Christian Sterzik leitet die Stabsstelle Digitalisierung der Evangelischen Kirche in Deutschland. Im Sonntagsblatt-Interview erläutert er Chancen und Herausforderungen der Digitalisierung für Kirche und Diakonie.

 

Hat sich die Kirche durch Corona im Bereich Digitalisierung verändert?

Sterzik: Corona hat einen enormen Schub gegeben. Es gibt Landeskirchen, bei denen in dieser Zeit zum Teil tausend Gottesdienst auf YouTube bereitgestellt wurden - und vorher waren es nur ein paar Hundert. Vor anderthalb Jahren gab es bei den meisten Kirchen kein Videokonferenzsystem, heute gibt es teilweise zweitausend Meetings im Monat. Auch die strategischen Projekte haben einen Schub bekommen. Mit unserem Projekt "Digitale Kirchtürme" haben wir dafür gesorgt, dass inzwischen über 12.500 evangelische Kirchengemeinden im Netz zu finden sind. Vorher wurden viele evangelische Kirchen in Suchmaschinen wie Google gar nicht gefunden.

Wie treiben Sie die Digitalisierung in Kirche und Diakonie voran?

Sterzik: Der "Innovationsfonds", der vor einem Jahr von der EKD-Synode beschlossen wurde, hat dieses Jahr schon 250 Anträge bekommen und ist damit dreifach überzeichnet. Die Anträge sind bunt gemischt. Oft sind es ganz kleine Initiativen: Eine Vikarin, die eine tolle Podcast-Idee hat. Aber es gibt auch große Projekte wie Alexa Skills, an dem mehrere Landeskirchen gemeinsam arbeiten. Pro Vorhaben gibt es im Schnitt 5.000,- Euro - das ist jetzt nicht sehr viel, aber gerade kleinere Projekte von Ehrenamtlichen, bei denen es zum Beispiel an Technik fehlt, kommen damit gut voran.

Wo sehen Sie die größten Herausforderungen für Kirche bei der Digitalisierung?

Sterzik: Ich sehe Herausforderungen beim rechtlichen Rahmen. Da geht es zum Teil um ganz grundlegende Fragen: Darf ich noch ein Smartphone benutzen für die Seelsorge? Welche Technik darf ich nutzen im Raum der Kirche? Da brauchen wir eine gute Sicht auf den Datenschutz. Der Datenschutz muss diese Fragen ernst nehmen, aber auch pragmatisch angehen. Als Kirche müssen wir ein gutes Mittelmaß finden. Wir müssen die Fragen ernst nehmen, denn die Grundrechte sind uns wichtig. Aber wir wollen auch sehen, dass wir handlungsfähig bleiben.

Wo muss sich Kirche verändern?

Sterzik: Wir entwickeln uns von einer über Hierarchie geführten Organisation zu einer Netzwerkorganisation. Wir müssen uns fragen, wie wir besser zusammen arbeiten. Wir müssen uns fragen, wie wir es schaffen, zentral gemeinsam gute Leistungen zur Verfügung zu stellen. Ein gutes Beispiel dafür ist unser neues Reservierungssystem für Weihnachtsgottesdienste. Die Gemeinden müssen regeln, dass nur eine bestimmte Zahl von Menschen in die Kirchen kommen. Jetzt haben sich sieben Kirchen zusammengetan, um gemeinsam die Datenschutzfragen zu klären und ein System zu kaufen, das in der Summe günstiger ist, als wenn jeder das selbst hätte machen müssen.

Oder das Thema Gesangbuch und Urheberrechte. Hier kann die EKD super unterstützen. Wir brauchen nicht 14.000 Gemeinden, die sich mit dem Urheberrecht im Gesangbuch beschäftigen, sondern können das bündeln. Damit können wir mit knapper werdenden Mitteln mehr erreichen.

Wie steht es um neue Technologien wie Künstliche Intelligenz?

Sterzik: Bei dem Thema Künstliche Intelligenz ist viel Hype drin. Wir veranstalten im November eine Tagung zum Thema. Dort kommen Menschen aus Politik, Wissenschaft und Gesellschaft zusammen. Es ist wichtig, dass sich evangelische Ethik mit solchen Themen befasst.

Wir haben vor längerem getestet, ob KI eine Predigt schreiben könnte. Mit dem Bot GPT2 haben wir einen schönen Text produziert, bei dem ordinierte Pfarrer sagten, dass dieser gut als Andacht verwendet werden könnte. Beim zweiten Versuch hat der Algorithmus eine Anleitung zum Selbstmord geschrieben. An solchen Beispielen merkt man einfach, dass eine Maschine zwar Texte produzieren kann, aber dass da keine Seele drin ist. Die Maschine kann Texte logisch vervollständigen und grammatikalische Strukturen verwenden, aber der Inhalt stimmt eben nicht.

Was wünschen Sie sich für die Digitalisierung in Kirche und Diakonie?

Sterzik: Mehr Fehlertoleranz. Wir müssen in der Kirche eine Fehlerkultur entwickeln. Es gehört dazu, etwas auszuprobieren und auch mal etwas zu riskieren. Dass etwas scheitert, ist ganz normal. Von unserem Glauben her können wir das ganz gut mit unserer Vorstellung von Gnade und Vergebung vereinen. Aber von der Struktur unserer verfassten Kirche möchten wir, dass die Dinge gelingen. Da sind wir noch nicht gewohnt, zu akzeptieren, dass auch mal etwas schiefgehen kann.