Kritik an Israels Besatzungspolitik, am Siedlungsbau, an der Art der Kriegsführung in Gaza – all das ist nicht nur erlaubt, sondern vielleicht sogar nötig. Aber überall, wo die furchtbar falschen Begriffe "Genozid" oder "Apartheid" fallen, muss jeder wissen, dass man es mit Codes und Kürzeln antisemitischer Propaganda zu tun hat. Sie zu beklatschen, wie es regelmäßig in der deutschen Kulturszene der Fall ist, zuletzt wieder beim Finale der Berlinale am letzten Wochenende – das ist wie AfD wählen, obwohl man wissen kann und wissen muss, dass die Höcke-Partei rechtsextrem ist.

Im deutschen Kulturbetrieb gibt es ein offensichtliches Antisemitismusproblem

Ob bei der Kasseler ­documenta, beim Mbembe-Skandal oder bei inzwischen unzähligen anderen Anlässen – im deutschen Kulturbetrieb gibt es ein offensichtliches Antisemitismusproblem. Israel­hass ist an Universitäten und auf deutschen Kulturveranstaltungen zu einer erschreckenden Regelmäßigkeit geworden. Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, der Würzburger Mediziner Josef Schuster, beklagt mit Recht: "Schon wieder ducken sich bei der Berlinale viele politisch Verantwortliche weg und haben nicht den Mut, gegen Applaus für Israelhass aufzustehen."

Viel Gratismut im Festivalsaal, wenig echte Courage. Mutig wäre es gewesen, gegen den Applaus anzuprotestieren – auch den von Politikerinnen und Politikern, die anschließend mühevoll zurückruderten. Kein Wort fiel auf der Berlinale über die Hamas, über das, was am kriegsauslösenden 7. Oktober geschah, über die beiden jungen Berlinerinnen Carolin Bohl (22) und Shani Nicole Louk (22), die damals friedlich auf einem Festival tanzend auf grausame Weise ermordet wurden.

Die Sehnsucht nach dem Ende der Existenz des Staats Israels und der Vertreibung aller Juden

Stattdessen erschienen am vergangenen Sonntag auf dem offiziellen Instagram-Account "Berlinale.Panorama" Sprüche wie "Völkermord ist Völkermord. Wir sind alle mitschuldig" oder "Free Palestine – From the River to the Sea" und "Beendet den deutsch-finanzierten Staatsterror". Das Filmfestival distanzierte sich zwar von den Aussagen; das Konto sei gehackt worden, man habe Strafanzeige gegen Unbekannt erstattet. Aber der Vorfall passt ins Bild.

Sogar "Ende der Besatzung" ist übrigens ein zumindest zweideutiges Codewort, wie der deutsch-türkische frühere DITIB-Jurist Murat Kayman nach der Berlinale betonte: In weiten Teilen der muslimischen Gemeinschaft sei diese Forderung nicht als Kritik an den Zuständen im Westjordanland oder am Siedlungsbau gemeint – wie beispielsweise kritische Israelis den Begriff verstehen –, "sondern als Sehnsucht nach dem Ende der Existenz des Staats Israels und der Vertreibung aller Juden".

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