Die Inzidenzen unter Kindern und Jugendlichen liegen auch in Bayern im dreistelligen Bereich - Ende August bei den 16- bis 18-Jährigen bei fast 200 und bei den 12- bis 15-Jährigen bei etwa 130. Vor wenigen Monaten hätte da noch die Bundesnotbremse gegolten. Dennoch wird auch an Schulen gelockert. Woher kommt Ihr Optimismus?

Michael Piazolo: Studien haben immer wieder ergeben, dass sich die Menschen vor allem im Privaten und im Urlaub mit Corona infizieren. Ansteckungen an Schulen sind da vergleichsweise selten. Sehen wir uns die vergangenen Monate an: Da waren die Schulen offen, wir hatten Präsenzunterricht. Und trotzdem sind die Corona-Infektionsraten in Bayern weiter gesunken. Die regelmäßigen Testungen an Schulen haben dazu beigetragen, die dritte Corona-Welle zu durchbrechen.

Sie haben also keine Angst vor einer Durchseuchung der Jüngsten?

Piazolo: Wie gesagt: Die Ansteckungen finden vor allem im Privatbereich statt und weniger an den Schulen. Wir tun alles dafür, dass die Schulen ein sicherer Ort sind.

Präsenzunterricht bleibt Ihr oberstes Ziel. Wechselunterricht ist gestrichen, dennoch könnte es noch im Fall der Fälle zu Distanzunterricht kommen ...

Präsenzunterricht ist nicht nur oberstes Ziel, sondern Maxime.

Piazolo: Präsenzunterricht ist nicht nur oberstes Ziel, sondern Maxime. Gerade auch vor dem Hintergrund des weiteren Impffortschritts. Das ist jetzt geboten. Denn: Schule ist ja auch ein sozialer Ort, ein Ort der Begegnung, der Freunde. Distanzunterricht wird es pauschal ab einer bestimmten Inzidenz oder Hospitalisierungsrate jedenfalls nicht geben.

Wie genau werden denn die Schulen zu einem Corona-sicheren Ort gemacht?

Piazolo: Es soll Quarantäne-Regelungen mit Augenmaß geben, also differenzierte Prüfungen, anstatt pauschal eine ganze Klasse in Quarantäne zu schicken. Die Gesundheitsämter schauen zum Beispiel, wer besonders nah an der infizierten Person dran war, also zum Beispiel Sitznachbarn. Wer in Quarantäne ist, kann sich künftig nach fünf Tagen freitesten.

Kein Impf-Druck auf die Kinder und das Lehrpersonal

Zum neuen Schuljahr soll es auch Impfangebote an Schulen geben. Laut Gesundheitsministerium sind aktuell fast ein Drittel der 12- bis 17-Jährigen einfach geimpft, rund ein Viertel doppelt. Die Arztpraxen haben genügend Impfkapazitäten. Was erhoffen Sie sich von den Schulimpfungen?

Piazolo: Es geht uns um ein zusätzliches niederschwelliges Angebot neben den Impfzentren und den Hausärzten. Konkret sieht es so aus, dass medizinisches Personal an die Schulen kommt, etwa in die Turnhalle oder in die Aula, und dort Schülerinnen und Schüler und Lehrkräfte impft, wenn sie dies möchten. Bei Minderjährigen mit Einverständnis der Eltern.

Glauben Sie, dass der Druck auf ungeimpfte Kinder ab 12 Jahren im Klassenzimmer steigt? Sie outen sich ja schon indirekt, weil sie sich - im Gegensatz zu geimpften Schülern - weiterhin testen müssen.

Piazolo: Das befürchte ich nicht. Bei den Lehrkräften wissen wir übrigens aus Umfragen aus den Lehrerverbänden, dass ein sehr großer Teil bereits geimpft ist. Wir werden jedenfalls an Schulen keinen unzulässigen Druck ausüben. Aber natürlich: Die Kinder reden untereinander und bekommen dann schon mit, wer geimpft ist und wer nicht. Trotzdem mache ich mir darüber keine großen Sorgen, denn die Schulen können mit solchen Situationen pädagogisch gut umgehen.

Individuelle Förderung im Vordergrund

Die vergangenen Monate sind an vielen Schülerinnen und Schülern nicht spurlos vorübergegangen: Einige haben Gewalt in der Familie erlebt, wieder andere haben sich zuhause verkrochen, andere kamen mit dem Homeschooling nicht klar und müssen nun viel Stoff aufholen. Was tun Sie für diese Gruppe?

Piazolo: Wir haben schon im vergangenen Jahr unser Programm "Gemeinsam Brücken bauen" aufgelegt, für das seit Pfingsten 200 Millionen Euro zur Verfügung stehen. Es soll noch dieses und nächstes Schuljahr weiterlaufen. Unser Ziel: Schülerinnen und Schüler zu erreichen, die Lerninhalte nachholen sollten oder die mit pandemiebedingten psychischen Problemen zu kämpfen haben. Dazu steht auch zusätzliches Lehrpersonal zur Verfügung. Wir wollen die Schülerinnen und Schüler individuell fördern.

Islamischer Unterricht als Wahlpflichtfach

Ganz neu in diesem Schuljahr ist auch der Islamische Unterricht als Wahlpflichtfach. Vor wenigen Tagen erst hat der Bayerische Verfassungsgerichtshof eine Klage der AfD abgewiesen und den bayerischen Islamischen Unterricht als rechtens eingestuft. Sind Sie erleichtert?

Piazolo: Die Entscheidung hat mich natürlich gefreut, denn sie gibt uns Rechtssicherheit. Der Islamische Unterricht in Bayern hat ja eine lange Vorgeschichte. Seit 2009 gibt es ihn im Modellversuch, jetzt wird er endlich reguläres Wahlpflichtfach.

Wie ist der Islamische Unterricht denn eigentlich mit dem konfessionellen Religionsunterricht zu vergleichen?

Piazolo: Der Islamische Unterricht ist ein Wahlpflichtfach und als Alternative zum Ethikunterricht gedacht. Er ist also kein Religionsunterricht wie der katholische oder evangelische. Es geht auch nicht um die Einübung einer Religion, sondern es werden Inhalte des Islam und Werte weltanschaulich neutral vermittelt. Und übrigens werden auch andere Religionen vorgestellt.

Wie wird das Angebot angenommen?

Piazolo: Sehr gut. Im April 2021 waren rund 16.900 Schülerinnen und Schüler im Islamischen Unterricht. Islamischen Unterricht gibt es an rund 400 Standorten in Bayern, fürs neue Schuljahr kommen nochmal 20 dazu, vermehrt in Großstädten und an Grund- und Mittelschulen. Unterrichtet wird der Islamische Unterricht von rund 100 Lehrkräften, die in Deutschland ausgebildet wurden und auch auf Deutsch unterrichten.