Jahrzehntelang hat niemand die mögliche Brisanz dieses Raumes erkannt: In einem Regensburger Altstadt-Anwesen in unmittelbarer Nähe zur Steinernen Brücke fanden Denkmalschützer hinter einer Schrankwand ein Versteck, das um 1930 entstanden sein soll. Experten gehen davon aus, dass der frühere Besitzer des Hauses dort Verfolgte des NS-Regimes versteckte. Die neuen Eigentümer des Hauses in der Brückstraße 4 und die Stadt Regensburg wollen den Ort öffentlich zugänglich machen.

Ein raffiniertes Versteck

Der Fund kam beim Umbau und der Sanierung des mittelalterlichen Hauskomplexes ans Licht. Selbst ein erfahrener Denkmalschützer wie Eugen Trapp von der Stadt Regensburg zeigt sich beeindruckt:

"Selbst die früheren Eigentümer, die Familie Wiedamann, der das Haus bis 2020 gehörte, kannten es nur als 'Kammerl' oder Lagerraum, in dem alte Akten abgestellt waren",

berichtet er. Niemand habe sich bis dahin Gedanken gemacht über die "Raffinesse des Verstecks", mit der es wohl in den Jahren 1931 bis 1938 angelegt wurde, sagt der promovierte Kunsthistoriker. Der Zeitraum der Entstehung lasse sich aufgrund der Materialität und des Mobiliars genau eingrenzen.

Arbeitszimmer mit geheimer Regalwand

Im Arbeitszimmer des früheren Firmenbesitzers Eugen Wiedamann, der in den 1920- und 30er Jahren Firmenchef einer Zinngießerei war, befand sich eine Regalwand, in der Bücher aufbewahrt wurden. Ein Segment des Regals war als Garderobe gestaltet, deren Rückwand sich öffnen und einen Stahltresor zum Vorschein kommen ließ. "Ein Dieb würde meinen, jetzt ist er am Ziel", sagt Trapp.

"Wenn man aber gegen die Rückwand des geöffneten Tresors drückt und einen gewissen Widerstand überwindet, lässt sich das ganze Segment der Garderobe als Tür öffnen und man gelangt in einen nicht belichteten, aber belüfteten und beheizten Raum in L-Form."

Parallele zum Anne-Frank-Haus 

"Mich hat das sofort an die Situation im Anne-Frank-Haus in Amsterdam erinnert", sagt der bayerische Antisemitismusbeauftragte Ludwig Spaenle, der sich den Raum bereits zeigen ließ. Dass so etwas in einem mittelalterlichen Gebäudekomplex in der Regensburger Altstadt gefunden wurde, hält er für "singulär". Spaenle befürwortet, diesen Ort zu konservieren und einen Erinnerungsort daraus zu machen.

Das Versteck ist etwa fünf Quadratmeter groß und könnte bis zu fünf Personen beherbergen und untertauchen lassen, betont Denkmalschützer Trapp. Ideal sei das Versteck auch deshalb gewesen, weil es auf der gegenüberliegenden Seite des geheimen Zimmers wiederum einen Zugang gab, der ins Treppenhaus des Nachbarhauses auf der anderen Straßenseite führte und vom dortigen Treppenhaus wiederum als Garderobe getarnt gewesen sei.

In einem Zimmer ist eine dunkle, hölerne Schrankwand zu sehen mit Glastüren. Links ist eine weiße Tür.
"Kammerl" in Regensburg

Noch ist man dabei, das Ganze zu verifizieren. Pläne oder Grundrisse, die das Kammerl dokumentieren, existieren nicht - immerhin sollte der Raum absolut geheim sein. Inzwischen habe sich aber eine ältere Person gemeldet, die wissen könnte, ob dieser Raum als Versteck für Verfolgte diente. Dem wird nun nachgegangen, sagt Trapp.

Eigentümer des Hauses waren NS kritisch

Firmenchef Wiedamann habe als liberale Persönlichkeit dem NS-Regime kritisch gegenübergestanden. Das sei bekannt gewesen, sagt Trapp. Unter seiner Ägide wurde die Zinngießerei von einem Gewerbe- zu einem Kunstgewerbe-Betrieb umgebaut. Er besaß Kontakte zu Künstlern, arbeitete mit Museen zusammen.

Unter seiner Regie wurden nicht nur profane, sondern auch sakrale Gefäße wie ein Chanukka-Leuchter gefertigt, der später im Nürnberger Gewerbemuseum ausgestellt wurde, bestätigt die Kunsthistorikerin Caroline-Sophie Ebeling, die über die Regensburger Familie promoviert hat.

Während des Zweiten Weltkrieges brach die Herstellung von Zinnprodukten fast vollständig zusammen. Eugen Wiedamanns Sohn Richard Wiedamann sen. (1905-1969), der seit 1934 Mitteilhaber der Firma war, musste mit der Zinngießerei als kriegswichtigem Betrieb Kleinteile für die Flugzeugproduktion fertigen. Ab November 1942 mussten vermehrt russische Kriegsgefangene angestellt werden, um die Produktion aufrechtzuerhalten, erläutert Ebeling: "Der Großteil der Facharbeiter der Zinngießerei war im Kriegseinsatz.

Die Kriegsgefangenen aus der Sowjetunion wurden über das Rüstungskommando der Wehrmacht in Regensburg von Richard Wiedamann sen. angefordert. Die Firma musste laut Fachliteratur dafür auch Entgelt leisten."

Ob als Versteck genutzt bleibt Spekulation

Ob das geheime Zimmer ein Versteck-Raum für NS-Verfolgte gewesen sein könnte, darüber will Ebeling nicht spekulieren. "Auch die Töchter der Familie kennen es nur als Lagerraum", sagt die Kunsthistorikerin.

Im Nebenraum des Versteck-Zimmers wurde auch ein doppelter Boden gefunden, den man mit einem Teppich bedecken konnte, erläutert Kulturreferent Wolfgang Dersch. In diesem hätten noch einmal bis zu 14 Personen Platz gefunden.

"Mir kommt immer die Assoziation mit dem Anne-Frank-Haus in Amsterdam - dass hier Räume geschaffen wurden, um Menschen vor den NS-Schergen zu schützen",

sagt er. Für Dersch ist es keine Frage, dass dieser Versteck-Raum öffentlich zugänglich gemacht werden muss. "Man könnte dort authentische Lesungen zum Thema anbieten", sagt der Kulturreferent.

Der Antisemitismusbeauftragte Spaenle hat schon jetzt seine Unterstützung zugesagt. Fördermittel könnten aus besonderen Denkmalprogrammen, die der Bund zur Verfügung stellt, kommen. Dafür wolle er sich einsetzen.

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