"Wir müssen aus der alten Bequemlichkeit raus, dass andere diesen Job machen, während wir in der Kneipe oder im Kino sitzen."

Herr Liess, am 21. Januar haben bereits rund 200.000 Münchnerinnen und Münchner gegen Rechtsextremismus demonstriert, jetzt kommt die nächste Großkundgebung. Befürchten Sie Ermüdungserscheinungen?

Bernhard Liess: Ich hoffe, dass viele Menschen teilnehmen und ich hoffe, dass es Kultstatus bekommt, zu den Demonstrationen zu gehen. Die Mitte der Gesellschaft ist aufgewacht. Wir haben erkannt, dass Demokratie keine Selbstverständlichkeit ist, sie wurde mühsam errungen. Und sie muss eine wehrhafte Demokratie sein, die gegen die jetzt offen erkennbaren Feinde verteidigt werden muss. Wir müssen aus der alten Bequemlichkeit raus, dass andere diesen Job machen, während wir in der Kneipe oder im Kino sitzen. All die tollen Menschen, die sich ehrenamtlich in politischen Parteien für Demokratie, Offenheit und Pluralität engagieren, brauchen ein klares Zeichen unserer Unterstützung - auch wenn wir politisch vielleicht anderer Meinung sind.

Der Münchner OB Dieter Reiter (SPD) lädt am 19. Februar verschiedene Player der Stadtgesellschaft zu einem "Dialog für Demokratie", Sie sind als Stadtdekan für die Münchner Protestanten dabei. Was ist Ihr Ziel?

Ich wünsche mir, dass alle, die für eine offene, bunte Stadtgesellschaft stehen, zusammen deutlich machen, welchen Schatz wir in dieser Gesellschaftsform haben. Statt unsere Identität nur in der Abgrenzung zu Rechtsextremen zu definieren, müssen wir klar formulieren, wofür wir stehen. Es ist sehr gut, dass auch die großen Münchner Firmen wie BMW oder MAN dabei sind. Sie zeigen, dass wirtschaftlicher Wohlstand und freiheitliche Demokratie nicht zu trennen sind.

"Ich persönlich versuche, die Unart der Rechthaberei zu vermeiden."

Nach der Demo ist Alltag: Wie verteidigt man die Demokratie dort? Wie machen Sie das?

Vieles fängt mit der Sprache an. Wir müssen entlarven, wenn Menschen in ihrer Sprache verharmlosende, ausschließende, gewalttätige Bilder verwenden. Ich persönlich versuche, die Unart der Rechthaberei zu vermeiden und mir immer vorzustellen, dass mein Gegenüber vielleicht auch recht haben könnte. Was die Feinde unserer Demokratie gar nicht aushalten, ist Kompromissfähigkeit. Sie locken mit den vermeintlich einfachen Lösungen, nach denen viele eine zum Teil verständliche Sehnsucht haben. Es ist auch eine theologische Aufgabe, das aufzubrechen. Gott steht nicht für monolithische Einheitlichkeit, sondern für Vielfalt. Als evangelische Kirche stehen wir dafür: Es gibt unterschiedliche Menschen und unterschiedliche Meinungen - das auszuhalten macht unsere freiheitliche, offene, pluralistische Gesellschaft aus.

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