Ab kommendem Schuljahr können muslimische Schüler*innen in Bayern wählen, ob sie am Fach Ethik oder am Islamischen Unterricht teilnehmen wollen. Das heißt, sofern das Fach an ihrer Schule angeboten wird. Denn derzeit ist das nur bei gut fünf Prozent der bayerischen Schulen in den Jahrgangsstufen 1 bis 10 der Fall.

Basierend auf der Werteorientierung von Grundgesetz und bayerischer Verfassung soll das Fach Wissen über die islamische Religion und die anderen Weltreligionen vermitteln. Dafür stehen aktuell bayernweit rund 100 entsprechend ausgebildete Lehrkräfte zur Verfügung. Diese müssen ein Staatsexamen oder ähnliche pädagogische Qualifikationen vorweisen. Der Einsatz von Imamen ist ausgeschlossen.

Wir haben mit dem Islam-Beauftragten der bayerischen Landeskirche, Rainer Oechslen, über die Einführung des Fachs und die schwierige rechtliche Lage gesprochen - und darüber, wie das Ganze trotz erheblicher Mängel doch noch ein Erfolg werden kann. 

Was sagen Sie grundsätzlich zur Einführung von Islamunterricht an bayerischen Schulen?

Oechslen: Das Gesetz ist natürlich ein gewisser Fortschritt, für den ich dankbar bin. Aber es erfüllt noch lange nicht alle Erwartungen. Es ist nur ein Schritt auf dem Weg.

Was ist aus Ihrer Sicht das Problem?

Oechslen: Also, man muss zuerst die Rechtslage sehen, der Religionsunterricht – ich meine jetzt nicht den islamischen speziell, sondern überhaupt jeden Religionsunterricht – ist in Deutschland das einzige Fach, das der Staat nicht voll reglementiert.

Also anders als Mathe, Physik, Deutsch, Geschichte oder Sozialkunde?

Oechslen: Völlig anders, weil der Staat nach der Erfahrung des totalen Staates gesagt hat, die inhaltliche Füllung des Religions-Themas überlassen wir den Religionsgemeinschaften. Und beim Islamunterricht ist das jetzt eben anders.

Warum ist das anders?

Oechslen: Weil der Staat sagt, eine islamische Religionsgemeinschaft in dem Sinn, wie unser Grundgesetz das Wort Religionsgemeinschaft definiert, gibt es in Bayern nicht. Der Staat kann aber nicht selbst konfessionellen Islamunterricht erteilen, denn dann würde er praktisch gegen das Neutralitätsgebot verstoßen. Das ist die Gemengelage, und die ist einigermaßen kompliziert.

Der Islam-Beauftragte der Landeskirche Rainer Oechslen

Das Verständnis anderer Religionen im Gespräch mit ihren Angehörigen zu vertiefen und dadurch auch die christliche Identität zu stärken – das ist Aufgabe des Beauftragten für Islamfragen der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, Rainer Oechslen. Praktisch geschieht diese Arbeit durch Vorträge und Diskussionsrunden, durch Seminare mit Muslimen und Christen, durch Studienreisen, Kurse für Studierende und noch viele andere Aktivitäten.

Was schlagen Sie vor?

Oechslen: Das Ziel muss natürlich ein konfessioneller islamischer Religionsunterricht sein, wie er genauso für die evangelischen, katholischen, jüdischen und alevitischen Kinder und Jugendlichen in Bayern erteilt wird. Und das wird nur möglich sein, wenn unser Religions-Verfassungsrecht sich so verändern würde, dass der Islam Religionsgemeinschaft im Sinne des Grundgesetzes wird. Dann könnte man ganz schnell den islamischen Unterricht einführen

Also ist das, was man jetzt eingeführt hat, eher wie ein Ethik-Unterricht mit Islam-Schwerpunkt?

Oechslen: Das würde ich mit einem vorsichtigen Ja beantworten, es ist eine Form des Ethikunterrichts. Man kann nur hoffen, dass es in der Praxis besser wird als in der Theorie. Wir hatten das ja nun die letzten zehn Jahre als Modellversuch. Und viele muslimische Eltern haben das quasi als Religionsunterricht empfunden: Die Kinder im Unterricht waren muslimisch. Der Lehrer war muslimisch. Die Inhalte waren muslimisch, haben die Leute gesagt. Es gab natürlich auch Kritik, aber im Großen und Ganzen war die Sache schon sehr erfolgreich. Und insofern glaube ich, dass das Problem in der Praxis nicht so groß ist wie auf der theoretischen Ebene.

Dennoch meinten Sie vorhin, es sei nur ein erster Schritt.

Oechslen: Ja. Also erst einmal gibt es diesen Unterricht nicht in der Oberstufe des Gymnasiums. Das ist eine eindeutige Schlechterstellung der muslimischen Gymnasiasten. Dann gibt einfach viel zu wenige Islamlehrer. Und schließlich hat kein muslimisches Kind einen Rechtsanspruch darauf, dass islamischer Unterricht erteilt wird.

Haben das die Kinder anderer Konfessionen denn?

Oechslen: Ja, normalerweise ist es so: Wenn ein Kind evangelisch ist und es lebt in der extremen Diaspora – sobald in der Jahrgangsstufe fünf oder sieben evangelische Kinder und Jugendliche sind, muss ein Religionsunterricht eingerichtet werden. Diesen Rechtsanspruch gibt es beim islamischen Unterricht nicht. Natürlich aus pragmatischen Gründen: Weil Lehrermangel da ist.

Woran liegt das?

Oechslen: Naja, bisher war es ein Modellversuch. Die Islamlehrer bekamen immer im Sommer im August einen Vertrag für die nächsten 11 Monate bis Juli des folgenden Jahres - also für das laufende Schuljahr. Es gab keine Rechtssicherheit für die. Und fast niemand von den Studierenden hat Lust gehabt, sich auf dieses Abenteuer einzulassen.

Verständlich.

Oechslen: Jetzt ist das natürlich anders. Die Islamlehrer bekommen unbefristete Verträge. Sie sind zwar keine Beamten, aber eine unbefristete Angestellte. Das ist eine ganz andere Rechtsstellung. Jetzt kann man hoffen, dass dadurch wieder mehr Leute in Erlangen islamische Theologie studieren. Sie merken schon – das dauert alles noch. Für meine Unzufriedenheit gibt es viele Gründe. Andererseits muss ich natürlich sagen: Besser jetzt als noch später.

Meinen Sie, dass erschwerend hinzukommt, dass es gegen die islamische Religion nochmal andere Vorbehalte gibt als gegen andere?

Oechslen: Eindeutig. Einerseits ist die Rechtsstellung schwieriger, wie ich schon erklärt habe. Und das würde auch gelten, wenn die Stimmung in unserem Land islamfreundlicher wäre. Aber dazu kommt natürlich, dass es vor allem in der CSU-Fraktion im Landtag, um es nochmal deutlich zu sagen, natürlich auch Leute gegeben hat, die das überhaupt nicht eingesehen haben, warum es jetzt in islamischen Unterricht geben soll. Die mussten erst überzeugt werden

Wie kommt das?

Oechslen: Die Kenntnisse des durchschnittlichen Landtagsabgeordneten über diese rechtlichen Probleme, über die Inhalte sowie über die Organisationsstrukturen des Islams in Deutschland sind nicht sehr hoch. Und in dem Moment, wo Abgeordnete die Probleme nicht wirklich durchschauen, neigen sie eher dazu zu sagen: Das wollen wir hier eher nicht. Unsicherheit heißt eigentlich eher Nein als Ja.

Unter diesen Umständen ist es eigentlich zu begrüßen, dass dann überhaupt irgendwas rausgekommen ist dabei, oder?

Oechslen: So ist es. Man kann die Abgeordneten auch verstehen. Die gehen dann in den Wahlkreis und da gibt's ja teilweise primitivste Auffassungen über den Islam. Einige Abgeordnete werden hoffen, dass die Einführung des islamischen Unterrichts beim nächsten Landtagswahlkampf schon wieder vergessen ist.