Frieden ist in diesen Tagen ein viel genutztes Wort, sowohl in der geistlichen wie auch in der politischen Welt. Frieden liest man auf Wahlplakaten, vom Frieden hört man in Predigten. Doch um wirklich zu verstehen, was Frieden bedeutet, müssen wir dorthin schauen, wo kein Frieden ist. Wir haben wieder einen großen Krieg in Europa. Russland hat sein Nachbarland, die Ukraine, überfallen und führt einen erbarmungslosen Angriffskrieg, der sich nicht nur gegen militärische Ziele, sondern ganz gezielt auch gegen die Zivilbevölkerung richtet. Und der russische Präsident hat mehrfach deutlich gemacht, dass seine imperialen Ambitionen über die Ukraine hinausgehen.

Der steinige Weg zum Frieden

Es sind die Menschen in der Ukraine, die sich nichts sehnlicher wünschen als in Frieden zu leben. Doch in Frieden zu leben ist viel mehr als ein Schweigen der Waffen. Das wird in der Ukraine mehr als deutlich. Der russische Angriffskrieg richtet sich gegen alles Ukrainische, gegen Sprache, Kultur und die ukrainische Nation als solches. Deshalb sprechen viele Expertinnen und Experten auch von einem Vernichtungskrieg. Wenn man die Forderung, die manche an die Ukraine richten, die Waffen schweigen zu lassen, ernst nimmt, käme das einer Kapitulation gleich. Wer die Berichte aus den besetzten Gebieten liest, ahnt, was das für die Menschen in der Ukraine bedeutet: Folter, sexualisierte Gewalt, Vertreibung, Verschleppung, Mord. Eine Terrorherrschaft ist kein Frieden.

Doch wie kann ein Frieden gelingen, bei dem nicht nur die Waffen schweigen, sondern die Menschen in der Ukraine frei und selbstbestimmt leben können?

Die christliche Friedensdebatte der letzten Jahrzehnte bewegte sich zwischen zwei – auf den ersten Blick widersprüchlichen – Positionen: der aus der Bergpredigt inspirierten konsequenten Gewaltfreiheit und der traditionellen kirchlichen Lehre vom "gerechten Krieg". Der Verzicht auf Gewalt trägt die Idee einer transformativen Deeskalation in sich, er hat aber ganz klar seine Grenze da, wo Selbstvernichtung droht. Die Lehre vom "gerechten Krieg" wiederum will Krieg nicht legitimieren, sondern formuliert enge Kriterien, um Krieg einzuschränken. Beide Positionen wurden in der Geschichte des Christentums immer wieder vertreten. Nach den Erfahrungen der Balkankriege prägten die christlichen Kirchen in Deutschland den Begriff des "gerechten Friedens", als Verbindung beider Ideen. Gewalt ist demnach nur vertretbar als rechtserhaltende Gewalt. Es gilt die Leitidee, dass die Stärke des Rechts an die Stelle des Rechts der Stärkeren treten muss.

Wie kann ein gerechter Frieden also gelingen?

Auf dem Weg zum Frieden stehen Gespräche, also Verhandlungen. Viele Menschen rufen daher zurecht nach diplomatischen Lösungen. Für Friedensverhandlungen müssen allerdings grundsätzliche Bedingungen erfüllt sein. Zuallererst muss der Aggressor zu Verhandlungen bereit sein, jenseits von Maximalforderungen. Doch leider lässt der russische Präsident bislang keinerlei Verhandlungsbereitschaft erkennen. Er vermittelt vielmehr den Eindruck, er wolle seine Kriegsziele weiterhin auf militärischem Wege erreichen. Die russische Armee greift unvermindert ukrainische Großstädte und zivile Infrastruktur an, die russische Kriegswirtschaft läuft auf Hochtouren. Die militärische Unterstützung der Ukraine dient deshalb nicht nur dazu, dass die Ukraine ihre Bevölkerung beschützen und das eigene Land verteidigen kann. Es ist die Grundlage dafür, dass die Ukraine überhaupt am Verhandlungstisch sitzen kann. Diplomatie funktioniert nur aus einer Position der Stärke. Ohne Verhandlungsmacht kann die Ukraine nicht verhandeln.

Was ist der Pazifismus noch wert?

Ist der Pazifismus denn überhaupt nichts mehr wert? Diese Frage ist uns im politischen, aber auch im kirchlichen Kontext in den letzten beiden Jahren immer wieder begegnet. Dabei ist die persönliche Entscheidung jedes einzelnen Menschen jegliche Gewalt auch zur Notwehr abzulehnen, völlig nachvollziehbar und legitim. Deshalb sollten wir auch in Deutschland lebenden Ukrainern das Recht zur Kriegsdienstverweigerung zugestehen. Doch eine pazifistische Haltung kann ein Mensch immer nur für sich selbst einnehmen.

Wenn Menschen in Deutschland die Soldatinnen und Soldaten in der Ukraine auffordern, sich nicht mehr gegen die russischen Angriffe zu wehren und ihre Waffen niederzulegen, dann ist das schlicht paternalistisch. Es wirkt vielmehr wie eine Aufforderung an Dritte, ihr Schicksal, ihre Freiheit, ihr Leben dafür aufzugeben, dass man selbst in Ruhe gelassen wird. Diese Haltung ist von der Idee eines Pazifismus weit entfernt und führt uns nicht zum Frieden.

Manchmal ist der Einsatz militärischer Mittel zu Friedenszwecken und zur Sicherung des Rechts schlicht erforderlich. Die Debatte um humanitäre Interventionen, die Wahrung der Menschenrechte und des internationalen Rechts hat uns in Deutschland in den letzten Jahren gründlich beschäftigt.

Intensiv haben wir um Auslandseinsätze der Bundeswehr gerungen. Wir haben uns die einzelnen Konflikte, beispielsweise im ehemaligen Jugoslawien, stets genau angeschaut, haben abgewogen und über Lösungswege diskutiert. Was wir in der Ukraine sehen, ist allerdings ein eindeutiger Fall: Wir haben einen Angriffskrieg, es ist klar, wer Aggressor, wer Opfer ist. Umso wichtiger ist die humanitäre, wirtschaftliche und militärische Unterstützung des angegriffenen Landes. Denn wenn der Bruch des Völkerrechts Schule macht, wenn sich Angriffskriege wieder lohnen, dann schwächt das unsere globale Friedensordnung insgesamt.

Wenn sich das Recht des Stärkeren gegenüber dem Völkerrecht durchsetzt, ist der Frieden weltweit in Gefahr. Dann ist sich jeder selbst der Nächste und bewaffnet sich bis an die Zähne.

Neben der aktuellen Debatte um eine ausreichende Unterstützung der Ukraine, ist es gleichzeitig wichtig, auch in die Zukunft zu blicken. Wenn es gelingt, ernsthafte Friedensverhandlungen zu erreichen und zu einem Abschluss zu führen, muss dieser Friedenschluss auch gesichert werden. Dazu sollten insbesondere die Vereinten Nationen in die Pflicht genommen werden. Mit einer UN-Friedensmission, an der sich Blauhelme aus allen Teilen der Welt beteiligen, könnte die Kontaktlinie abgesichert werden. Nur wenn die Weltgemeinschaft ihre Kräfte bündelt, dann kann es gelingen, Frieden zu schaffen und Frieden zu sichern.

Perspektive für Menschen in der Ukraine

Gleichzeitig müssen die Menschen in der Ukraine eine Perspektive haben. Deshalb sind die Bemühungen um den Wiederaufbau der Ukraine, eingebettet in den Beitrittsprozess zur Europäischen Union, so wichtig. Gleichzeitig wird es einen offenen Umgang mit einer vom Krieg traumatisierten ukrainischen Gesellschaft brauchen. Dabei ist es aus Gründen der Gerechtigkeit entscheidend, dass die russischen Verantwortlichen für ihre Kriegsverbrechen vor dem Internationalen Gerichtshof zur Rechenschaft gezogen werden.

Und es ist klar, dass Russland für seine angerichteten Schäden in der Ukraine geradestehen muss. Wenn sich ein solch eklatanter Bruch des Völkerrechts nicht wiederholen soll, darf er nicht ohne Folgen bleiben. Ohne Gerechtigkeit wird es keinen Frieden geben. Und nur so wird auch eine Aussöhnung zwischen den Menschen in der Ukraine und Russland eines Tages möglich.

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carl am Mo, 01.07.2024 - 16:44 Link

Es war ein großer Fehler, dass sich der Westen in die Angelegenheiten der Ukraine überhaupt eingemischt hat. Es war doch abzusehen, was daraus werden würde. Und es stellt sich die Frage, warum der Westen erst jetzt und nicht schon vor zehn Jahren bei der Krim-Annexion tätig wurde. Das hatte doch einen ganz bestimmten Grund gehabt, dass wir nichts unternommen haben und das war gut so. Biden hat den Stein ins Rollen gebracht. Er wusste - ebenso wie Putin, dass Deutschlands neue Regierung unerfahren ist in diesen Dingen. Eine gute Gelegenheit also für Biden, den neu entflammten Ost-West-Konflikt auf Europa abzuwälzen. Und Putin nutzt die Gunst der Stunde, um die Ukraine militärisch anzugreifen. Und was machte Europa unter deutscher Federführung? Sie hat sich täuschen lassen. Sie wollte auf der einen Seite nicht die Sympathien der USA verlieren, und ist deshalb auf die Sanktionspolitik der USA eingeschwenkt, auf der anderen Seite spekulierte Deutschland auf die wirtschaftlichen Vorteile durch die Ukraine. Beides war ein Schlag ins Wasser. Nun sieht sich Europa von den USA im Stich gelasssen und befindet sich von heute auf morgen im Brennpunkt des Ukrainekrieges.
Nun ist es schwer da herauszufinden, wenn überhaupt noch eine Option besteht. Die Parole der eurpäischen Staaten lautet daher: Flucht nach vorne!
Alles Geld und alle Wirtschaftskraft gilt ab sofort dem Kampf gegen den neu installierten Feind im Osten. Wohin kann das führen, wohin muss das führen - das ist die Frage ...