Eingezwängt und durchleuchtet - so in etwa lässt sich die Situation der meisten Menschen beschreiben, die derzeit unter den Bedingungen der Null-Covid-Politik in China überleben müssen. Zu ihnen gehören auch einige zehntausend Deutsche und Deutschsprachige, die weiter im Reich der Mitte ausharren. Bis Mai dieses Jahres gehörte ich als Pfarrerin der Deutschsprachigen Christlichen Gemeinde Shanghai zu ihnen.

So teilte ich mit 26 Millionen Bürgern und Bürgerinnen der Metropole Shanghai die Erfahrung eines zweimonatigen Hausarrests. Dieser wurde inzwischen zwar aufgehoben, doch da die Null-Covid-Strategie angesichts der Omikron-Variante keine Chance hat aufzugehen, werden die Lockdowns inzwischen jeweils regional fortgesetzt.

Aus der Ferne folge ich der Ungewissheit, unter der alle Begegnungen und Versammlungen in der "Paris des Ostens" genannten Stadt Shanghai stehen:

Von Tag zu Tag stellt sich die Frage, welche Bezirke jeweils in einem neuen Lockdown abgeriegelt werden, wer überhaupt die Möglichkeit hat zu reisen und wohin.

Bis heute konnten die im Land verbliebenen Konfirmanden und Konfirmandinnen der Shanghaier Gemeinde, deren Konfirmation ursprünglich an Pfingsten geplant war, nicht konfirmiert werden.

Nachdem meine Zeit in China im Sommer unter Lockdown-Bedingungen in völliger Isolation ohne jegliche persönliche Begegnung zu Ende ging, sollte der evangelische deutschsprachige Pfarrer aus Peking im Oktober die Konfirmation durchführen. Doch wegen der Reisebeschränkungen war es ihm bis heute nicht möglich, die Shanghaier Gemeinde zu besuchen.

Wie nehmen Einheimischen die Situation wahr?

Mein Eindruck während des zweimonatigen Lockdowns im Frühjahr war, dass zwar viel gemurrt und gelegentlich auch protestiert wurde, Unruhen und Aufbegehren aber in Grenzen gehalten werden. Dem dienen zum einen die Nachbarschaftskomitees, die alle Maßnahmen der Regierung vor Ort umsetzen und dabei auch Unruhen oder Unzufriedenheiten nach Kräften im Zaum halten.

Das Gelingen ihrer Bemühungen wird durch eine in China auch aus Tradition verbreitete Haltung gefördert, durch die es einen hohen Anspruch auf Unterordnung des Einzelnen unter die Gemeinschaft gibt. Unterstützt wird dieser Anspruch durch die sich ausweitende digitale Überwachung. Abgesehen von einer immer perfekteren flächendeckenden Videoüberwachung trägt dazu seit Beginn der Pandemie die "Gesundheits-App" bei, ohne die keinerlei Bewegung oder Aktivität möglich ist.

Selbst der letzte Handy-Muffel braucht inzwischen diese App auf dem Mobiltelefon. Sie dient als Ausweis, um den öffentlichen Raum zu betreten oder ins eigene Wohnquartier zurückzukehren und ist mit der eigenen ID verknüpft. Durch sie werden regelmäßige Covid-Tests überprüft und alle Bewegungen - einschließlich der Annäherung an sogenannte Risiko-Gebiete - kontrolliert. 

Und natürlich wird die flächendeckende Überwachung der Bürger und Bürgerinnen auch im Blick auf ihre kommunikativen Aktivitäten im Internet gewährleistet. "Ausreißer" sind in begrenztem Umfang zwar möglich, werden aber meist schnell geortet und anschließend unterbunden.

Proteste sind in China ungewöhnlich

Den aktuellen öffentlichen Protesten wird es höchstwahrscheinlich ebenso ergehen. Dennoch erstaunt, dass es zu dieser Protest-Welle kommen konnte. Zwar gibt es in China immer wieder regionale Erhebungen oder Unmutsäußerungen, doch seit 1989 ist es im Reich der Mitte zu keiner überregionalen Bewegung gekommen, in der derart öffentlich Missfallen bekundet wurde.

Besonders bemerkenswert ist bei diesen Protesten der öffentliche Angriff auf den Parteivorsitzenden - eine rote Linie, deren Überschreitung unzweifelhaft mit scharfen Konsequenzen geahndet werden wird.

Unzufriedenheit über Null-Covid-Politik

Unzufriedenheit über die Maßnahmen im Rahmen der Null-Covid-Politik flammten allerdings schon früher zeitgleich an verschiedenen Orten auf. Ich erinnere mich an einen Abend während des zweimonatigen harten Lockdowns in Shanghai, an dem überraschend in meinem Wohnviertel für eine halbe Stunde aus vielen Fenstern das Klirren und Klappern von Topfdeckeln und anderen metallenen Geräten zu hören war.

Ähnliches geschah in vielen anderen Bezirken und Städten. Und so nahm ich, als wenige Tage später im gemeinsamen Chat unseres Wohnblocks zu einer weiteren solchen Maßnahme aufgerufen wurde, ebenfalls "Krachmacher" in die Hand, um in das Topfdeckelkonzert einzustimmen.

Zu diesem kam es dann aber nicht. Über die Gründe dafür kann ich nur spekulieren. Ich selber hielt mich jedenfalls zurück, nachdem die einschlägigen Stimmen aus dem Nachbarschaftskomitee in jenem Wohnblock-Chat davor gewarnt hatten, solchen durch "ausländische Kräfte" in staatsfeindlicher Absicht angezettelten Aktivitäten zu folgen.

Covid-Impfung

Meiner Einschätzung nach hat Kanzler Scholz viel erreicht, als er die Zulassung des Impfstoffs von BioNTech für in China lebende Ausländer erwirkte. Bis zu einer flächendeckenden Impfkampagne in China, erst recht mit einem ausländischen Impfstoff, ist der Weg zwar noch weit, doch nur durch eine solche könnte es längerfristig zu einer allmählichen Öffnung des seit der Pandemie abgeriegelten Landes kommen.

Nach ihr sehnen sich nicht nur all diejenigen, die an wirtschaftlichem, wissenschaftlichem, kulturellem oder politischem Austausch mit dem Reich der Mitte weiterhin interessiert sind. Auch Chinesische Expats, von denen in Deutschland rund 200.000 leben, ringen mit der Null-Covid-Politik ihres Landes.

Diese hindert viele daran, in ihr Heimatland zurückzukehren, um ihre alten oder kranken Eltern zu besuchen, an Trauerfeiern oder Familienfesten teilzunehmen.

Wer um die hohe Bedeutung der Familie im Reich der Mitte weiß, mag ahnen, wie schmerzhaft diese Einschränkung für viele der im Ausland lebenden Chinesen ist.

Wünsche und Gebet 

In die aus der Sehnsucht nach Erlösung gespeisten Hoffnungsbotschaften der Adventszeit füge ich darum Wünsche und Gebete für diejenigen ein, die sich China verbunden fühlen. Ihr und unser Brückenbau wird gebraucht, um in diesen schwankenden Zeiten Wege zum Frieden zu bahnen.

"Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht" (Lukas 21,28) - Visionen wie diese im Wochenspruch für den 2. Advent geben seit Urzeiten Kraft, indem sie Vorstellungen von Schritten zur Überwindung irdischer Beschränkungen nähren.