Wenn sich alle dran halten, dann sind vergangene Woche wieder an die 1000 Ave-Maria-Gebete auf das jenseitige Seelenkonto von Jakob Fugger eingegangen. Am 23. August 1521 stiftete der wohlhabende Augsburger Kaufmann die Armensiedlung Fuggerei, wo Bedürftige umsonst wohnten und wohnen – bis auf einen symbolischen Gulden, was heute 88 Cent entspricht, und drei Gebete pro Tag. Im August feiert die Siedlung ihr 500-jähriges Bestehen. Das Verblüffendste daran ist, dass sie Anfang des 21. Jahrhunderts noch gebraucht wird, es wieder vermehrt Armut gibt.

Fuggerei in Augsburg ist kein Museum

Die Jakoberstraße in der Augsburger Innenstadt ist gesäumt von kleinen Kneipen und Läden, an denen die Trambahn vorüberfährt. Bei der Hausnummer 26 allerdings führt ein Torbogen die Besucher in die Vergangenheit, in die Wohnsiedlung aus dem Spätmittelalter. Wer einen Eintrittspreis von 6,50 Euro bezahlt, kann durch die Gassen schlendern und die kleinen Gärten hinter den einstöckigen, ockergelb gestrichenen Häusern mit den grünen Türen und den Klingelzügen besichtigen.

An einer Gassenkreuzung sprudelt ein Brunnen, Efeu rankt sich die Hauswände empor. Hie und da sitzen ältere Frauen im Schatten der Bäume. Manche Touristen glauben, bei ihnen handelt es sich um Statisten, die das Museum beleben sollen. Doch die Fuggerei ist kein Museum, sondern soziale Realität: Heute wohnen hier an die 150 bedürftige Menschen, die es wegen ihres geringen Einkommens auf dem normalen Mietmarkt schwer hätten.

Andere Wohnungen können sich die Bewohner nicht leisten

Zu ihnen gehört Christine Thoma, die 70-Jährige ist vor neun Jahren in die Fuggerei gezogen. An die 60 Quadratmeter hat ihre Wohnung im ersten Stock: Wohnzimmer mit Küchenzeile, Bad, Schlafzimmer. Die Treppe ist etwas steil. Auf dem Sofa sitzen Plüschtiere, eine Wand ist rosa bemalt. "Ich fühle mich hier sehr wohl", sagt die Augsburgerin.

Wie die anderen Bewohner muss sie nach dem Stiftungsstatut drei Bedingungen erfüllen: in Augsburg wohnen, katholisch sein – und bedürftig. Letzteres heißt, kein Vermögen über 5000 Euro zu besitzen, die meisten Einkommen liegen um die 900 Euro. Christine Thoma arbeitete zeitlebens in der Gastronomie, bis ihr klar wurde, dass sie eine Rente von 700 Euro zu erwarten hätte: "Da ist mir schwindlig geworden." Eine Wohnung hätte sie sich nicht leisten können. Zwei Freundinnen brachten sie auf die Idee, sich bei der Fuggerei zu bewerben. Das war nicht selbstverständlich. Früher galt die Fuggerei als "Asozialen-Siedlung" mit geringstem Wohnstandard – heute haben alle Wohnungen Bäder.

Gebete dienten dem Seelenheil des Stifters Jakob Fugger

Der ursprüngliche Stiftungszweck war, in Not geratenen Taglöhnern ein Dach über dem Kopf zu geben. Die Kaufmannsfamilie Fugger war im 15. Jahrhundert durch Tuchhandel reich geworden. Stifter Jakob Fugger (1459–1525) sorgte für sein Seelenheil, indem er den Bewohnern der Fuggerei statt einer Miete drei Gebete pro Tag für seine Familie auferlegte. Im Lauf der Jahrhunderte ist so ein erkleckliches Gebetskonto zusammengekommen.

Auch Christine Thoma erfüllt diese Pflicht: "Wenn ich nicht in die Kirche gehe, dann bete ich daheim." Ansonsten bezahlt sie einmal jährlich die symbolischen 88 Cent, hinzu kommen monatlich etwa 90 Euro für Nebenkosten wie Heizung oder Strom. In der Nachbarschaft ist sie aktiv, jeden Dienstag organisiert sie das Frühstück im Gemeinschaftstreff.

Lage auf dem Wohnungsmarkt hat sich verschärft

Warum wollen zu Beginn des 21. Jahrhunderts Menschen zu den Bedingungen wohnen, wie sie die Fuggerei bietet, zum Beispiel Touristen, die durch das Küchenfenster sehen? "Die Lage auf dem Wohnungsmarkt hat sich schon verschärft", sagt Stiftungssprecherin Astrid Gabler. Die Zahl der Bewerber auf die rund fünf Wohnungen, die jährlich frei werden, habe sich in den vergangenen drei Jahren verdoppelt, momentan stehen 100 Augsburger auf der Liste.

Nach 500 Jahren Geschichte blickt die Stiftung – sie finanziert sich überwiegend durch Forstbesitz – anlässlich des Jubiläums in die Zukunft. "Next 500" heißt ein einjähriges Veranstaltungsprogramm, das am 23. August seinen Anfang nimmt. Im Mittelpunkt steht die Idee, Unternehmen und Wohlhabende weltweit dazu anzuregen, eigene "Fuggereien der Zukunft" zu gründen.

Ausstellungen zum Jubiläum

Das Jubiläum wird mit einer Festwoche in der Fuggerei begangen. Eröffnet wird sie von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder am 23. August um 17 Uhr. Ergänzend zum Jubiläum gibt es zwei große Ausstellungen. Die Schau "Stiften gehen! Wie man aus Not eine Tugend macht" im Augsburger Maximilianmuseum verdeutlicht, warum gerade im 16. Jahrhundert viele Stiftungen ihren Ausgang nahmen. Das Diözesanmuseum dokumentiert in der Ausstellung "1521" geschichtliche Ereignisse, die ins Jahr der Fuggerei-Gründung fallen - etwa der Reichstag zu Worms mit der Bannung Martin Luthers oder die Weltumseglung Magellans.