Christine Schreier und Toni Munkert sitzen an einem Tisch, zwischen ihnen liegen ein Teelicht und eine Packung Taschentücher. Munkert nimmt das Teelicht in die Hand, zeigt es den Umstehenden und setzt an: "Hier, liebe Besucherinnen und Besucher, habe ich etwas Historisches." Christine Schreier ergänzt: "Ein Relikt aus der vorelektrischen Zeit. Damit haben die Menschen einmal Licht gemacht." Ein anerkennendes "Oh" geht durchs Publikum.

Munkert und Schreier sitzen in einem Ausbildungskurs für angehende Stadtführerinnen und Stadtführer in Nürnberg. Die Aufgabe in der heutigen Seminareinheit ist, alltägliche Gegenstände wie bei einer Ausstellung zu präsentieren und sich kreative Geschichten dazu einfallen zu lassen. Das Besondere an dem Kurs: Er bringt Menschen mit und ohne Behinderung wie Munkert und Schreier in Stadtführungs-Tandems zusammen. "Kultouren für alle" ist ein Pilotprojekt, das von der "Aktion Mensch" gefördert wird und seit dem Sommer am Caritas-Pirckheimer-Haus läuft.

Kultur als Leidenschaft 

Christine Schreier und Toni Munkert kennen sich aus der Nürnberger "Goldbach Werkstatt", wo getöpfert, gefilzt und gewebt wird. Außerdem gibt es ein Café und einen Laden. Schreier arbeitet dort als Heilpädagogin, Munkert setzt sich als Werkstattrat für die Belange seiner Kolleginnen und Kollegen mit Behinderung ein.

Er hat eine starke Sehbehinderung, braucht einen Langstock und spricht langsam und bedächtig: "Kultur interessiert mich einfach", erzählt er in der Kaffeepause. "Ich mache auch bei Veranstaltungen vom Bildungszentrum oder der Offenen Behindertenarbeit mit. Als Thema für unsere Stadtführung haben wir uns das Germanische Nationalmuseum ausgesucht." Es ist eines der Touristenattraktionen in Nürnberg, gilt als das größte kulturgeschichtliche Museum des deutschsprachigen Raums. Dort sind der älteste Globus der Welt und Meisterwerke von Dürer und Cranach ausgestellt.

Einfache Wissensvermittlung steht im Vordergrund 

Geleitet wird der Kurs von Trainerin Petra Schachner: "Wir suchen eine neuen Ansatz von Professionalität, der nicht akademisch ist. Uns geht es nicht darum, in kurzer Zeit viel Inhalt zu vermitteln wie bei normalen Stadtführungen." Bei dem inklusiven Ansatz würden sowohl die Bedürfnisse von Menschen mit körperlichen Einschränkungen als auch von Menschen mit einer geistigen Behinderung berücksichtigt. Daher komme es auf eine andere Art der Wissensvermittlung an, auch in leichter Sprache.

"Die Fragen, die wir uns stellen, sind: Wo ist das Spannende an den Orten oder Kunstwerken? Was ist das Verbindende, was sind die emotionalen Geschichten dahinter?" erklärt Schachner. Auch das fließt in eine Seminaraufgabe ein: Die Teilnehmenden ziehen verdeckte Karten mit Bildern und sollen sich dann mit den anderen darüber austauschen, was diese Bilder in ihnen auslösen, und vergleichen, wo es Gemeinsamkeiten gibt.

In 15 Einheiten werden Methoden für die Führungen erarbeitet

Die Verantwortlichen des Caritas-Pirckheimer-Hauses beschäftigten sich schon länger damit, wie Kultur und Geschichte inklusiv vermittelt werden können, erklärt Projektleiterin Diana Löffler. "Aus der Zielgruppe kam häufiger der Wunsch, nicht nur bei der Erstellung eines Konzeptes dabei zu sein, sondern auch selbst eine Führung oder einen Workshop durchzuführen." Daraus entstand schließlich die Idee, Tandems aus Menschen mit und ohne Behinderung auszubilden, die ihre verschiedenen Sichtweisen zusammenbringen.

In insgesamt 15 Einheiten lernen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer Methoden für ihre eigenen Stadtführungen kennen, machen gemeinsame Ausflüge und erarbeiten Konzepte. Manche der Teilnehmenden haben schon Erfahrungen, andere nicht. Alle sind interessiert an Kunst, Geschichte oder Architektur.

Kommendes Jahr sind die inklusiven Führungen buchbar 

Ab nächstem Jahr sollen die inklusiven Stadtführungen dann auch zu buchen sein, zunächst über das Caritas-Pirckheimer-Haus. Geplant sind Führungen in der "Straße der Menschenrechte", im Germanischen Nationalmuseum und dem Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände. Der Wunsch von Diana Löffler: "Dass diese Art der Stadtführung irgendwann ganz selbstverständlich zum Stadtbild gehört."