Zwei Minuten und 30 Sekunden brauchten Sie für die 162 Stufen, die Sie mit der Fackel zum Olympischen Feuer hochgelaufen ist. Wann waren Sie das letzte Mal am Ort des Geschehens?

Zahn: Ich war jetzt während der European Championship in München mit meiner Frau auf der Haupttribüne gesessen. Da ging der Blick oft in den Bereich, wo ich vom Marathon-Tor aus über die Bahn und dann die 162 Stufen hinaufgelaufen bin. Das ist immer noch alles sehr präsent und emotional besetzt.

Sie waren damals erst 18 Jahre alt. Waren Sie eigentlich nervös?

Als ich am 26. August in das volle Stadion geschaut und die ganzen Nationen auf dem Rasen gesehen habe - da waren so gut 80.000 Menschen im Stadion und nochmal etwa eine Milliarde an den Bildschirmen daheim -, da wurde ich schon nervös. Aber zum Glück waren vier Läufer dabei, die mich auf der Bahn begleitet haben, darunter zwei Idole von mir: Kipchoge Keino aus Kenia und Jim Ryan aus den USA. Mit denen habe ich mich unterhalten, und das hat mir die Nervosität genommen.

"Stadionsprecher Blacky Fuchsberger hatte bei den Proben immer wieder gesagt: "Mensch Junge, lauf langsamer.""

Sie waren schon oben, und doch dauerte es eine Weile, bis das Olympische Feuer entfacht war.

Stadionsprecher Blacky Fuchsberger hatte bei den Proben immer wieder gesagt: "Mensch Junge, lauf langsamer." Aber ich war dann doch ein paar Sekunden zu schnell oben, sodass das Feuer nicht gleich durch meine Fackel entzündet wurde. Das Gas war noch nicht aufgedreht. Aber besser zu früh als zu spät. Peinlich wäre es gewesen, wenn das Feuer angegangen wäre, ohne dass ich es mit der Fackel entzündet hätte.

Wie kam es dazu, dass Sie Fackelträger wurden?

Ich war vier Wochen vorher bei der Deutschen Jugendmeisterschaft in Bielefeld. Da hatte Willi Daume seine Leute hingeschickt, um jemanden für den Fackellauf in München zu finden. Die waren genau zu dem Zeitpunkt da, als ich meinen 1500 Meter Lauf hatte. Als ich dann auch noch Deutscher Meister wurde und einen passenden Laufstil hatte, sind sie nach der Siegerehrung auf mich zugekommen.

"Das Problem war, dass die Sprinterin Elfgard Schittenhelm wie ich blond und blauäugig war."

Niederbayern war damals stark vertreten: Hürdenläuferin Heidi Schüller aus Passau sprach als erste Frau den Olympischen Eid. Wie kam es dazu?

Heidi Schüller war zunächst gar nicht vorgesehen. Eigentlich sollte die Sprinterin Elfgard Schittenhelm die Eidesformel sprechen. Das Problem war aber, dass sie wie ich blond und blauäugig war.

War das für Willi Daume zu viel "Arier-Aussehen"?

Ja. München 1972 sollte ein bewusster Kontrapunkt zu Berlin 1936 sein, da wollte man der Welt nicht lauter blonde und blauäugige Typen zeigen. Weil man sich aber schon auf mich als Fackelträger festgelegt hatte, entschieden sie sich für die dunkelhaarige Heidi Schüller. Als ich die Elfgard später einmal traf, sagte sie zu mir: Weil du blond und blauäugig warst, bin ich nicht als Eidsprecherin akzeptiert worden.

"Es sollte das neue Deutschland repräsentiert werden."

Sie sollten beide das andere, freiheitliche Deutschland verkörpern?

Anfangs dachte man noch, dass ein Teilnehmer der Olympischen Spiele von 1936 als Fackelträger infrage käme. Das wollte Willi Daume aber unbedingt vermeiden. Es sollte das neue Deutschland repräsentiert werden. Das heißt, er wollte Leute, die die Jugend der Welt verkörperten, die nicht mit den Nazi-Spielen von 1936 in Berlin in Verbindung gebracht würden.

Was haben Sie damals vom Attentat mitbekommen?

Zahn: Ich war eine Woche vorher schon da, habe im Olympischen Dorf gewohnt und war während der ganzen Zeit bei den Wettkämpfen dabei. Das Attentat habe ich erlebt, war Luftlinie etwa 200 Meter davon entfernt. Wie die meisten Athleten auch habe ich das meiste aber über die Medien mitbekommen. Es war erschreckend, als wir erfuhren, dass die Geiseln tot sind. Die Spiele wurden dann für das Gedenken an die Opfer unterbrochen.

"Viele sagten damals, die Spiele müssten beendet werden."

Waren Sie bei der Gedenkfeier dabei?

Ich war dabei im Stadion, als IOC-Präsident Average Brundage die Worte sprach: "The Games must go on!" Viele sagten damals, die Spiele müssten beendet werden. Aber im Nachhinein sagt inzwischen jeder, dass es die richtige Entscheidung war.

Was wurde aus der Fackel, haben Sie sie noch?

Das Feuer wurde ja in Griechenland entzündet. Da sind knapp 6000 Läuferinnen und Läufer, bis das Feuer in München ankam - und jeder und jede hat die Fackel behalten dürfen. Meine war die Letzte: Sie hat bis heute einen ideellen Wert für mich und ich habe sie zu Hause aufbewahrt.

"Ich bin der einzige noch lebende Fackelträger in Deutschland, der einmal das Olympische Feuer entzündet hat."

War es der Lauf Ihres Lebens?

Zahn: Es war ein außergewöhnlicher Lauf, der nichts mit Leistungssport zu tun hatte. Wenn man bedenkt, wer in den vergangenen Jahren das Olympische Feuer entfacht hat, so wie 1996 Muhammad Ali, dann bin ich stolz, dass ich das machen durfte. Ich bin der einzige noch lebende Fackelträger in Deutschland, der einmal das Olympische Feuer entzündet hat. Fritz Schilgen, der Fackelträger von 1936 - ich bin ihm einmal begegnet -, lebt nicht mehr.