Der 40-jährige Informatiker Boris F. aus Mittelfranken fühlt sich überlastet. Der Druck bei der Arbeit ist hoch, privat steht bei der neunjährigen Tochter eine schwierige Operation an.

Es sind Fälle wie diese, mit der die Nürnberger "Blaufeuer"-Lotsin und Pädagogin Judith Krieger den Bedarf an dem bundesweit einmaligen Pilotprojekt "Blaufeuer - Beratungsstelle für Beschäftigte mit psychischer Belastung" bei einem Pressetermin am Mittwoch illustrierte.

Beratung durch "Blaufeuer"

Krieger hat den Ratsuchenden nach einem Erstgespräch weiter beraten. Dabei hat sie ihn auch zu einem Entspannungskurs bei seiner Krankenkasse gelotst.

Zusätzlich bereitete sie ihn auf ein Gespräch mit dem Vorgesetzten vor, um die wöchentlichen Überstunden auf maximal drei zu deckeln. Nach sieben Monaten sei der Erfolg da. "Es geht ihm besser", bilanzierte Krieger.

"Blaufeuer" hat in der Aufbauphase rund 260 Menschen beraten und betreut. In 74 Fällen reichte bereits eine eineinhalbstündige Erstberatung, um pragmatische Lösungswege aufzuzeigen, ergänzt Lotsin und Psychologin Julia Bahr.

Das vierköpfige Lotsenteam in Nürnberg verweist auch auf unterstützende Angebote, um der gefühlten Überlastung von Beschäftigten zu begegnen. Das können Angebote der Krankenkasse oder der Familienberatung sein.

"Manchmal sehen die Betroffenen schon den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr", sagte Bahr.

Daher strukturiert das "Blaufeuer"-Team den gefühlten Stress in Konflikte mit Kollegen und Chefs im Beruf sowie Probleme daheim in Familie, sozialem Umfeld oder der Freizeit.

Zielsetzung des Projekts

Ziel des Pilotprojekts sei es, durch frühzeitige Hilfen spätere Diagnosen wie Depression, Angststörungen oder psychosomatische Beschwerden zu vermeiden. Immerhin stiegen seit Jahren die Zahlen seelischer Erkrankungen kontinuierlich. Sie können bis zur Erwerbsminderung und Arbeitsunfähigkeit führen.

Wieso wird "Blaufeuer" gebraucht?

Welche Rolle Corona gespielt hat, dass Ratsuchende die "Blaufeuer"-Beratung in Anspruch genommen haben, lasse sich nicht sagen, so Bahr.

Auffällig sei aber, dass zwei Drittel der Klienten weiblich waren. Das könne daran liegen, dass berufstätige Frauen in Lockdownzeiten besonders gefordert waren. Häufig sei zu Homeoffice und virtuellem Schulunterricht auch noch die Hausarbeit gekommen.

Für zusätzlichen Stress sorgten die geschlossenen Freizeitangebote - Fitnessclub, Treffen im Café oder gar Urlaub waren praktisch nicht möglich.

Andererseits gebe es für die hohe Nachfrage von Frauen auch eine andere Erklärung. Generell seien Frauen kommunikativer und nähmen Hilfsangebote bis hin zu Therapien deutlich häufiger wahr als Männer.

In anderen Fällen gerät durch die psychischen Belastungen im Beruf das private Umfeld aus dem Tritt. Das könne dazu führen, dass Betroffene als eine Folge ihre eigene Ernährung vernachlässigen oder sich aus ihrem sozialen Umfeld zurückziehen, ergänzte Bahr.

Bislang wurden als Hauptprobleme der Betroffenen Überforderung, Konflikte mit Vorgesetzten oder Kollegen, fehlender Handlungsspielraum bis hin zur Angst um den Arbeitsplatz erfasst. Mehrheitlich hätten anschließend die Teilnehmer der individuellen Beratung eine positive Bilanz gezogen, sagen die "Blaufeuer"-Lotsinnen.

Die Zukunft des Projekts

Seit Jahresbeginn befindet sich das vom Bundesarbeitsministerium geförderte "Blaufeuer"-Projekt in der Hauptphase, die bis Ende April 2025 dauert.

Bis dahin soll die Hilfe zu mehr Selbstwirksamkeit auch durch die wissenschaftliche Evaluierung belegt sein. Dann könne die "Blaufeuer"-Beratung unter dem Dach des Berufsförderungswerks Nürnberg in den Regelbetrieb übergehen.

Derzeit liefen Verhandlungen, wie die weitere Finanzierung des Hilfsangebots ausschauen könnte.

Begriffserklärung "Blaufeuer"

"Blaufeuer" ist ein Begriff aus der Schifffahrt. Wenn ein Kapitän Hilfe bei der Orientierung braucht, gibt er ein blaues Leuchtsignal - das Blaufeuer -, und ein Lotse kommt an Bord.

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