Nach der Andacht stehen sie noch zu fünft auf dem Platz vor der Kirche St. Leonhard im Süden Nürnbergs und fragen sich, warum "von unseren russischen Leuten" so wenige da waren. Viele haben noch gearbeitet, sagt eine; "sie haben vielleicht Angst, dass sie sich rechtfertigen müssen", mutmaßt eine andere.

Spontaner Friedensgottesdienst

Ein Dutzend ukrainisch-stämmige Gemeindeglieder der russisch-deutschsprachigen evangelischen Gemeinden und einige Besucher sind zum ersten spontanen Friedensgottesdienst nach dem Ausbruch des Kriegs zwischen Russland und der Ukraine gekommen. Sie hören eine Andacht in drei Sprachen, der Bibeltext auf deutsch, russisch und ukrainisch, ebenso die Gebete.

Ein Zeichen des Friedens sollte es sein, dass die Worte dreisprachig erklingen, sagt Pfarrer Tobias Graßmann. Er hat seine Tochter morgens in den Kindergarten in dem Stadtteil gebracht. "Viele Erzieherinnen und die Freundinnen meiner Tochter sind von dem Krieg ganz direkt betroffen", sagt Graßmann. Sie hätten Familie in der Ukraine oder kommen aus Russland.

"Es war mir ganz klar, dass wir heute einen Gottesdienst machen mussten."

Die evangelische Aussiedlerseelsorgerin Sabine Arnold sagt, man wolle um Beistand bitten und sich gegenseitig halten und trösten. Nach der Andacht stellen die Besucher Kerzen, Lichter der Hoffnung, auf den Taufstein. "Erschüttert, erschrocken, fürchterlich, bedrohlich" - diese Worte hat Arnold am Ende des ersten Kriegstags ungezählte Male gehört und selbst gesprochen. "Ich habe heute so viele tränenreiche Gespräche geführt", sagt die Frau, die seit Jahren Menschen aus der ehemaligen Sowjetunion, Spätaussiedler aus Russland, aber auch Flüchtlinge aus der Ukraine betreut.

Viele Gespräche geführt

Viele Gespräche hat sie auch mit ihrer Kollegin Anzhela Korzhova geführt, die selbst aus der Ukraine geflüchtet ist. Sie hat die Worte des Gottesdienstes übersetzt. "Je mehr Sprachen man spricht, umso besser für die Kommunikation unter den Menschen", erklärt sie. In den besetzten Gebieten in der Ukraine hätten die Menschen ukrainisch und russisch gesprochen und sich untereinander verstanden. Dass es hier Konflikte gegeben habe, sei nicht wahr, sagt Korzhova.

"Das ist nur ein Vorwand von Putin."

Kurz vor dem Gottesdienst hat sie erfahren, dass ihre Schwester, die in Kherson lebt, 70 Kilometer von der Krim entfernt, mit den Kindern zur Nachbarin in den Keller geflohen ist. Anzhela Korzhovas Stimme bricht, als sie das berichtet.

"Das ist so furchtbar", seufzt sie, "denn wer kann etwas machen gegen den verrückten Mann?"

Die kleine Gruppe vor der Kirche löst sich auf. Jeder hat sich schon im Gottesdienst eine Schleife in den ukrainischen Nationalfarben blau und gelb an den Mantel geheftet. Die tragen sie nun weiter in die Nürnberger Innenstadt zur Solidaritätskundgebung, auch spontan vorbereitet von Parteien und Gewerkschaften. Dort versammeln sich 3.000 Menschen. Am Samstag ist wieder Friedens-Gottesdienst - diesmal in der größten Nürnberger Kirche in St. Lorenz mit der Regionalbischöfin Elisabeth Hann von Weyhern. Aussiedler-Seelsorgerin Arnold ist wieder dabei.