Ein neues Projekt der bayerischen Landeskirche soll ermitteln, wie viele antisemitische und problematische Darstellungen es im kirchlichen Raum gibt und ob oder wie bereits kritisch damit umgegangen wird. Axel Töllner ist Beauftragter der Landeskirche für den christlich-jüdischen Dialog, Kraus emeritierter Theologie-Professor.
"Es gibt auch subtilere Formen antijüdischer und rassistischer Darstellungen, die einem beim beiläufigen Betrachten erst einmal gar nicht so auffallen"
Herr Töllner, Herr Kraus, wann sind bildliche Darstellungen in Kirchen, also Statuen, Plastiken, Fenster, Wandbilder und Gemälde problematisch?
Axel Töllner: Es gibt keinen abschließenden Kriterienkatalog, wann etwas problematisch ist. Diese Einschätzung ändert sich immer wieder mal, genauer gesagt werden wir heute sensibler dafür. Wenn an der Fassade einer Kirche zum Beispiel eine sogenannte Judensau-Skulptur zu sehen ist, dann ist inzwischen unstrittig, dass das als antisemitische Darstellung einer Einordnung bedarf. Es gibt aber auch subtilere Formen antijüdischer und rassistischer Darstellungen, die einem beim beiläufigen Betrachten erst einmal gar nicht so auffallen. Da braucht es ein geschultes Auge.
Wenn solche Darstellungen dann entdeckt oder eben ihr Hintergrund als problematisch erkannt wird, wie sind die Reaktionen der Verantwortlichen vor Ort?
Töllner: Auch das kann man nur schwer pauschal sagen. Meistens gibt es großes Verständnis vor Ort, wenn man die Hintergründe erläutert. Manchmal gibt es aber auch Sensibilitäten, weil die Darstellungen zum Kirchengebäude und zur Geschichte einer Gemeinde gehören. Da gilt es dann, Überzeugungsarbeit zu leisten, weil eben manche Problematik nicht so offensichtlich ist. Was man allerdings allgemein sagen kann: Die Kirchenleitenden haben durchweg verstanden, dass das ein wichtiges Thema ist und bleiben wird.
Sie haben von problematischen Darstellungen gesprochen, die eher subtil und nicht so offensichtlich antisemitisch sind. Können Sie dafür Beispiele nennen?
Wolfgang Kraus: Nehmen Sie die Geschichte der Tempelreinigung, als Jesus die Händler aus dem Tempel jagt. Da wird Jesus in etlichen bildlichen Darstellungen gänzlich anders dargestellt als die Händler, die eine antisemitische Physiognomie haben. Oder auch die Pharisäer, die oft als gestrenge ältere Herren abgebildet werden – anders als der freundliche Jesus. Oder wenn Jesu' Folterknechte hebräische Schriftzeichen auf der Kleidung tragen, andere dargestellte Personen aber nicht. Das sind Wertungen im Bild – und meistens eben Abwertungen.
"Die Plastik verbildlicht die Dolchstoß-Legende der Nationalsozialisten und zeigt auch eine "Judenfratze""
Solche problematischen Darstellungen gibt es ja nicht nur an und in Kirchen, sondern vermutlich an und in vielen historischen Gebäuden. Wie geht man andernorts damit um?
Kraus: Ehrlicherweise muss man sagen, dass es vielerorts noch ein sehr unbeholfener Umgang ist – der von Verweigerung über Ausblenden bis zur Naivität reicht. Ich berichte in diesem Zusammenhang immer gern vom Kriegerdenkmal in meiner Heimatgemeinde Mainbernheim in Unterfranken. Die Plastik verbildlicht die Dolchstoß-Legende der Nationalsozialisten und zeigt auch eine "Judenfratze". 1945 wurde das Denkmal abgebaut, 40 Jahre später wieder aufgebaut. Es hat viele Jahre gedauert, bis die Darstellung kontextualisiert wurde. Wie das im Jahr 2010 durch die Versetzung des Denkmals und eine erklärende Tafel geschehen ist, würde ich allerdings als vorbildlich bezeichnen.
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, mit solchen Bildnissen heute umzugehen: Abnehmen und abbauen, kommentieren und kontextualisieren oder auch überarbeiten. Was raten Sie?
Töllner: Das ist immer eine Einzelfallentscheidung, die Lösung muss immer vor Ort im Gespräch erarbeitet werden. Die Verantwortlichen vor Ort müssen zunächst erkennen, dass es da ein Problem gibt. Dann ist es an ihnen zu sagen, was für sie am besten passt. Manchmal hat natürlich auch der Denkmalschutz noch ein Wort mitzureden. Und letztlich muss man auch sagen: Solche Entscheidungen sind nicht für die Ewigkeit. Es kann sein, dass ein vor 20 Jahren als angemessen empfundener Umgang heute nicht mehr passend ist.
Kritiker werden in solchen Fällen dann sagen, man lasse sich zu sehr vom Zeitgeist leiten. Blicken wir mal nach St. Sebald in Nürnberg - dort gibt es einen Flyer zu den antijüdischen Darstellungen …
Töllner: ... und trotzdem gibt es regelmäßig wieder Diskussionen, ja. Ich finde aber nicht, dass das etwas mit einem "Zeitgeist" zu tun hat. Ansichten und Überzeugungen ändern sich zum Glück. Und gerade beim Umgang mit diffamierenden Darstellungen kann es nie einen "Status quo" für alle Zeiten geben, der dann der "Gipfel der Aufklärung" oder des richtigen Umgangs mit dem Thema ist. Ich habe 2008 selbst an dem Flyer mitgearbeitet, das ist kein "Endpunkt". Die Kirchengemeinde befasst sich momentan wieder sehr intensiv mit dem Thema.
Aber wenn man so ein Thema quasi regelmäßig auf Wiedervorlage hat, wäre es dann nicht einfacher, die Plastik abzunehmen und mit einer Einordnung ins Museum zu stellen?
Kraus: Das wäre vielleicht einfacher, aber nicht angemessen. Ich fände es schwer vorstellbar, wenn etwa die "Judensau" vom Regensburger Dom entfernt und ins Museum gestellt würde. Denn: Diese Darstellung gehört zum Bildprogramm dazu. Weshalb die Darstellung immer wieder Thema ist, liegt vor allem daran, dass - nach meinem Dafürhalten – die Kommentierung Schwächen hat. Denn für die antisemitische Darstellung übernimmt bis heute niemand direkt Verantwortung, es ist immer von "man" oder "es wurde" die Rede. Das ist zu wenig.
"Die Entfremdung, Feindseligkeit und Abwertung gegenüber dem Judentum hat auf christlicher Seite eine mehr als 1.500-jährige Geschichte"
Das klingt jetzt fast so, als würde eine Kommentierung oder Kontextualisierung wenig an der Denkweise ändern, sondern sei nur eine Form von "Geschichts-Kosmetik"...
Töllner: ... sagen wir es so: Die Entfremdung, Feindseligkeit und Abwertung gegenüber dem Judentum hat auf christlicher Seite eine mehr als 1500-jährige Geschichte. Diese über Jahrhunderte eingeübten antisemitischen Denk- und Sprechformen kann man nicht in wenigen Jahren völlig ablegen - das ist eine Jahrhundertaufgabe. Ich würde sagen, wir sind da auf einem guten Weg. Aber wir müssen immer wieder neu erklären, warum auch und gerade aus theologischer Sicht eine antijüdische Haltung für Christenmenschen nicht tragbar ist.
Können Sie das näher erläutern?
Kraus: Jesus war Jude, seine Jünger waren Juden. Es gibt schon deshalb überhaupt keinen Grund, sich von "den Juden" theologisch abzugrenzen. Jesus hat auch nicht die religiösen oder moralischen Überzeugungen seiner Zeit infrage gestellt – und er ist auch nicht deshalb verurteilt und ans Kreuz geschlagen worden. Jesus war der Überzeugung, von Gott dazu bestimmt zu sein, die Ankunft der Gottesherrschaft zu verkündigen: Kehrt um, glaubt an die frohe Botschaft, das Evangelium, die Gottesherrschaft ist nahe herbeigekommen, alles wird gut, so lautete seine Botschaft. Durch seine Zeichenhandlungen, Heilungen und Exorzismen, versuchte er, Menschen für Gott und seine Herrschaft zu begeistern. Er hat das auch bei einem Teil der Bevölkerung geschafft, ein anderer Teil blieb indifferent, ein Teil lehnte ihn ab. Doch seine Botschaft enthielt auch politischen Sprengstoff: Wenn die Gottesherrschaft kommt, was wird dann aus der Herrschaft der römischen Besatzungsmacht? Dies konnte ihm als Störung der öffentlichen Ordnung ausgelegt werden. Deshalb wurde er schließlich verhaftet und verurteilt.
"Das Judentum wird in Texten nach wie vor nicht selten als "dunkle Folie" benutzt, um Jesus heller erstrahlen zu lassen"
Ist das Thema eigentlich ein ausschließlich historisches, oder gibt es auch heute noch problematische Darstellungen?
Töllner: Nachdem die Sakralkunst inzwischen sehr viel abstrakter ist als noch vor 100 Jahren, ist das Thema nach meinem Eindruck zumindest an und in Kirchenbauten bei Werken aus der jüngsten Zeit keines mehr. Aber diese Bildsprache lebt weiter, etwa in Kinderbibeln. Da hat Jesus oftmals hellere Haut als seine vermeintlichen Gegner. Häufig unterscheiden sie sich auch durch klischeehafte Kleidungsstücke oder Kopfbedeckungen. Außerdem wird das Judentum auch in Texten nach wie vor nicht selten als "dunkle Folie" benutzt, um Jesus heller erstrahlen zu lassen.
Der Verein BCJ.Bayern (Begegnung von Christen und Juden – Verein zur Förderung des christlich-jüdischen Gesprächs in der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern) hat Anfang März in Nürnberg eine Experten-Tagung zum Thema abgehalten – sie war auch der Startschuss für ein neues Projekt. Worum geht es da?
Kraus: Landesbischof Christian Kopp hat den Anstoß für dieses Projekt gegeben. Unser Ziel ist es, dass wir problematische Darstellungen dokumentieren oder zumindest mal die bekannten Fälle sichten - und natürlich wollen wir auch erfassen, ob schon kritisch mit dem Thema umgegangen wurde. Neben den bekannten Fällen gibt es sicher auch noch viele, die kaum jemand auf dem Schirm hat. Diese zu finden, das wird wahrscheinlich die große Herausforderung des Projekts. Vielleicht starten wir irgendwann eine landesweite Befragung …
Töllner: ... zunächst werden wir erst einmal eine Projektbeschreibung aufsetzen. Und dann überlegen wir Schritt für Schritt, welche Fachleute wir dafür brauchen. Ehrlicherweise haben wir überhaupt keine Vorstellung davon, welche Dimensionen das Projekt haben wird und welche Ressourcen man dafür braucht.
Kraus: Das ist ein wenig wie bei den Synagogen-Gedenkbänden. Hätten wir vorher gewusst, dass das 19 Jahre dauert und wir am Ende 1,9 Millionen Euro Gesamtbudget benötigen, hätten wir es vielleicht nie begonnen.
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