Olympia-Attentat 1972, Oktoberfestattentat 1980, OEZ-Attentat 2016 - München wurde in der Nachkriegszeit mehrfach zum Schauplatz schwerster antisemitischer und rechtsterroristischer Anschläge. An einen der ersten und zugleich schwersten Angriffe auf die jüdische Gemeinschaft in der Bundesrepublik erinnert sich heute kaum noch jemand: den Brandanschlag auf ein jüdisches Seniorenheim in der Reichenbachstraße vom 13. Februar 1970.

Zum 50. Jahrestag will man der Opfer gedenken. Organisiert werden die Gedenkveranstaltungen unter anderem von der Fachstelle für Demokratie der Landeshauptstadt München. Im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst epd erzählt deren Leiterin Miriam Heigl, warum der Anschlag so in Vergessenheit geraten ist und wie München mit dem Gedenken an die zahlreichen Anschläge in der jüngeren Geschichte umgeht.

 

Frau Heigl, wie konnte der Anschlag auf das jüdische Altersheim vor 50 Jahren so aus dem Fokus des öffentlichen Bewusstseins geraten?

Heigl: Das ist immer auch eine Frage der Perspektive. In der jüdischen Gemeinde ist der Anschlag noch sehr präsent, im Rest der Gesellschaft dagegen kaum noch. Dies gilt auch für die vielen weiteren antisemitischen Anschläge in der Nachkriegszeit - sowohl in München als auch im Rest der Bundesrepublik. Lange Zeit wurde auch kaum über die antisemitischen Kontinuitäten in unserer Gesellschaft geredet. Das hat sicher auch mit dem Gründungsmythos der Bundesrepublik und dem sehr verkürzten Verständnis vom 8. Mai 1945 als "Stunde Null" zu tun.

Die antisemitischen Kontinuitäten, die gerade durch Anschläge wie 1970 in München deutlich wurden, passten nicht in das Selbstbild des neuen und demokratischen Deutschlands. Deshalb werden sie - zum Teil bis heute - oftmals als Einzeltaten abgetan und verschwinden anschließend schnell aus dem öffentlichen Fokus. Dieses Muster beobachten wir auch bei rassistischen und rechtsterroristischen Anschlägen.

Ist dieses Verdrängen oder Vergessen ein Münchner Phänomen oder typisch für das Nachkriegsdeutschland?

Heigl: Dieses Vergessen oder Verdrängen ist sicherlich kein spezielles Münchner Phänomen, sondern typisch für das Nachkriegsdeutschland. München wurde in der Nachkriegszeit jedoch gleich mehrfach zum Schauplatz schwerster antisemitischer und rechtsterroristischer Anschläge - man denke neben 1970 nur an den Anschlag auf die israelische Olympiamannschaft 1972, das Oktoberfestattentat 1980, die beiden NSU-Morde und das OEZ-Attentat vor fast vier Jahren.

Wie geht nun speziell München mit seiner Vergangenheit um?

Heigl: Nach einer langen Zeit des Schweigens ist es in den letzten Jahren gelungen, das Gedenken und die Auseinandersetzung mit dem Oktoberfestattentat stärker im öffentlichen Bewusstsein zu verankern. Zum 40. Jahrestag am 26. September richtet das Münchner Kulturreferat einen Erinnerungsort an der Theresienweise ein, der insbesondere auch die Perspektive der Betroffenen in den Mittelpunkt stellt. Auch zum Attentat auf die israelische Olympiamannschaft gibt es mittlerweile einen eigenen Erinnerungsort. Da ist in den letzten Jahren einiges gewachsen. Der Blick auf den Anschlag in der Reichenbachstraße zeigt aber, dass es auch hier noch einige Leerstellen gibt, die es dringend auszufüllen gilt.

Oft wird das Oktoberfestattentat als Parallele genannt, auch Sie haben es eben erwähnt. Warum?

Heigl: Beide Anschläge wurden in München ausgeführt und auch das Oktoberfestattentat ist sehr schnell aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwunden. Trotz dieser Parallelen gibt es aber auch ganz erhebliche Unterschiede. So richtete sich der Anschlag von 1970 gezielt gegen Jüdinnen und Juden, während 1980 auf dem Oktoberfest die Ermordeten Zufallsopfer waren. Am Oktoberfestattentat lässt sich aber beispielhaft zeigen, wie zum Teil bis heute auf rechtsextreme, rassistische oder antisemitische Mordtaten reagiert wird.

Häufig werden entsprechende Anschläge als unpolitische Taten von Einzeltätern gedeutet. Problematische gesellschaftliche Entwicklungen, Bezugspunkte und Echokammern geraten somit aus dem Blick - auch, weil häufig die psychischen Probleme der Täter in den Vordergrund gestellt werden. Das führt dazu, dass zwar nach jeder neuen Tat die Überraschung und das Entsetzen groß sind, die politischen Antworten jedoch oft unzureichend bleiben.

Derzeit wird ein Wiedererstarken des Antisemitismus beklagt. Worin liegen die Gemeinsamkeiten oder Unterschiede zur unmittelbaren Nachkriegszeit?

Heigl: Wir beobachten aktuell eine deutliche Zunahme antisemitischer Vorfälle. Dies betrifft nicht nur körperliche Angriffe, sondern auch subtilere Formen, wie abfällige Kommentare oder verschwörungsideologische Anspielungen. Der Antisemitismus zeichnet sich schon immer durch seine Wandlungs- und Anpassungsfähigkeit an ganz unterschiedliche Diskurse in den verschiedensten ideologischen und gesellschaftlichen Kontexten aus. Das zeigt auch der Brandanschlag von 1970.

Inwiefern?

Heigl: Bis heute ist eine Täterschaft aus ganz unterschiedlichen politischen und ideologischen Richtungen vorstellbar. Der oder die Täter könnten aus der rechtsextremen Szene, aus palästinensisch-terroristischen Zusammenhängen, aus dem linken Spektrum oder aus der sogenannten Mitte der Gesellschaft kommen. Allein das offenbart schon, wie anschlussfähig antisemitische Welt- und Feindbildkonstruktionen in den verschiedensten gesellschaftlichen Milieus auch nach 1945 geblieben sind.

Die mörderische Konsequenz von Antisemitismus hat uns der rechtsterroristische Anschlag von Halle im vergangenem Herbst einmal mehr sehr deutlich vor Augen geführt. Solche Taten kommen - wie auch die alltäglichen und subtileren Formen von Antisemitismus - nicht aus dem Nichts.

Vielmehr gedeihen sie in einem gesellschaftlichen und politischen Klima, in dem antisemitische Ressentiments und Parolen viel zu oft ignoriert, toleriert, verharmlost oder gar befördert und geschürt werden.

Wie wird nun das Gedenken zum 50. Jahrestag des Anschlags auf das jüdische Altersheim aussehen?

Heigl: Am Jahrestag selbst findet eine Gedenkveranstaltung im Alten Rathaus statt, bei der auch der Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) sprechen wird. Im Zentrum dieser Veranstaltung steht das Gedenken an die sieben Todesopfer. Am 17. Februar findet eine Abendveranstaltung im Neuen Rathaus zu aktuellen Erscheinungsformen von Antisemitismus statt. Und zwischen dem 10. Februar und 1. März soll es einen temporären Erinnerungs- und Informationsort in der Nähe des Tatorts geben, den der Kabarettist Christian Springer, der sich sehr zu dem Thema einsetzt, zusammen mit der Stadt München konzipiert hat.

Wird der Anschlag dann wieder in Vergessenheit geraten?

Heigl: Wir hoffen, dass es uns mit diesen Aktionen gelingt, den Anschlag von 1970 und die Opfer stärker sichtbar zu machen. Einige der Opfer hatten die Schoah überlebt und wurden nur 25 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz mitten in der ehemaligen "Hauptstadt der Bewegung" ermordet. Allein das zeigt die besondere Widerwärtigkeit und Tragik des Anschlags. Wenn mit unseren Gedenkaktionen auch eine stärkere Empathie und Solidarität mit den unmittelbar von Antisemitismus Betroffenen sowie mehr Sensibilität für Antisemitismus einhergehen würde, hätten wir sehr viel erreicht.

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