Zerstörte Brücken, eingestürzte Häuser, verwüstete Friedhöfe, Ortschaften voller Müll und Schlamm - in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli 2021 verwandelten sich Teile von Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen in eine Trümmerwüste. Über 180 Menschen verloren ihr Leben, 134 davon allein im einst bei Wanderern und Weinfreunden beliebten Ahrtal, das auf rund 40 Kilometer Länge zerstört wurde.

Hochwasser: Pegel stieg in nie dagewesenem Tempo

Mitte Juli 2021 sorgt das Tiefdruckgebiet Bernd über Teilen Mitteleuropas für ausgiebige Niederschläge. Nach mehrtägigen, heftige Regenfällen treten im Laufe des 14. Juli schließlich viele Flüsse über die Ufer, insbesondere in der Eifelregion und westlich davon in Belgien. Im Ahrtal, wo die Menschen an gelegentliche Hochwasser-Ereignisse gewöhnt sind, steigen die Pegel in einem nie dagewesenen Tempo.

Während im Krisenzentrum in der Kreisstadt Bad Neuenahr-Ahrweiler noch gezögert wird, den Katastrophenfall auszurufen, werden flussaufwärts, bereits Autos durch die Straßen gespült, die Sirenen fallen aus und Telefonnetze brechen zusammen.

Helfende räumen Schutt weg, im Hintergrund steht "Danke an alle Helfer"
Helfende räumen Schutt im Ahrtal weg.

Die Hochwasserkatastrophe 2021

Bei der Flutkatastrophe im Juli 2021 kamen in Deutschland mehr als 180 Menschen ums Leben: 135 in Rheinland-Pfalz und 49 in Nordrhein-Westfalen. Mehr als 800 Menschen wurden zum Teil schwer verletzt. Ganze Orte wurden zerstört, Häuser, Betriebe, Infrastruktur und öffentliche Gebäude wie Krankenhäuser und Kultureinrichtungen beschädigt.

In Nordrhein-Westfalen sind über 180 Kommunen mit rund 20.000 Privathaushalten und 7.000 Unternehmen betroffen, besonders die Orte Hagen, Erftstadt und Euskirchen. Rheinland-Pfalz zählt 65.000 privat Betroffene und 3.000 Unternehmen. Vor allem im Ahrtal richtete die Flut schwere Verwüstungen an: Etwa 17.000 Menschen verloren ihren gesamten Besitz. Auch in der Eifel wurden Orte wie Schleiden und Bad Münstereifel von den Wassermassen zerstört.

Laut des Rückversicherers Münchener Rück verursachte das Unwetter Schäden in Höhe von 46 Milliarden Euro, davon allein 33 Milliarden Euro in Deutschland. Damit ist die Flut die teuerste Naturkatastrophe, die je in Deutschland und Europa verzeichnet wurde.

Für den Wiederaufbau stellen Bund und Länder gemeinsam bis zu 30 Milliarden Euro zur Verfügung. Anträge können seit September 2021 gestellt werden. Privatleute bekommen Unterstützung in Höhe von bis zu 80 Prozent der Wiederaufbaukosten. Allerdings gibt es Kritik an dem komplizierten Verfahren, das nur online zugänglich ist, und an den anfangs langen Bewilligungszeiten.

In Nordrhein-Westfalen wurden bis zum 1. Juli 1,6 Milliarden Euro Wiederaufbauhilfen bewilligt. In Rheinland-Pfalz lag der Betrag bei bislang 540 Millionen Euro. Hilfsorganisationen zufolge wird der Wiederaufbau noch einige Jahre dauern. Das liegt unter anderem am Personal- und Materialmangel in den betroffenen Gebieten. Auch eine psychosoziale Betreuung ist weiterhin nötig.

Die Katastrophe rief in Deutschland eine große Hilfs- und Spendenbereitschaft hervor: So verzeichnete etwa das Hilfsorganisationen-Bündnis "Aktion Deutschland hilft" die Rekordsumme von 282,2 Millionen Euro, bei der Diakonie Katastrophenhilfe RWL gingen 43,3 Millionen Euro ein. Tausende Menschen halfen in den betroffenen Regionen bei den Aufräum- und Wiederaufbauarbeiten.

Auslöser für stundenlangen Starkregen und Sturzfluten und die dadurch überquellenden Flüsse, Nebenarme und Bachläufe war das Tiefdruckgebiet Bernd, das tagelang über Mitteleuropa festhing. Wissenschaftlichen Erkenntnissen zufolge werden Extremwetterereignisse wie Überflutungen, aber auch Dürren durch den Klimawandel häufiger.

Unterschätzt, wie schnell das Wasser kommt

"Nicht nur die Bevölkerung, sondern auch wir haben unterschätzt, wie schnell das Wasser kommt", berichtet der Wehrleiter der Verbandsgemeinde Altenahr, Frank Linnarz, später. Der beschauliche Fluss habe sich innerhalb von Stunden in einen lebensgefährlichen, reißenden Strom verwandelt. Viele vergleichen das Geschehen später mit einem Tsunami. Unzählige überleben nur, weil sie sich auf Dächer oder Bäume flüchten. Viele andere, darunter zwölf Bewohner einer Behinderteneinrichtung in Sinzig, können nicht mehr rechtzeitig evakuiert werden und ertrinken.

Am folgenden Morgen sind etliche Ortschaften von der Außenwelt abgeschnitten und nur über Waldwege oder per Hubschrauber erreichbar. Zunächst fehlt den rheinland-pfälzischen Behörden daher selbst ein grober Überblick über das Ausmaß der Katastrophe. In Nordrhein-Westfalen werden derweil Tausende Menschen evakuiert - aus Angst, übervolle Talsperren könnten brechen.

Anwohner*innen verlieren Angehörige, Freunde, Existenz

Nicht nur viele Anwohner in den Flutgebieten verlieren Angehörige, Freunde und ihre Existenz. Auch der Staat ist zunächst mancherorts kaum noch handlungsfähig. In der am stärksten verwüsteten Verbandsgemeinde Altenahr sind mit dem zerstörten Verwaltungsgebäude auch alle PCs, Akten, Grundbuch-Pläne und Einwohnermeldedaten in der Flut untergegangen. Die Verwaltungsbediensteten versuchen, vom Schankraum eines erhöht gelegenen Weinlokals aus für Ordnung in einer Katastrophenzone ohne befahrbare Straßen, Wasser oder Stromversorgung zu sorgen. Von apokalyptischen Schäden spricht der Mainzer Innenminister Roger Lewentz (SPD).

In ihrem Abschlussbericht beziffert die Bundesregierung die materiellen Schäden auf 30 Milliarden Euro. Ein Jahr nach der Katastrophe gibt es wieder Heizwärme, Abwasserversorgung und Schulen in der Region. Dennoch erinnern weiter viele Straßenzüge voller vernagelter Fenster an ein Kriegsgebiet, und die Anwohner sind hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, ihre zerstörte Idylle wiederaufzubauen oder doch die Zelte abzubrechen. Viele klagen über die schleppende Bearbeitung der Anträge auf Hilfsgelder.

Vertrauen in Gott verloren – oder neu gefunden

So mancher habe wohl auch sein Gottesbild "vor die Tür zum Sperrmüll gestellt", formulierte es der katholische Pfarrer Jörg Meyrer aus Bad Neuenahr-Ahrweiler. Andere wiederum hätten mitten in dem Elend zum Glauben gefunden - insbesondere vor dem Hintergrund der nie dagewesenen Hilfsaktion, die bald nach der Flutkatastrophe anrollte.

Neben den professionellen Rettungskräften von Feuerwehren, Technischem Hilfswerk oder Bundeswehr kommen auch Zehntausende Freiwilliger aus der ganzen Republik zum Schlammschaufeln, Müllräumen oder Butterbroteschmieren in die Unglücksregion. Viele Betroffene erleben die nahezu grenzenlose Hilfsbereitschaft völlig unbekannter Menschen als enormen Trost in ihrer verzweifelten Lage.

Ein Bagger steht im Wasser, daneben eine eingestürzte Brücke
Ein Bagger bei Aufräumarbeiten im Ahrtal.

Foto-Ausstellung - Reportage von Thomas Lohnes

Der Fotojournalist Thomas Lohnes arbeitet seit gut 30 Jahren für Bildagenturen (Getty Images, Evangelischer Pressedienst), Zeitungen und Zeitschriften.  Er war für Reportagen und Reisen für NGOs wie Brot für die Welt und Diakonie Katastrophenhilfe in über 50 Ländern.

Seine Fotoserie über das Ahrtal wurde mit dem Lagois-Fotopreis geehrt. Die Bilder sind Teil der Leihausstellung "Gesichter der Nächstenliebe", die bei ausstellung-leihen.de ausgeliehen werden kann.