Generationen von Münchnerinnen und Münchnern sind schon auf den geschwungenen Wegen über die Hügel des Olympiaparks spaziert. Auf kleinen Schildchen erfährt man, dass es sich bei den Bäumen, die die Wege säumen, um Mitbringsel der Gastländer der Olympischen Spiele von 1972 handelt.

Doch nicht nur der Park ist in dieser Zeit entstanden. Ganz selbstverständlich steigt man heute in die S- oder U-Bahn, fährt über den Mittleren Ring oder geht in einem der zahlreichen Bäder schwimmen - all das hat München Olympia zu verdanken.

Gesellschaft ändert sich in den 60ern

Gesellschaftlich und architektonisch habe sich in den 1960er-Jahren einiges verändert, sagt die Münchner Kulturwissenschaftlerin Simone Egger. Das habe sich auch auf die Gestaltung des Olympiageländes übertragen. In der Bauweise für Olympia sollten sich Demokratie, Offenheit und Freiheit niederschlagen.

Die Bundesrepublik wollte als freundlicher, bescheidener Gastgeber auftreten, berichten die Journalisten Roman Deininger und Uwe Ritzer in ihrem 2021 erschienen Buch "Die Spiele des Jahrhunderts." Also das Gegenteil von Berlin 1936, als die Nationalsozialisten die Olympischen Spiele für ihre Propaganda missbrauchten.

Erster Entwurf für Olympiastadion erinnerte an Nazis

Doch dann erinnerte der erste Entwurf für das Olympiastadion genau an diese Zeit. Mit seiner monumentalen Bauweise habe der Entwurf zu viel Ähnlichkeit mit dem Nürnberger Reichsparteitagsgeländes gehabt, schreiben Deininger und Ritzer. Der Vorschlag wurde verworfen, eine zweite Wettbewerbsausschreibung gestartet.

Der Stuttgarter Architekt Günther Behnisch reichte daraufhin einen Entwurf ein, der weltweit neue Maßstäbe setzte. Er hatte die kühne Idee, ein Stadion mit luftig-leicht wirkendem Zeltdach zu bauen - und erhielt den Zuschlag.

Mensch steht im Mittelpunkt

Das Demokratische an dem Stadion sei vor allem das Verhältnis zwischen der Architektur und dem Menschen, erklärt die Kulturwissenschaftlerin Simone Egger, die 2013 ihr Buch "München wird moderner" veröffentlicht hat. Nicht das Gebäude dominiere den Menschen, sondern der Mensch stehe im Mittelpunkt.

Für das Stadion wurde daher extra Erde ausgehoben, sodass es tiefer liegt und sich nicht über den Menschen erhebt. Von außen und von den umliegenden Hügeln aus kann man auch heute noch gut ins Stadion hineinschauen.

Olympiapark ist bayerischer Landschaft nachempfunden

Außerdem sollte der Olympiapark der bayerischen Landschaft nachempfunden sein, sagt Egger weiter. So seien Hügel und Täler integriert worden, stellenweise sei hohes Gras mit Alpenblumen gepflanzt worden, um Almwiesen nachzustellen. Und ganz neu: Die Parkbesucher durften die Grünflächen ausdrücklich betreten.

Egger erklärt:

"Man muss sich vergegenwärtigen, dass es damals verboten war, die Wiesen im Englischen Garten zu betreten, da waren Kuhweiden."

Und es habe sich damals einfach nicht gehört, sich im Park ins Gras zu setzen.

Damals sei man auch im Kostüm und Anzug auf Beatleskonzerte gegangen, und auch die ersten Studentenproteste hätten im Anzug stattgefunden, erzählt Egger, die an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt lehrt. Dass München für die Olympischen Spiele moderner werden sollte, habe daher viele Menschen angesprochen.

Olympia macht Bauvorhaben möglich

In den 1960er-Jahren sei die junge Bundesrepublik noch mit dem Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg beschäftigt gewesen und habe nach Jahren der NS-Ideologie neue Wege des Denkens finden wollen, sagt Egger weiter. "Im Krieg wird nicht in Infrastruktur oder Sanierungen investiert." Einiges habe angestanden, doch das Geld habe gefehlt. 1963 sei ein Stadtentwicklungsplan für München entstanden, dessen Fertigstellung für die 1990er-Jahre angedacht gewesen sei. Durch den Olympiazuschlag sei es plötzlich möglich geworden, die Bauvorhaben innerhalb von nur wenigen Jahren umzusetzen.

Egger zufolge hat München als Austragungsort für die Olympischen Spiele mit dem typisch Bayerischen überzeugt: Biergärten, Seen und Berge. Solche Bilder hätten die Welt angesprochen. "Die Münchner haben wahnsinnig mit ihrem Charme gespielt, es gab bei der Bewerbung in Rom schon Hostessen im Dirndl, und so hat man eine Szenerie eröffnet, wie dieses München sein könnte."

Deutschlands heimliche Hauptstadt

Bereits 1962 hatte das Wochenmagazin "Der Spiegel" aus Hamburg München als "Deutschlands heimliche Hauptstadt" bezeichnet. Faktoren wie der Zuzug von jungen Leuten in die Stadt und die Ansiedlung von Unternehmen hätten dazu beigetragen, dass München attraktiv wurde und sich als Weltstadt hervortat, sagt Egger. Da keine Schwerindustrie vorhanden gewesen sei, habe die Stadt direkt den Sprung in die wirtschaftliche Moderne gemacht, schreiben Ritzer und Deininger.

"Es gab Arbeitsplätze, man hat sich vielleicht auch so eine gewisse Freiheit und so einen Lifestyle versprochen, den man sich hier vorstellen konnte."

Das sagt Simone Egger über die Anziehungskraft Münchens. Schwabing sei zum Sehnsuchtsort und Teil der sogenannten "Gammlerrouten" geworden. Somit habe München für junge Menschen neben Amsterdam, New York und San Francisco zu den coolen Städten gezählt, sagt Egger. Vielleicht auch deshalb konnte sich München gegen die anderen Bewerber für Olympia 1972 wie Madrid oder Montreal durchsetzen.