"Mehr Fortschritt wagen" – So haben SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP ihren Koalitionsvertrag überschrieben. Das hört sich mutig an und ehrgeizig. Keine Frage, mit Blick auf die sozialen Herausforderungen braucht es genau das: ambitionierte Vorhaben. Aber können die Pläne der neuen Regierung für mehr soziale Gerechtigkeit sorgen? Tatsächlich setzt die Ampel-Koalition aus Sicht der Diakonie wichtige Impulse, doch gleichzeitig besteht auch Nachbesserungsbedarf.

Beispiel 1 – Armutsbekämpfung

Die neue Regierung plant im Koalitionsvertrag eine Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro. Damit verbessert sich nach unserer Auffassung die Chance, dass Menschen von ihrer Arbeit auch leben können. Außerdem haben die Ampel-Parteien vereinbart, dass es eine Kindergrundsicherung und statt Hartz IV künftig ein Bürgergeld geben soll. Aktuell liegt der Regelsatz für eine alleinstehende Person bei 446 Euro. Gerade in der teuren Metropolregion München und mit Blick auf steigende Energiepreise ist das viel zu wenig. Darum ist wichtig, dass sich nicht nur der Name der Leistung ändert, sondern auch deren Höhe. Allerdings haben die Parteien noch nicht festgelegt, wieviel Geld die Menschen künftig mehr bekommen sollen.

Beispiel 2 – Wohnen und Wohnungslosigkeit

Die Koalition will einen Nationalen Aktionsplan zur Überwindung von Obdach- und Wohnungslosigkeit auflegen, um die Obdachlosigkeit bis 2030 abzuschaffen. Ein ehrgeiziges Ziel, bei dem die Ausweitung des sozialen Wohnungsbaus eine zentrale Rolle spielt. Zwar will die neue Regierung die Mittel hierfür erhöhen um die Zielgröße von 100.000 Wohnungen pro Jahr zu erreichen, perspektivisch wird das jedoch den Bedarf an Sozialwohnungen nicht decken. Denn: Aktuell fallen jährlich etwa 80.000 Sozialwohnungen aus der Bindung, während nur circa 25.000 neue Sozialwohnungen entstehen. Hier greifen die Pläne der Ampel einfach zu kurz.

Beispiel 3 – Pflege

Die neue Regierung hat die Absicht, die Arbeitsbedingungen für Pflegekräfte zu verbessern. Dafür will sie u. a. eine Milliarde Euro für einen Pflegebonus zur Verfügung stellen. Auch für pflegebedürftige Menschen sind Erleichterungen vorgesehen: Die Eigenanteile, die sie in der stationären Pflege aufbringen müssen, sollen begrenzt und die Personalschlüssel verbessert werden. Zudem soll die Einführung einer Pflegevollversicherung geprüft werden. Das sind für uns gute Schritte in Richtung einer solidarischen Pflege, allerdings lässt der Koalitionsvertrag auch Fragen offen, zum Beispiel eine Regelung zu den Investitionskosten, die die Kosten für die pflegerische Versorgung in die Höhe treiben. Leider ist auch eine Verbesserung der Hospiz-/Palliativversorgung für schwerstkranke Menschen nicht vorgesehen.

Beispiel 4 – Migrationspolitik

Die Ampel-Parteien planen unter anderem, künftig Hürden beim Familiennachzug für alle Geflüchteten abzubauen. Die bisherige Praxis führt dazu, dass immer wieder Familien auseinandergerissen werden. Das Problem: Solange die Bearbeitung der Visumanträge zum Teil Jahre dauert, bleiben sie nahezu wirkungslos. Die Visumsverfahren müssen daher massiv beschleunigt werden. Ferner möchten die Regierungsparteien lebensgefährliche Fluchtwege, illegale Zurückweisungen und das Leid an den EU-Außengrenzen beenden. Konkrete Maßnahmen, wie sie das erreichen möchten, beschreiben sie im Koalitionsvertrag leider nicht.

Unser Fazit als Diakonie

Wenn die Pläne der Ampel-Koalition umgesetzt werden, kann sich in den nächsten Monaten und Jahren viel im sozialen Bereich verbessern. Am Ende der Legislaturperiode werden sich die Parteien an ihren Zielen messen lassen müssen – vor allem aber daran, was sie für die Menschen konkret erreicht haben.


 


 

Diakonie München & Oberbayern

Die Diakonie München & Oberbayern ist der größte soziale Träger in der Region. Nach eigenen Angaben arbeiten 5.000 Hauptamtliche und 2.500 Ehrenamtliche in den Einrichtungen.

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Die Diakonie München und Oberbayern ist ein eingetragener Verein und Mitglied im Diakonischen Werk Bayern.