Wenn Sie auf die vergangenen 70 Jahre zurückblicken: was waren die ein oder zwei Momente in Ihrem Berufsleben, die Ihnen am stärksten in Erinnerung geblieben sind?

Susanne Breit-Keßler: Es fällt mir schwer, einzelne Ereignisse herauszugreifen. Tief eingeprägt haben sich mir alle Momente, in denen ich als Seelsorgerin gefordert war – bei den Katastrophen in Bad Reichenhall und Bad Aibling, der Flut im Oberland, dem Tsunami in Asien und dem Attentat im Olympiazentrum.

Beglückend habe ich meinen Abschied aus dem Amt empfunden. Dankbar spüren zu dürfen, was gelungen ist und um Verzeihung dafür zu bitten, wo ich anderen nicht gerecht geworden bin.

Sie haben Auszeichnungen in verschiedenen Bereichen erhalten. Welche davon bedeutete Ihnen am meisten?

Das Engagement für Menschen mit Behinderungen ist mir nach wie vor ein Herzensanliegen. Im Zentrum meines Handelns stand und steht für mich auch der Einsatz gegen rechtsextremistische, rassistische und antisemitische Strömungen.

Die Freundschaft mit der jüdischen Gemeinde ist eine bleibende und sehr lebendige.

Sie waren die erste Frau, die das Amt eines Regionalbischofs in Bayern bekleidete - ergaben sich dadurch für Sie besondere Herausforderungen?

Es war anfangs sehr leicht, weil so viele Menschen sich gefreut haben, dass endlich eine Frau ein Bischofsamt übertragen bekommt.

Katholische Nonnen haben mir sogar vergnügt zugeraunt, ich müsse halt so lange die Stellung halten, bis sie endlich auch eine Bischöfin bekämen. Das zieht sich aber offenbar etwas.

Dann allerdings wurden immer wieder auch alte patriarchale und chauvinistische Strukturen deutlich - wenn Männer meinten, einen durch freundliches Tätscheln auf den Arm einnorden zu können oder mit wichtiger Miene sehr ausführlich das sagten, was man selbst schon längst klipp und klar auf den Punkt gebracht hatte.

Hat sich die Situation für Frauen, die in der Kirche eine Führungsposition anstreben, seitdem etwas verändert?

Inzwischen ist die Zahl der Frauen in Führungsämtern der Kirche deutlich gesunken.

Das muss sich dringend ändern, denn wir haben hochkompetente Theologinnen, die der Kirche geistlichen Schwung und Innovation bringen können.

Inwiefern spielen Kirche und Glaube auch heute noch eine Rolle in Ihrem Leben?

Ich liebe es, biblische Geschichten mit ihren Archetypen zu lesen und ihre tiefe existentielle Weisheit immer wieder neu zu entdecken. Die Lektüre der Losungen bedeutet Inspiration für jeden Tag und das Gebet am Morgen, Mittag und am Abend ist für mich und meinen Mann unverzichtbar. Außerdem singe ich für mein Leben gern, vor allem Paul Gerhardt-Lieder – unsere Kirchenmusik ist ein kostbares Gut.

Die evangelische Kirche und das reformatorische Erbe sind also meine geistige Heimat und der Ort, von dem aus ich nach wie vor in den Alltag und den Sonntag starte.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft der Kirche in Bayern?

Ich wünsche mir diskursfähige Ehrlichkeit ohne wildgewordene Aggression, angstfreies, purzelbaumfröhliches Nachdenken und hohe Wertschätzung für Mitarbeitende und Mitglieder mit ihren Gaben und Grenzen.

Es ist darüber hinaus notwendig, zu begreifen, dass Kirche mehr Diversität braucht.

Damit meine ich kein exklusives, andere dann doch wieder ausschließendes ideologisches Programm. Mir wäre wichtig, dass der Wunsch nach Harmonie und die Sehnsucht danach, alle mögen gleich ticken, der Einsicht weichen. Der Einsicht, dass Menschen unterschiedlicher Provenienz, mit ganz verschiedenem Werdegang, differenten Einstellungen und uneinheitlichem geistigen Hintergrund für die Führungs-Arbeit in der Kirche unverzichtbar sind. Denn nur solche Diversität mit weitem Horizont erlaubt echte Kreativität.

In Zeiten von Mitgliederschwund und sinkenden Kirchensteuereinnahmen: Warum braucht es Kirche auch heute noch und welche Rolle sollte Kirche in der Gesellschaft einnehmen?

Was Kirche nicht sollte: Irdisch Vorfindliches zum Maßstab des eigenen Denkens und Handelns zu machen und auf jeden Zug aufzuspringen, der gerade losfährt.

Kein Mensch braucht Adabeis, die überall mitmachen und nachplappern, was andere schon gesagt haben.

Kirche muss ihrem Wesen nach unverwechselbar sein. Ihre Aufgabe ist es, den Blick auf Gott zu richten. Auf einen Himmel, der uns wunderbarerweise offen steht – und damit Hoffnung, Trost, Zuversicht und einen ganzen Packen Lebenskraft zu vermitteln.

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