Ausgrenzungserfahrungen und fehlende Chancen zur gesellschaftlichen Teilhabe sind nach Expertenansicht ein wichtiger Grund für die hohen Zustimmungswerte für Recep Tayyip Erdogan bei der Präsidentschaftswahl in der Türkei durch die deutsche-türkische Community.
Vielen hier lebenden Türkinnen und Türken sei Deutschland bislang keine "emotionale Heimat" geworden, sagte der wissenschaftliche Mitarbeiter des Zentrums für Türkeistudien und Integrationsforschung, Caner Aver, in Essen dem Evangelischen Pressedienst (epd).
Experte sieht auch eine Chance für die deutsche Politik
Im Kollektivgedächtnis vieler türkischstämmiger Menschen gebe es "Ausgrenzungserfahrungen" etwa im Zusammenhang mit den rechtsradikalen Anschlägen oder aufgrund der anhaltenden Debatte um Integration. Viele fühlten sich dann eher der Türkei und deren Staatspräsidenten Erdogan zugehörig.
Hinzu komme, dass "gut zwei Drittel der türkischstämmigen Bevölkerung in Deutschland aus religiös-konservativen und nationalistischen Milieus stammen", erklärte Aver. Diese Milieus würden der Politik Erdogans nahestehen, entsprechende Wertvorstellungen würden in den Familien weitergegeben.
Laut Aver haben bei der Stichwahl um das Präsidentenamt vom Sonntag 50,7 Prozent der in Deutschland lebenden Türken ihre Stimme abgegeben. Das seien zwei Prozentpunkte mehr als beim ersten Durchgang der Präsidentenwahl vor zwei Wochen.
Bei der Stichwahl stimmten nun zwei Drittel der hier lebenden Türken, die an der Wahl teilnahmen, für Erdogan. Gleichwohl sei der Stimmenanteil "nicht entscheidend" für den Wahlsieg des türkischen Präsidenten.
Aver sieht angesichts der Entwicklung, dass durch die Reform des Staatsbürgerschaftsrechts auch der Anteil der Menschen mit türkischer und deutscher Staatsbürgerschaft steigen dürfte, eine Chance für die deutsche Politik. Es gebe in den Familien ein "hohes Maß an Politisierung". Dies könne dazu genutzt werden,
"Konzepte und Maßnahmen zu entwickeln, um dieses hohe politische Interesse in Richtung Deutschland zu kanalisieren".
Kommentare
Diskutiere jetzt mit und verfasse einen Kommentar.
Teile Deine Meinung mit anderen Mitgliedern aus der Sonntagsblatt-Community.
Anmelden