Der derzeit akute Russland-Ukraine-Konflikt kann man laut dem früheren ukrainischen lutherischen Bischof Uland Spahlinger nicht losgelöst von der langen gemeinsamen Geschichte verstehen. Putin agiere "in der Tradition autokratischer russischer Herrscher", auch die allermeisten Russen dächten "nicht demokratisch, sondern autoritär", sagte der jetzige Dinkelsbühler Dekan dem Evangelischen Pressedienst (epd) am Mittwoch. Dazu gehöre auch der russische Besitzanspruch auf die Ukraine.

Die heutige ukrainisch-russische Grenze sei "ein Ärgernis" für viele Russen und prorussischen Kräfte in der Ost-Ukraine. Um diese zu verändern oder zu beseitigen, schrecke die Moskauer Führung auch vor dem Bruch des Völkerrechts nicht zurück, wie 2014 mit der Annexion der Krim bereits vorgeführt, erläuterte Spahlinger. Die mehrheitliche Haltung in der Ukraine sei eine ganz andere: Nicht nur die offizielle Position der Regierung, sondern auch vor allem der jüngeren Generation sei ganz klar auf Unabhängigkeit von Russland und Annäherung an den Westen gerichtet.

Der Konflikt spielt sich auch im kirchlichen Raum ab 

Der ukrainisch-russische Konflikt finde seit dem Zerfall der Sowjetunion auch im kirchlichen Bereich Nahrung, sagte Spahlinger. In den 1990er Jahren sagte sich die ukrainisch-orthodoxe Kirche von der russisch-orthodoxen Kirche los und begründete das Kiewer Patriarchat - dieser Kirchenstreit sei bis heute nicht beigelegt.

"Das Moskauer Patriarchat sieht sich als vollkommene Verwirklichung des göttlichen Auftrags", sagte Spahlinger, Abspaltungen könnten nicht akzeptiert werden:

"Zur russisch-orthodoxen Kirche gehört die Grundhaltung, dass staatliche Obrigkeit immer auch göttlich legitimiert ist."

Die gesellschaftspolitische Rolle der orthodoxen Mehrheitskirchen in Russland und auch der Ukraine sei deshalb eher, die jeweils Herrschenden zu stützen - und nicht die Politik vor dem Hintergrund der christlichen Lehre zu hinterfragen. Traditionell seien die orthodoxen Kirchen auch nicht so stark im karitativen Bereich engagiert. Zwar gebe es auch Armenspeisungen und Jugendarbeit, es gebe aber kein Gesamtkonzept für eine soziale Gesellschaft, sagte Spahlinger:

"Das hängt mit der Überzeugung zusammen: Derjenige, der die Macht hat, sorgt auch für die Wohlfahrt der Menschen im Land."

Die Beziehung zur DELKU hat sich wieder verbessert 

Die bayerische evangelische Landeskirche unterhält seit vielen Jahrzehnten enge Beziehungen zur Deutschen Evangelisch-Lutherischen Kirche der Ukraine (DELKU). Viele Jahre stellte die bayerische Landeskirche auch den Bischof der DELKU und unterstützte die Kirche finanziell massiv - bis es unter dem ersten selbstgewählten Bischof zum Bruch kam. Diesem wurde unter anderem ein despotischer Führungsstil und finanzielle Intransparenz vorgeworfen. Nach der Abwahl des umstrittenen Bischofs haben sich die Beziehungen zwischen DELKU und bayerischer Landeskirche wieder normalisiert.