Werden auch bei euch bald die Flaggen vom Dachboden geholt und zur Heim-EM an den Balkon gehängt, die Autorückspiegel mit Schwarz-Rot-Gold bezogen und die Farben auch noch auf die Backen gemalt? 2006 war das zur Heim-WM selbstverständlich. Seither hat sich aber viel verändert in unserem Land.
Nicht nur, was den Nationalpatriotismus angeht, für dessen Namensnennung alleine schon stirnrunzelnde Blicke drohen. Nachdem die deutsche Fußballnationalmannschaft bei der Weltmeisterschaft 2018 in Russland erstmals in ihrer Geschichte bereits in der Gruppenphase ausgeschieden ist und sich dieses Trauerspiel 2022 in Katar wiederholt hatte, fallen die Wetten auf ein solches unerfreuliches Triple 2024 höher aus als aufs Weiterkommen. Da nützt es auch nichts, dass die deutsche Elf mittlerweile über ein geschlechtstolerantes rosa Trikot verfügt – das Leiberl tragen Julians Jungs ja nur außerhalb.
Über die Fallstricke im Stadion
Wer es geschafft hat, ein Ticket für eines der 51 Spiele zu ergattern, auf den lauern im Stadion Fallstricke. Das geht bei den Fangesängen los. Ein "Döp dö dö dö döp" auf Gigi D’Agostinos 23 Jahre alte, völlig unpolitisches "L’amour toujours" zieht nach Sylt-Gate wohl auch ohne textliche Entgleisung eine Platzräumung nach sich. Also doch lieber Silbensingen zu "Seven Nation Army"? Wenigstens, bis ein Gesinnungssensibler den Titel als militaristisch motiviert interpretiert.
Weiter geht’s in der Kabine. "Alles für Deutschland" als motivierender Schlachtruf vor dem Marsch auf dem Rasen – bis vor Kurzem völlig verdachtsfrei im Sport – schließt sich mittlerweile aus, weil dann der Staatsanwalt schon an der Seitenlinie wartet. Besser "Alles für den Kaiser", in Erinnerung an "Kaiser" Franz Beckenbauer, der vor 18 Jahren die WM ins Land geholt hat? Hier läuft der Kicker Gefahr, als wilhelminisch denkender Reichsbürger gebrandmarkt zu werden, der bald neben Prinz Reuß auf der Anklagebank in seiner Leichtbauhalle Platz nehmen muss.
Mit einem lauten "Alles für Jesus!" in die Fußballschlacht ziehen
Mein Tipp: Mit einem lauten "Alles für Jesus!" in die Fußballschlacht ziehen – zumindest so lange das aus Rücksicht auf die religiösen Gefühle Andersgläubiger noch erlaubt ist. EKD und Deutsche Bischofskonferenz machen es vor und haben mit ihrer Aktion "fußballbeGEISTert" ein ökumenisches Webportal für Aktionen, Gedanken und Gottesdienstmaterialien rund um Kirche und Sport auf die Beine gestellt.
Ein Fußballfest, während und nachdem nicht nur auf und neben dem Platz um den richtigen Pass sowie den guten Ton gerungen wird, sondern das den Zusammenhalt stärkt – das wär doch ein echtes Sommermärchen.
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