Der Herbstwind treibt junge Leute in das kleine Café im Münchner Univiertel. Es ist Mittagszeit, die Espressomaschine faucht und zischt, die Luft summt von Stimmen und Küchengeklapper. Hier trifft man auf 40 Quadratmetern das, was für die nächsten drei Jahre das Forschungsgebiet von Pionier-Pfarrer Daniel Steigerwald ist: das Milieu der jungen Erwachsenen zwischen 20 und 45, die mit Glauben entweder gar nichts mehr anfangen können oder die sich bei den großen Kirchen nicht zuhause fühlen.

Evangelische Kirche in der Innenstadt

60 Prozent der Gemeindemitglieder der evangelischen Innenstadtkirchen in München gehören zu dieser Gruppe. 60 Prozent Mitglieder, die nicht auftauchen?

"Ich kann das manchmal kaum glauben", sagt der 28-Jährige mit den dunklen Locken und schüttelt leise den Kopf, "aber da ist ein blinder Fleck, ein totaler Abbruch".

Schon vor einem Jahr haben die Markus- und die Matthäuskirche deshalb das Projekt "Munich Church Refresh" (MCR) ins Leben gerufen, das seine Antennen im Stadtraum jenseits von Gemeinde ausrichtet. Erste exotische Pflänzchen erblühen im Kirchgarten: eine Dinner-Church, bei der Fremde miteinander Kochen, Reden, Beten, Abwaschen, sowie das Kneipen-Format "Share!" oder die Reihe "Yoga plus", die Körperübungen und christliche Impulse verbindet. Daniel Steigerwald, zuvor Vikar in der Lukaskirche, hat MCR mitaufgebaut. Jetzt soll er, ermöglicht durch Mittel des Landeskirchen-Projekts "missional - unkonventionell - tandem" (MUT), als Pionier-Pfarrer mit einer halben Stelle die innovativen Projekte vorantreiben und bekannt machen.

MCR  Kirche in München

Das Prinzip von MCR ist: Hören, was sich die Menschen wünschen, neue Angebote schnell planen, Feedback einholen, Formate weiterentwickeln. "Flops fliegen raus", erklärt der gebürtige Hanauer, der in Unterfranken aufwuchs. Die Erfahrungen der Versuchsballons machen ihm Mut:

"Ich bin erstaunt, wie schnell Menschen, die sich sonst nie begegnen würden, eine Gemeinschaft werden."

Als Pionier-Pfarrer profitiert Daniel Steigerwald von seinem eigenen Lebenslauf: Aufgewachsen in den theologisch engen Grenzen einer freikirchlichen Brüdergemeinde lernte er im Studium die anglikanische und die lutherische Kirche kennen. "Ich habe von rechts bis links alles mitgemacht", lacht der junge Mann. Und obwohl er sich "theologisch und ethisch" in der bayerischen Landeskirche sehr wohlfühle, passe trotzdem vieles nicht zu ihm. Steigerwald nennt das "the gift of not fitting in", das Geschenk, nicht richtig dazuzupassen. Es schenkt ihm ein Gespür für die Menschen, die er mit neuen Angeboten zu geistlichen Erfahrungen einladen will.

Um diese Menschen zu erreichen, ist der Pionier-Pfarrer auf digitalen Plattformen wie Instagram, meinestadt.de oder bald auf meetup unterwegs.

Die Hälfte der Pfarrersausbildung müssten eigentlich, sagt er, zeitgemäße Kommunikationsstrategien sein, denn: "Viele Menschen suchen nach unseren Kernthemen - warum werden sie nicht fündig?"

Dass laut der jüngsten Kirchenmitgliederuntersuchung Religion für knapp 80 Prozent der Deutschen keine oder nur eine geringe Rolle spielt, wirft den jungen Pfarrer nicht aus der Bahn. Selbst wenn man die wachsende Gruppe der dezidiert Ablehnenden außer Acht lässt, "bleiben genug Menschen übrig, mit denen wir uns auf den Weg machen können". Vor zu hohen Erwartungen warnt Steigerwald: Der große "Gamechanger" in Sachen Kirchenaustritt würden Formate wie die von MCR nicht werden. "Die Volkskirche wird es in Zukunft nicht mehr geben" - das anzuerkennen, sei eine Entlastung.

Steigerwald wünscht sich eine Kirche, die "Kirche für andere" ist und der Versuchung widersteht, um sich selbst zu kreisen. Die nächsten Ideen hat er schon im Kopf: Einen geistlichen Co-Workingspace "Ora et labora" und die "Happy Hour Theologie" in der Kneipe um die Ecke - dort, wo die Luft schwirrt vor Stimmen und Küchengeklapper und die Espressomaschine faucht und zischt.

Kommentare

Diskutiere jetzt mit und verfasse einen Kommentar.

Teile Deine Meinung mit anderen Mitgliedern aus der Sonntagsblatt-Community.

Anmelden