Frau Generalkonsulin, was genau macht eine Generalkonsulin eigentlich?

Carmela Shamir: (lacht) Interessante Frage! Zunächst einmal können alle Konsuln, Botschafter oder Mitarbeiter im Ministerium ihre eigene Agenda festlegen. Natürlich gibt es einen allgemeinen Rahmen, aber in diesem Rahmen kann man an eigenen Zielen und Ideen arbeiten.

"Die Beziehungen zwischen Deutschland und Israel sind besser denn je."

Was wäre das bei Ihnen?

Im wirtschaftlichen Bereich wurde bereits viel erreicht, aber vor allem die Arbeit im akademischen Bereich und in den kulturellen Beziehungen kann und muss weitergeführt werden. Mein persönliches Hauptaugenmerk liegt darauf, mit jungen Menschen zu arbeiten, um eine gute Verbindung zwischen Israel und Deutschland aufzubauen. Eine neue Generation ist herangewachsen, und durch sie hat sich viel verändert, auch die Beziehungen zwischen Deutschland und Israel sind besser denn je. Es gibt viele Möglichkeiten, die Beziehungen zwischen beiden Ländern weiter zu stärken und auszubauen, sei es durch die Zusammenarbeit in der Wissenschaft, im Sport oder durch Jugendaustausch-Programme.

Warum ist Ihnen das so wichtig?

Die Grundlagen für die heutige Beziehung wurden durch die Generation gelegt, die die Shoah unmittelbar erlebt hat. Es ist wichtig, dass auch die nächsten Generationen den Wert der Beziehungen zwischen Israel und Deutschland erkennen und sich beispielsweise für den Schutz und die Sicherheit Israels einsetzen. In der Erinnerungsarbeit spielt die Digitalisierung eine immer wichtigere Rolle, je weniger Zeitzeugen noch leben. Meine Aufgabe besteht darin, die Beziehungen zwischen beiden Ländern auf die nächste Ebene zu bringen und sicherzustellen, dass auch die vierte und fünfte Generation nach dem Holocaust die einzigartigen Beziehungen zwischen Israel und Deutschland aufrechterhält.

"München ist eine wunderschöne und aufregende Stadt."

Sie waren schon Botschafterin in Usbekistan, Sie waren in London und Tokio. Wie kamen Sie auf Deutschland und nach München?

Ich war Leiterin der Abteilung für Zentraleuropa im israelischen Außenministerium. Das einzige Land, das eine noch höhere Bedeutung für Israel hat als Deutschland, sind die USA. Die Aufgabe ist einfach faszinierend, und ich hatte das Gefühl, dass ich hier wirklich etwas bewirken kann. Wie gesagt, die gerade genannten Themen liegen mir sehr am Herzen. Man kann neue Bereiche erschließen, kreativ sein, neue Herausforderungen annehmen. Und München ist eine wunderschöne und aufregende Stadt.

Finden Sie?

Natürlich. Schauen Sie einfach aus dem Fenster. (lacht) Aber ganz Bayern ist so hübsch. Überhaupt der ganze Süden Deutschlands. Es ist hier so romantisch und schön – und so ruhig! Ich war gerade in meiner Heimatstadt Mod’in, und der Kontrast ist wirklich offensichtlich. Aber ganz klar: Mod’in ist trotzdem mein Zuhause! Es ist, wo ich hingehöre. Sagen wir: Das hier gerade ist wie ein schöner Urlaub für mich.

"Das jüdische Leben in München hat eine beeindruckende Vitalität."

Nehmen Sie aktiv am jüdischen Leben in München teil?

Ja, ich besuche ziemlich oft die Ohel-Jakob-Synagoge am Münchner St.-Jakobs-Platz. Ich versuche, an allen Feiertagen dabei zu sein. Das jüdische Leben in München hat eine beeindruckende Vitalität, es ist durch sehr starke und einander verbundene Gemeinden geprägt. Auch wenn wir drei verschiedene Synagogen haben, fühlen sich die Menschen doch als Teil einer Gesamtgemeinde. Und ich genieße es sehr, das mitzuerleben.

Haben Sie in München schon Lieblingsorte?

Ich mag die Museen sehr. Die Museen hier sind unglaublich! Und jeder Konzertsaal ist beeindruckend. Auch das gibt es so nicht in Israel. Wenn ich an Tel Aviv denke: Wir haben da fast nur zeitgenössische Architektur, jetzt ist die Stadt voller Wolkenkratzer. Natürlich brauchen wir die, aber ich finde es weniger schön als das Tel Aviv, das ich vor 30 Jahren kannte.

Was kann Bayern, so schön und ruhig es ist, von Israel lernen?

Spontanität. Israelis haben auch keine Angst zu scheitern. Denn wissen Sie, wir haben die Erfahrung machen müssen, etwas von Grund auf aufzubauen – und wir waren erfolgreich damit. Wir hatten kein Wasser, also haben wir geschaut, wie wir an Wasser kommen. Wir hatten zu wenig Lebensmittel, also haben wir geschaut, wie wir sie mit innovativer Landwirtschaft bekommen. Uns fehlte militärische Ausrüstung, also entwickelten wir Systeme wie den Raketenschutzschild "Iron Dome". Kurz: Wir mussten aus der Not heraus innovativer werden. Bayern dagegen ist seit den 50er-Jahren scheinbar ohne große Mühen gewachsen. Die Wirtschaft konnte auf großer Ingenieurskunst aufbauen und selbst Mittelständler haben es in ihrem Bereich zu Weltmarktführern gebracht. Aber – die Welt ist im Wandel, es stehen große Veränderungen an, deshalb muss Bayern innovativer werden.

"Deutschland kann also von Israel lernen, Israel kann von Deutschland lernen – wir treffen uns am besten in der Mitte."

Und umgekehrt? Was kann Israel von Deutschland lernen?

Wir können uns eine Scheibe von der deutschen Perfektion abschneiden. Wissen Sie, wir nehmen es oft nicht so genau, auch wenn die Dinge noch nicht ganz fertig und noch nicht zu Ende gedacht sind, stehen wir schon in den Startlöchern, um sie zu verkaufen. Deutschland kann also von Israel lernen, Israel kann von Deutschland lernen – wir treffen uns am besten in der Mitte. Wir könnten auch in Sachen Fußball was lernen, denke ich. (lacht)

Sind Sie da sicher? Bei der letzten Weltmeisterschaft lief es für Deutschland nicht so gut.

Aber wir waren erst gar nicht dabei! (Gelächter)

Seit Juli des vergangenen Jahres hängt ein neues Stadtwappen im Gang zum Prunkhof des Münchner Rathauses: das der südisraelischen Stadt Be’er Sheva – der jüngsten Partnerstadt der bayerischen Landeshauptstadt. Warum ist Be’er Sheva die richtige Partnerstadt für München?

Erstens, weil es beide Städte wollten. München war bereit, mit Be’er Sheva zusammenzuarbeiten und andersherum. Zweitens sind beide Städte an einem engeren Austausch in vielen Bereichen interessiert. Die beiden Städte sind sehr unterschiedlich, aber sie können sich einfach sehr gut ergänzen. Und es gibt bereits eine Menge gemeinsamer Austauschprojekte, vor allem im kulturellen Bereich und für die Jugend.

"Es ist ein sehr ernstes Ringen um die Zukunft der israelischen Demokratie."

Israel schreibt gerade negative Schlagzeilen. Die vor Kurzem in erster Lesung beschlossene Justizreform sieht vor, dass die Knesset, das israelische Parlament, Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs des Landes mit einfacher Mehrheit überstimmen kann. Das bedeutet faktisch das Ende der Gewaltenteilung. Nicht nur die Opposition im Land befürchtet ein Ende der Demokratie in Israel, jedenfalls eine schwere Beschädigung grundsätzlicher demokratischer Prinzipien. Wie sehen Sie das?

Nun, es ist klar, dass dies das Land in großen Aufruhr versetzt hat. Viele Menschen demonstrieren gegen diese Reform. Und auf der anderen Seite sehen Sie aber auch demokratisch gewählte Mitglieder der Knesset, die 2023für diese Reform sind und sie umsetzen wollen. Ich denke, es ist ein sehr ernstes Ringen um die Zukunft der israelischen Demokratie. Zum einen muss man die sehr lebhafte Debatte würdigen. Es zeigt, dass die Menschen sich wirklich für die Zukunft Israels engagieren, über alle Parteigrenzen hinweg. Zum anderen muss man anerkennen, dass sich alle einig sind, dass es jetzt eine Reform der Justiz braucht. Das Justizsystem hat im Laufe der Jahre den Eindruck vermittelt, elitär zu sein. Das heißt, es repräsentiert die Vielschichtigkeit der israelischen Gesellschaft nicht wirklich angemessen. Die Frage ist nur, wie schnell die Reformen vonstattengehen. Schafft man es, einen Konsens herzustellen oder nicht? Das größte Unbehagen löst bei sehr vielen Menschen das hohe Tempo aus, in dem diese Reformen durchgeführt werden. Daher hoffe ich wirklich, dass ein Kompromiss gefunden wird und dieser Reformprozess weniger konfrontativ und mehr konsensorientiert verläuft.

Warum ist die Netanjahu-Regierung nicht kompromissbereiter?

Ich bin keine Politikerin. Ich kann, will und sollte mich nicht zu den politischen Überlegungen der israelischen Regierung oder der Knesset äußern. Ich bin hier, um in erster Linie die Grundwerte des Staats Israel zu vertreten. Wie gesagt: Ich denke, dass diese ganze Debatte Ausdruck des lebendigen demokratischen Systems ist, das wir in Israel haben. Ich bin zuversichtlich, dass ein Kompromiss gefunden wird.

Viele sind der Meinung, dass die Justizreform zu einem Rückzug von Investoren und Kapital führen könnte. Befürchten Sie einen wirtschaftlichen Rückschlag?

Unsere Wirtschaft ist sehr stark und global vernetzt. Die Tatsache, dass wir viele Investitionen in Israel haben und der weltweite Erfolg unserer Innovationen beruht nicht auf einzelnen politischen Entscheidungen: Unsere Wirtschaft ist unter den verschiedensten Regierungen immer stärker geworden.
Wenn sich die Debatte wieder beruhigt, die Demonstrationen nachlassen und die Regierung oder die Knesset sich offener für eine Konsenslösung zeigen, werden diese Ängste auch wieder abnehmen.

Der Iran scheint kurz davor zu stehen, nach der Bombe zu greifen. Weiterhin ist Deutschland aber der Handelspartner Nummer eins des Iran in der EU. Was wünschen Sie sich von der deutschen Iran-Politik?

Deutschland und die EU insgesamt sind sich einig, dass wir den Iran daran hindern müssen, eine Atomwaffe zu besitzen. Und mit der enormen Unterstützung der Iraner für den russischen Feldzug in der Ukraine rückt das Thema auch näher an Europa heran. Ich bin mir sicher, dass Deutschland wegen dieser Möglichkeit genauso besorgt ist wie Israel. In dieser Hinsicht waren wir mit Deutschland nicht immer einer Meinung, nähern uns jedoch an. Aber heutzutage, denke ich, erkennt man immer mehr die Gefahren und sucht nach anderen Möglichkeiten, den Iran zu stoppen.

"Die meisten Israelis sehen ein multikulturelles und multireligiöses Israel als eine Bereicherung an."

Auf dem katholischen Friedhof auf dem Berg Zion in Jerusalem ist das Grab von Oskar Schindler. Der protestantische Friedhof in der Nähe wurde kürzlich von jüdischen Teenagern verwüstet. Und es gab weitere Gewalttaten, Hassgraffiti, Kirchenschändungen. Warum ist das Klima für Christen in Israel im Moment so rau?

Ich glaube nicht, dass dies das allgemeine Klima ist. Die schockierenden, abscheulichen Beispiele, die Sie angeführt haben, sind die Taten einer extremen Minderheit, die die Mehrheit der israelischen Bevölkerung und die Regierung sehr ernst nehmen und verurteilen. Auch Polizei und Justiz nehmen das alles sehr ernst und versuchen, die Täter zu finden und zu bestrafen. Die meisten Israelis akzeptieren dieses Verhalten nicht und sehen vielmehr ein multikulturelles und multireligiöses Israel als eine Bereicherung an. Wir müssen diesen Extremismus bekämpfen. So wie auch die deutsche Regierung die Schändung von jüdischen Friedhöfen und Synagogen klar verurteilt, obwohl Extremisten diese Verbrechen immer wieder begehen.

Sie sprechen es gerade an: Die Zahl antisemitischer Gewalttaten in Deutschland und auch in Bayern hat erneut zugenommen. Was müssen wir tun, um Antisemitismus wirksam zu bekämpfen?

Ich denke, das wird leider ein ständiger Kampf bleiben. Bayern tut aber schon viel an dieser Stelle. Da ist zum Beispiel der Antisemitismusbeauftragte Ludwig Spaenle, der großartige Arbeit leistet, in ganz Bayern präsent ist und sich gegen Judenfeindlichkeit stark macht. Es gibt auch eine Menge Bildungsprogramme an den Schulen. Und: Bayern hat als erstes Bundesland einen zentralen Antisemitismusbeauftragten der Justiz, Oberstaatsanwalt Andreas Frank. Herr Frank leistet eine erstaunliche Arbeit und lässt nicht locker. Er setzt sich dafür ein, bestimmte Straftaten auch als das zu bezeichnen, was sie sind, nämlich Antisemitismus. Und er findet Wege, um Taten zu verfolgen, die unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit stattfinden, in Wirklichkeit aber antisemitische Hassverbrechen sind.

"Alle Menschen müssen in der Lage sein, das Phänomen Antisemitismus zu identifizieren und es beim Namen zu nennen."

Wir erleben Antisemitismus aus allen gesellschaftlichen Milieus, von rechts, von links, von Muslimen – aber was die verschiedenen Strömungen vereint: Es gibt meistens einen Bezug zum Staat Israel.

Ja, ich denke, dass Deutschland viel damit zu tun hat, eine multikulturelle Gesellschaft zu werden. Es gibt immer noch Bevölkerungsgruppen, die mehr Bildungsarbeit brauchen, um sich in die deutsche Gesellschaft zu integrieren, die Werte der deutschen Gesellschaft zu akzeptieren und auch zu erkennen, was antisemitisch ist. Wir brauchen Bildung, Bildung, Bildung! Zunächst einmal müssen alle Menschen in der Lage sein, das Phänomen Antisemitismus zu identifizieren und es beim Namen zu nennen, es nicht zu verschleiern. Beispielsweise nicht etwas als legitime Kritik zu bezeichnen, wenn es in Wahrheit nur auf antisemitischen Motiven basiert.

Kommentare

Diskutiere jetzt mit und verfasse einen Kommentar.

Teile Deine Meinung mit anderen Mitgliedern aus der Sonntagsblatt-Community.

Anmelden

IStauch am So, 19.03.2023 - 14:01 Link

Vielen Dank für dieses ausführliche Interview. Dass sich eine Beamtin des Außenministeriuns nicht kritisch zur aktuellen Politik äußern kann, ist selbstverständlich, weshalb schon die Frage zu dem Streit um die „Justizreform“ eine große Zumutung für sie war und mE ein Fauxpas des Fragers. Demgegenüber habe ich erwartet, dass Sie die in Israel ja auch sehr streitige Frage nach einer Perspektive für einen Palästinensischen Staat ansprechen. Ich denke, das interessiert hier in Deutschland sehr viele Leute brennend. Dass das Thema Palästina nur im Zusammenhang mit dem terrorismus auftaucht, enttäuscht mich sehr.