An was denken Sie, wenn jemand in Deutschland sagt, er fühle sich an eine Zeit erinnert, "die lange zurückliegt, und Gott sei Dank"? Ich jedenfalls denke dann an die Zeit des Nationalsozialismus. Besonders, wenn besagter jemand dazu noch von "schwarz gekleideten Inszenierungen bei verschiedenen Veranstaltungen" spricht. 

Gewaltherrschaft der Nationalsozialisten verharmlost

Schwarz gekleidet war die SS, Adolf Hitlers persönliche Leib- und Prügelgarde. In die Nähe dieser Verbrecher hat Bundeskanzler Olaf Scholz also beim Katholikentag in Stuttgart Klimaaktivist*innen gerückt. Denn die eingangs zitierten Aussagen stammen von ihm. Er hat sie geäußert, nachdem ein Aktivist seine Ausführungen mit "Schwachsinn" kommentiert hatte. Scholz sprach gerade über den Ausstieg aus der Kohleverstromung und die Arbeitsplätze, die dadurch im Tagebau verloren gingen.

Bundeskanzler Scholz schafft es also, zum einen die Gewaltherrschaft der Nationalsozialisten zu verharmlosen, und gleichzeitig das Engagement von Klimaschutz-Aktivist*innen in der Debatte als überzogen oder unpassend zu verunglimpfen. In der Folge warf er diesen vor, es handele sich nicht um eine Diskussionsbeteiligung, sondern um den Versuch, "Veranstaltungen für seine eigenen Zwecke zu manipulieren". 

Klimawandel bedroht uns alle existenziell

Nun ist schon ersteres, die Verharmlosung der NS-Zeit, ungeheuerlich. Aber auch letzteres führt in eine ganz falsche Richtung. Der Klimawandel bedroht uns alle, und zwar existenziell. Das steht nicht zur Debatte, für Relativierungen und Abwiegelungen gibt es keine vernünftige, wissenschaftliche Grundlage. Dazu kommt: Je jünger wir sind, umso mehr werden wir von den Folgen der Klimakatastrophe betroffen sein. 

Es ist daher eine eklatante Debattenverschiebung, wenn Scholz im Zusammenhang mit Diskussionen über die notwendigen Maßnahmen nun plötzlich kleinlich einen netten Umgangston fordert – und dabei selbst nicht einmal vor einem Nazivergleich (der grundsätzlich sowieso nie angebracht ist) zurückschreckt. 

Die Folge ist, dass nun wieder nicht über wirksame Maßnahmen gegen den Klimawandel diskutiert wird, sondern darüber, ob der Zwischenruf okay war oder nicht, und ob Scholz nicht vielleicht doch eine andere finstere Epoche der deutschen Geschichte gemeint haben könnte. Auch wenn es davon genug gibt: Seine Formulierung ist im kollektiven Gedächtnis Deutschlands sehr eindeutig mit der Zeit des Nationalsozialismus verbunden. 

Vertrauensverlust in Politik ist verständlich

Man muss nicht alle Protestformen gut heißen. Aber: Man muss auch verstehen, dass die meist jungen Aktivist*innen kein Vertrauen in eine Politik haben, die seit mehreren Jahrzehnten eine sich anbahnende Katastrophe ignoriert, sich in inhaltsleeren Sonntagsreden ergeht und wirksame Maßnahmen stets mit dem Argument verhindert, es müssten alle mitgenommen werden. 

Der Klimawandel ist ein bisschen wie Corona. Dem ist es herzlich egal, ob die wissenschaftlich dringend empfohlenen Gegenmaßnahmen von allen mitgetragen oder gegen den Widerstand einer lauten Minderheit umgesetzt werden müssen. Wenn es keine wirksamen Maßnahmen gibt, sind die Folgen verheerend. 

Stilkritik ohne Relevanz

Deswegen mag man die Protestform (Zwischenrufe) kritisieren, es ist aber nichts anderes als Stilkritik, ungefähr von der Relevanz wie die berühmte Karl-Lagerfeld-Aussage, Menschen in Jogginghosen hätten die Kontrolle über ihr Leben verloren. Und das ist angesichts der wirklich drängenden Probleme einfach unangebracht – und führt die Debatte in eine völlig falsche Richtung. 

Am Ende profitiert von Scholz' Aussage nur eine Fraktion: Die radikal kleine Minderheit, die mit der Verhinderung wirksamer Klimaschutz-Maßnahmen hohe Profite macht. Alle anderen verlieren.