Dem jüdischen Psychiater Viktor Frankl (1905-1997) gab seine Bergliebe sogar in seiner Zeit im Konzentrationslager Halt. Seine "tiefgehende und die ganze Person ausfüllende Begeisterung für das alpine Tun" war für den Wiener ein Sinn, der ihn durch sein gesamtes Leben und Werk trug, berichtet Robert Renzler, ehemaliger Generalsekretär des Österreichischen Alpenvereins (ÖAV), bei einer Veranstaltung im Alpinen Museum in München zu jüdischen Bergsteigern und Bergsteigerinnen.
Jüdisches Leben oft nur als urban wahrgenommen
Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts hatte das Bürgertum mit dem Bergsteigen begonnen. Die Juden waren da keine Ausnahme, auch wenn jüdisches Leben heute oft als urbanes Leben wahrgenommen wird, schreibt Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, in ihrer Rede zu der Veranstaltung.
Schon bei der Gründung des Österreichischen und des Deutschen Alpenvereins, die 1874 fusionierten, hatten jüdische Bergsteiger eine wichtige Rolle eingenommen. In Wien und Berlin stellten sie mehr als ein Fünftel der Mitglieder, erläutert Josef Klenner, Präsident des Deutschen Alpenvereins (DAV). Für Knobloch ein weiteres Zeichen der fortschreitenden Integration der Juden in die bürgerliche Gesellschaft.
Juden verstanden Berge als überkonfessionellen Raum
Die Juden hätten die Berge als überkonfessionellen Raum verstanden, trotzdem gebe es in der jüdischen Bergliebe natürlich auch eine religiöse Dimension, erläutert Knobloch: Berge und Gebirge spielten im Judentum immer entscheidende Rollen.
Vom Frankfurter Rabbiner Samson Raphael Hirsch, einer der prägenden Figuren des deutsch-jüdischen Lebens des 19. Jahrhunderts, ist das Zitat überliefert:
"Wenn ich vor Gott stehen werde, wird der Ewige mich fragen: Hast du meine Alpen gesehen?"
In Wien und später in München machte sich der jüdische Bergsteiger Paul Preuss Anfang des 20. Jahrhunderts einen Namen. "Er war ein absoluter Pionier und wahrscheinlich der größte jüdische Alpinist aller Zeiten", sagt Georg Bachler, Obmann der Internationalen Paul Preuss Gesellschaft.
Nicht nur seine zahlreichen Erstbegehungen ohne jegliche Hilfsmittel erzeugen bei heutigen Kletterern noch große Ehrfurcht. Auch seine theoretischen Überlegungen zum Bergsport waren prägend. Sein bekanntestes Credo: Das Können ist des Dürfens Maß. Er strebte an, sich ausschließlich mit den eigenen geistigen und körperlichen Fähigkeiten mit den Bergen auseinanderzusetzen. "Wir Bergsteiger sehen uns alle als seine Erben", sagt Extremkletterer Thomas Huber.
"Arierparagraph" schloss jüdische Mitglieder aus
Als Paul Preuss 1913 mit 27 Jahren in den Tod stürzte, hatten in Deutschland und Österreich bereits einzelne Sektionen des Alpenvereins einen sogenannten "Arierparagraphen" eingeführt, der jüdische Mitglieder ausschloss. Der Hauptausschuss des Alpenvereins wehrte sich noch gegen diese politische Vereinnahmung, doch der Druck von "völkischer" Seite stieg.
1921 gründete sich in Wien als Gegengewicht die Sektion "Donauland", die als einzige Wiener Sektion noch Juden aufnahm. Nach nur drei Jahren, 1924, wurde sie aus dem Dachverband des Alpenvereins wieder ausgeschlossen: Nachdem die völkisch und antisemitisch eingestellten Sektionen mit einer Spaltung des gesamten Alpenvereins gedroht hatten, gab der Hauptausschuss nach.
"Damals hat der Alpenverein wirklich versagt", sagt Nicholas Mailänder, Freikletterer und Alpinhistoriker. Erst ab den 1980er Jahren begann der Alpenverein, sich mit diesem Teil seiner Geschichte auseinanderzusetzen.
Bergliebe nach Israel mitgenommen
Viele der Juden, die während des Zweiten Weltkriegs oder danach aus Deutschland emigrierten, nahmen auch ihre Bergliebe mit. In Israel hätten sich viele im Norden des Landes angesiedelt, weil die dortigen Berge sie an die Alpen erinnerten, erläutert Ludwig Spaenle, Beauftragter der Bayerischen Staatsregierung für jüdisches Leben und gegen Antisemitismus.
Der Münchner Bergsteiger Bruno Roth, der 1939 in die USA emigriert war, sagte noch 30 Jahre später zu seiner Tochter:
"Unter dem Schlimmsten, was mir der Hitler angetan hat, ist, dass er mir meine bayrischen Berge weggenommen hat."