Dieser Schritt war schon lange befürchtet worden: Bereits im vergangenen Jahr waren mehrere Konzerte von Stardirigent Daniel Barenboim ausgefallen. Im Oktober kam dann von ihm selbst die Mitteilung, dass er an einer "schweren neurologischen Erkrankung" leide. Ein geplantes Konzert zu seinem 80. Geburtstag am 15. November, bei dem er als Pianist auftreten wollte, wurde abgesagt.

Doch dann stand er wieder am Pult und dirigierte in der Berliner Staatsoper die neunte Sinfonie von Ludwig van Beethoven (1770-1827) in einem Konzert zum Jahreswechsel. Jetzt zieht er sich zurück.

Barenboims Gesundheitszustand verschlechtert

"Ich kann die Leistung nicht mehr erbringen, die zu Recht von einem Generalmusikdirektor verlangt wird", heißt es in einer Erklärung Barenboims. Sein Gesundheitszustand habe sich im vergangenen Jahr deutlich verschlechtert.

Offenbar ist ihm der Schritt nicht leicht gefallen: "Wir sind über die Jahre eine musikalische Familie geworden und werden diese auch bleiben", schreibt der Ausnahmemusiker über die Staatskapelle, das Orchester der Staatsoper. Das Ensemble hatte Barenboim im Jahr 2000 zum Chefdirigenten auf Lebenszeit gewählt.

Barenboim ist seit 1992 Generalmusikdirektor der Staatsoper Unter den Linden. Lange war der umtriebige Star regelmäßig in den berühmten Konzertsälen der Welt zu Gast. Dabei nutzte er seine Berühmtheit immer wieder, um sich einzumischen: Musik müsse "zu einem wesentlichen Teil des gesellschaftlichen Lebens" werden. Dahinter steht Barenboims Idee, dass Musik den Menschen zum Besseren verändern könne.

Versöhnungsprojekt mit Israelis und Palästinensern

Eines seiner Herzensprojekte ist das "West-Eastern Divan Orchestra". Er gründete es 1999 mit seinem Freund, dem palästinensischen Literaturwissenschaftler Edward Said (1935-2003); ein Friedensprojekt für junge Musiker aus Israel, den palästinensischen Autonomiegebieten und anderen arabischen Ländern. Nach zwei Stunden Probe habe er "das Hassniveau auf null reduziert", sagte der Maestro einmal.

Ebenso engagierte er sich etwa in Berlin für die Gründung von "Musikkindergärten", um schon die Jüngsten mit Klängen, Rhythmus und Instrumenten bekannt zu machen. Sein Credo: "Nicht Musikerziehung, sondern Bildung durch Musik."

Ende 2016 hat die Barenboim-Said-Akademie für junge Musiker aus dem Nahen Osten in Berlin ihre Arbeit aufgenommen. Die Studenten der Musikhochschule werden auch in Philosophie, Geschichte und Literatur unterrichtet. Das gemeinsame Musizieren und Lernen soll Verständigung, Kompromissbereitschaft und Versöhnung fördern.

Warnung vor Nationalismus, Besetzung Palästinas "unmoralisch"

Gern nutzte Barenboim seine Auftritte für kurze Ansprachen ans Publikum. 2017 etwa warnte er bei einem Konzert im Rahmen der "Proms" in London angesichts des Brexits vor Isolationismus und Nationalismus in Europa. Wenige Wochen davor hatte er in einem Artikel die Besetzung palästinensischer Gebiete als Folge des Sechstagekriegs 1967 als "unmoralisch" kritisiert.

Barenboim wurde 1942 in Buenos Aires als Sohn russisch-jüdischer Migranten geboren und wuchs von 1952 an in Israel auf. Klavierunterricht erhielt er nur von seinen Eltern. Mit dem anderen argentinischen Klavierwunder, Martha Argerich, soll er als kleines Kind unter dem heimischen Flügel gespielt haben. Zusammen traten sie später immer wieder auf der Bühne auf.

Sein internationales Debüt als Pianist gab er als Zehnjähriger in Wien und Rom. Als Dirigent stand er erstmals 1967 in London auf der Bühne. Später folgten Stationen als Chefdirigent in Paris und Chicago.

Neben dem klassischen Konzert- und Opernrepertoire hat er sich mit der Berliner Staatskapelle verstärkt der zeitgenössischen Musik zugewendet. Auch dem Tango seines Geburtslandes hat er immer wieder seine Referenz erwiesen.

Söhne sind ebenfalls Musiker

Barenboim ist mit der russischen Pianistin Jelena Baschkirowa verheiratet. Seine erste Frau, die britische Cellistin Jacqueline du Pré, starb 1987. Seine zwei Söhne sind ebenfalls Musiker.

"Musik ist kein Beruf, sie ist eine Lebenseinstellung",

schrieb Barenboim im Oktober 2022 in einem Beitrag in der Wochenzeitung "Die Zeit". So habe er sein ganzes Leben verbracht.