, sondern tiefer vom Charisma." So wie die mächtigen Kaltblüter mit ihrer Präsenz und Selbstverständlichkeit, so breite sich der Ton der Bratsche im Raum aus.

"Sie muss sich nicht durchsetzen, ist nicht so aggressiv wie die Geige." Doch hört die Bratsche im Orchester auf zu spielen, fragt jeder: "Was ist jetzt passiert?"

Die Bühne

Im Dachgeschoss, unter dem Gerüst der Holzbalken, entfalten die Instrumente ihren Klang und Sinn, wenn die Musiker sie zum ersten Mal ausprobieren. Erst in dem Moment, wo der Holzkörper gespielt wird, wird er zur Geige. Und dann singt sie, und "ich erlaube ihr, meine Stimme zu sein", sagt Schleske. So entsteht eine Einheit.

Ein Ikonenbild und ein selbst gemaltes Bild aus bunten Schichten Palmharz, Schellack und Öllack, das einem Kirchenfenster ähnelt, verraten, dass auch Spiritualität und Glaube in Schleskes Leben eine Rolle spielen. So sind das Eins-Werden mit den Pferden und mit dem Klang der Geige zu inneren Bildern mit spiritueller Dimension geworden.

Sie haben ihm offenbart, was im Johannesevangelium der Bibel gemeint ist, wenn es heißt: So wie Jesus eins mit seinem Vater war, so sollen auch seine Jünger eins mit Gott sein. Die Sehnsucht Einheit zu spüren, sei etwas, das Gott in uns angelegt habe, etwas wonach sich der Mensch sehne, meint Schleske. Wer sich verbindet und Eins wird, der fühlt etwas Göttliches.

Unterm Dach

Eine dünne Eisenleiter führt in den Dachspitz, wo sich der Geigenbauer morgens fürs Gebet und das Bibellesen zurückzieht – seine geistige Kraftquelle. Mit 13 Jahren fand er auf einer christlichen Freizeit in Schottland zum Glauben. "Ich war so stolz auf Jesus. In dem Sinne: So ist Menschsein. Ich war so stolz, dass jemand so sein kann."

Zu Hause wurde der junge Martin dafür angegriffen, besonders vom Vater. Der Professor für Geisteswissenschaften war anti-gläubig und lehnte den aufkeimenden Glauben seines Sohnes ab. Kein Mittagessen verging ohne Diskussionen über Gott und Religion. Aus heutiger Sicht war sein Vater "ein großer Lehrer, ohne es zu wollen, weil er mich provoziert hat, mündig zu werden".

Sein Glaube ist untrennbar mit seinem Geigenbauhandwerk verbunden. Es treibt ihn an, einen Klang zu schaffen, "der so eine Autorität hat, dass er heilsam ist", sagt der große Mann mit der Lederkappe. Musiker hätten sogar einen priesterlichen Dienst:

"Du darfst die Menschen segnen mit dem Klang, und die Seele wird berührt und vielleicht sogar geheilt durch manches Konzert."

So mancher Mensch habe durch ein Konzert neuen Lebensmut geschöpft und sich in der Musik wiedererkannt, vermutet Martin Schleske. "Das ist es, was eigentlich das tiefste Wesen der Musik ist: Ich fühle mich verstanden."

Im Hintergrund drei Geigen auf weißen Podesten. SIe stehen unter Glaskugeln und werden angeleuchtet. Im Vordergrund steht auch eine Geige unter einer Glasglocke auf einem Dreibein.
Ausstellungsraum
Eine Geige hängt an der Wand in einem Bilderrahmen. Es sind Blüten auf dem Geigendeckel
Experimentelle Geige mit Blumen, Rochenhaut und Ammonit
OP Leuchte, Werkbank, Werkzeuge an der Wand. Rechts ragt eine Mann ins Bild der auf dem Tisch ein Stück holz bearbeitet
Martin Schleske arbeitet mit dem Wölbungshobel
Werkbank, eine flächige Lampe beleuchtet einen rohen Geigenkörper, der auf dem Tisch liegt. An der Wand viel Holz.
Werkstatt
Stuck an der Decke, Werkzeug, Regale, Lampen strahlen eine frisch lackierte Geige an.
Labor
Zwei Geigen liegen auf grauem Filz auf einem Tisch
Geigen aus 50.000 Jahre altem Holz aus einem Moor in Neuseeland
Dachgeschoss mit Holzbalken, Geigen und ein Cello rechts auf einem Tisch, eine Eisenleiter führt in den Dachspitz
Dachspitz
Mann in hellgraumen Hemd, mit Bille und dunkler Ledermütze. Links neben ihm zwei Geigen auf Podesten. Recht ein Bild an der Wand mit einer Hand die Holz bearbeitet.
Martin Schleske in seinem Atelier

BUCHTIPP:

Martin Schleske: "WerkZeuge – In Resonanz mit Gott", Bene Droemer/Knaur Verlag 2022, 640 Seiten, 26 Euro.