Im Frühjahr 1946 wurde der Chor des "Pfarr-Waisenhauses" Windsbach gegründet - Chorleiter Hans Thamm formte daraus in wenigen Jahren ein weit über die Region beachtetes Ensemble.

Sein Nachfolger Karl-Friedrich Beringer führte den Windsbacher Knabenchor dann mit Tourneen auch außerhalb Europas an die Weltspitze der Knabenchöre. Unter seinem erst dritten Chorleiter Martin Lehmann feiert der Chor heuer sein 75-jähriges Bestehen. Wegen Corona in kleinem Rahmen. Der Evangelische Pressedienst (epd) zeichnet die Meilensteine der Geschichte des Chores nach.

18. März 1946: Die ersten 91 Windsbacher ziehen nach Ende des Zweiten Weltkrieges in das wiedereröffnete Pfarrwaisenhaus in Windsbach ein. Die Bezeichnung der bereits 1837 eröffneten Einrichtung führte von Anfang an etwas in die Irre: Die Zahl der Waisenkinder aus Pfarrfamilien war stets überschaubar. Vielmehr schickten Landpfarrer ihre Söhne dort zur höheren Schule.

7. Juli 1946: Der Chor des "Pfarr-Waisenhauses" unter der Leitung von Chorpräfekt Hans Thamm, der in Windsbach auch als Musiklehrer am Gymnasium arbeitet, hat sein erstes Konzert. Im Festsaal des Pfarrwaisenhauses laden die jungen Choristen zu einer "kirchenmusikalischen Feierstunde" ein und singen dabei unter anderem Stücke von Bach, Schütz und Reger.

10. Dezember 1947: Erstmals tritt der Chor unter seinem heutigen Namen auf. Der "Windsbacher Knabenchor" gestaltet den Gottesdienst und den Festakt zur Eröffnung der Augustana Hochschule der bayerischen Landeskirche in Neuendettelsau mit. Der neue Name wird von Thamm aber vorerst nicht beibehalten, erst später wird er zum dauerhaften Markenzeichen des Chors.

Juli/August 1948: Der Chor schafft etwas mehr als zwei Jahre nach seiner Gründung den überregionalen Durchbruch und darf bei der Ansbacher Bachwoche auftreten - Kritiker überregionaler Medien sind begeistert. Anfang August lädt dann der Bayerische Rundfunk (BR) das Ensemble zu ersten Tonbandaufnahmen ein. Die sind so erfolgreich, dass der BR bald weitere möchte.

8. Mai 1955: Die Windsbacher singen bei der Amtseinführung des neuen bayerischen Landesbischofs Hermann Dietzfelbinger in St. Lorenz. Die Nürnberger Kirche wird zum Hauptwirkungsort der Windsbacher, zwischenzeitlich wird sogar über einen Umzug in die Großstadt sinniert. Letztlich bleibt der Chor aber "auf dem Land". 1955 beginnt auch die Tradition der "Lorenzer Motetten".

1964: Der Verein "Windsbacher Freundeskreis" wird gegründet. Er unterstützt Pfarrwaisenhaus und Chor ideell und materiell, zudem soll der Verein die Beziehungen zu ehemaligen Sängern pflegen. Auch Werbung für die Windsbacher ist nötig: Immer wieder hat der Chor Probleme, passenden Nachwuchs zu finden. Bewerber gibt es viele, nicht immer sind sie aber begabt genug.

16. Februar 1975: Das neue Chorzentrum in Windsbach wird mit einem festlichen Konzert eingeweiht. Das großzügige neue Haus ersetzt das erste, 1958 erbaute Chorhaus. Ebenfalls im Jahr 1975 war der Windsbacher Knabenchor beim Festakt zur Einführung des neuen bayerischen Landesbischofs Johannes Hanselmann in der Nürnberger Meistersingerhalle für die Musik zuständig.

Dezember 1977/Februar 1978: Chorgründer Thamm verlässt die Windsbacher aus gesundheitlichen Gründen Ende 1977. Sein Nachfolger wird Karl-Friedrich Beringer, der in der Region kein Unbekannter ist. Thamm saß der Auswahlkommission für seinen Nachfolger vor und begründete Beringers Wahl so: "Weil er von allen, die sich zum Probedirigat vorgestellt hatten, der beste war."

6. August 1983: Die Windsbacher brechen zu ihrer allerersten Konzertreise nach Übersee auf: Für vier Wochen touren sie durch Brasilien auf Einladung der dortigen lutherischen Kirche. In den nächsten Jahren folgen Konzertreisen in die DDR, nach Russland, später auch nach Japan, China, Israel und in die USA. Der Chor wird weltweit für seine musikalische Perfektion gefeiert.

21. Oktober 1993: Das neue Internats-Hauptgebäude wird eingeweiht. Die Gesamtanlage von Chor und Studienheim wächst und wächst, im Neubau sind Mitarbeiterwohnungen, die Küche, ein Speisesaal und einige Gruppenbereiche untergebracht. Auch die Außenanlagen mit den Sportstätten werden modernisiert. Es entsteht ein richtiger Campus, der bis heute Bestand hat.

2004: Über die Medien werden gegen Chorleiter Beringer Vorwürfe wegen der Misshandlung Schutzbefohlener laut. Er soll unter anderem Schüler gedemütigt haben. Die Staatsanwaltschaft Ansbach ermittelt, die Untersuchungen erhärten die "schweren Tatvorwürfe" nicht - im Gegenteil, die Staatsanwaltschaft entlastet ihn vielmehr. Doch immer wieder flammt Kritik an Beringer auf.

2010: Drei Jahre nach Thamms Tod werden Vorwürfe gegen ihn und andere ehemalige Verantwortliche der Einrichtung laut. Eine externe Untersuchung ergibt: Ohrfeigen und Schläge waren in den 1950er und 1960er Jahren gängige Erziehungsmethoden in Windsbach. Systematische Misshandlung indes gab es offenbar nicht. Die Leitung entschuldigte sich für entstandenes Leid.

22. Dezember 2011: Beringer gibt ein letztes Konzert mit "seinen Windsbachern" in Ansbach. Ein letztes Mal dirigiert er den Chor, den er 34 Jahre geleitet und an die Weltspitze geführt hat. Die Jungs singen die Teile von Bachs Weihnachtsoratorium. Beringer sagt zum Abschied aus Windsbach, es sei nicht so, dass nun eine große Last von ihm abfalle: "Nein, ich verliere etwas."

1. Februar 2012: Martin Lehmann übernimmt die Windsbacher. Der Chorleiter war einst selbst Sänger im Dresdner Kreuzchor. Für viele Beobachter ist er ein Überraschungskandidat - denn aus den 49 Bewerbungen für die Stelle fischte die Auswahlkommission am Ende nur drei Bewerber für ein öffentliches Probedirigat heraus, darunter auch bereits renommierte Chorleiter.

26. Februar 2013: Die Windsbacher feiern das 175-jährige Bestehen des Pfarrwaisenhauses. Das Internat für Söhne von verstorbenen Pfarrern oder Landpfarrern, die ihrem Nachwuchs den Besuch einer höheren Schule ermöglichen wollen, wurde 1837 eröffnet. Das Pfarrwaisenhaus entwickelte sich unter Hans Thamm zur "Keimzelle" des Windsbacher Knabenchores.

20. März 2020: Die Corona-Pandemie und ihre Folgen treffen nun auch den Chorbetrieb in Windsbach. Das Internat muss ab diesem Tag schließen, alle Kinder und Jugendliche nach Hause zu ihren Eltern - aus Infektionsschutzgründen. Normale Chorproben, Tage der Offenen Tür oder Vorsingtermine können nicht mehr stattfinden, die Windsbacher setzen alternativ auf Digitales. 

Was Paul über seine Zeit beim Windsbacher Knabenchor erzählt, erfahren Sie hier
 

Bekannte ehemalige Windsbacher Knabenchor-Sänger

Der Windsbacher Knabenchor ist nicht bloß als Ensemble weit über Westmittelfranken hinaus bekannt, auch einige ehemalige Choristen machten Karriere - manche als Musiker, andere wurden beispielsweise Landesbischof der bayerischen Landeskirche. Der Evangelische Pressedienst (epd) listet einige ehemalige Choristen auf, deren Namen man auch aus anderen Bezügen kennt:

HERMANN VON LOEWENICH, bayerischer Landesbischof von 1994 bis 1999, war von 1946 bis 1951 Sänger bei den Windsbachern. In einer Festschrift zum 50-jährigen Bestehen des Chors schrieb er: "Ganz sicher hat mich die Zugehörigkeit zum Knabenchor mitbestimmt, dass ich nach einem Zögern und kurzen Gastrollen in anderen Fakultäten den Weg in das Theologiestudium wählte."

MICHAEL SCHANZE, Sänger, Komponist und Moderator, war bis zu seinem Abitur 1966 Mitglied der Windsbacher. Überregional bekannt wurde Schanze durch seine Fernsehsendungen im ZDF, wie zum Beispiel "Hätten Sie heut’ Zeit für mich?" (1972-1978), "1, 2 oder 3" (1977-1985) sowie seine ARD-Sendungen "Flitterabend" (1988-1995) und "Kinderquatsch mit Michael" (1991-2003).

DAVID LUGERT, Sänger der A-cappella-Band "Viva Voce", war zusammen mit den anderen drei Gründungsmitgliedern der Band, Bastian Hupfer, Matthias Lutze und Thomas Schimm ebenfalls im Windsbacher Knabenchor. Sie erhielten dort ihre musikalische und stimmliche Ausbildung. Die Band ist der Kirche nach wie vor verbunden und wirkt regelmäßig auch in Gottesdiensten mit.

MARTIN SCHMIDT (1933-2011), war von 1991 bis 2001 für die Grünen Mitglied der Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg. Der Gräzist war in seiner Schulzeit Sänger bei den Windsbachern. In seiner Freizeit beschäftigte er sich mit der Geschichte der Blankeneser Juden und gründete im Jahr 2003 einen Verein zur Erforschung deren Geschichte mit.

YOSEMEH ADJEI, mit ghanaischen Wurzeln in Nürnberg geboren ist er als Windsbacher Sängerknabe "groß" geworden und wirkte schon im Alter von zehn Jahren an zahlreichen Schallplatten- und Fernsehproduktionen sowie Konzerttourneen mit. Später ließ er sich an der Musikhochschule Karlsruhe zunächst als Trompeter ausbilden. Heute ist er gefragter Sänger im Bereich "Alte Musik".

MATHIS MOOTZ, besser bekannt unter seinem Künstlernamen "Panacea", zählt zu einem der bedeutenderen Vertreter einer neuen Form des "Drum and Bass", die Einflüsse aus Hardcore Techno, Industrial und Noise aufnahm. Als DJ und Produzent ist er unter verschiedenen Pseudonymen unterwegs. Zur Schulzeit war der Sopranist (Jahrgang 1976) Mitglied der Windsbacher.

THOMAS FLEISCHMANN, ist Sportjournalist und TV-Moderator und hat auf den ersten Blick erst einmal wenig mit Musik zu tun. Bis zum Abitur war Fleischmann allerdings Knabenchorsänger und Solist in Windsbach. Über verschiedene Stationen kam der 1981 in Neuendettelsau geborene Fleischmann zum Spartensender Sky Sport News HD, für den der Journalist bis heute tätig ist.