Der Tod eines Angehörigen, Geldsorgen oder eine schwere Krankheit: Schicksalsschläge machen auch in der Adventszeit keine Pause. Betroffenen fällt es dann schwer, in Weihnachtsstimmung zu kommen.

Nach Ansicht des Hamburger Psychologen Michael Thiel sollten sie es trotzdem versuchen. "Je mehr Sorgen ich mir mache, desto schlechter kann es meiner Psyche oder Gesundheit gehen", erklärt er. Bei einer Krankheit etwa belaste miese Laune das Immunsystem zusätzlich, während fröhliche Stimmung das Immunsystem stärken könne.

Keine Verdrängung, sondern Entscheidung

Seine Psyche dahin gehend zu beeinflussen, sei Übungssache und würde auf Dauer guttun.

"Wenn ich beim Kekse backen von der Trauer um einen Angehörigen überrascht werde, kann ich mich dafür entscheiden, erst den Moment des Backens zu genießen und mir dann Zeit für meine Trauer zu nehmen",

so Thiel. Das sei keine Verdrängung, sondern eine bewusste Entscheidung. "Und die kann sehr erholsam und befreiend sein, weil ich das Gefühl habe, ich habe wieder Kontrolle über meine Emotionen erlangt."

Es helfe nicht, sich in einer Negativ-Spirale zu bewegen, findet Thiel. "Wenn ich etwa einen Angehörigen verloren habe, sollte ich statt Dauertrauer mir lieber vorstellen, was dieser wohl zu mir sagen würde, wenn er mich so trauern sehen könnte." Oft helfe es auch, in dieser Zeit an andere zu denken, etwa Nachbarn zum Adventskaffee einzuladen oder Freunden ein kleines Geschenk zu machen. "Die Freude der anderen kehrt zu uns zurück. Dabei können wir oft feststellen, dass auch die anderen Sorgen und Probleme haben", sagt Thiel. Damit könnten sich die eigenen Sorgen relativieren.

"Wir haben dann das Bedürfnis, zu helfen, was wiederum zum Wohlfühlen führt."

Die Seelsorgerin im Asklepios Klinikum Altona, Annegret Reitz-Dinse, plant für Patienten und Mitarbeitende an Heiligabend einen Gottesdienst in der Kapelle der Klinik. Anschließend bringen sie und die Pianistin Kerstin Wolf Weihnachtssegen und Musik auf die einzelnen Stationen. Der Betrieb ist an den Feiertagen im Krankenhaus reduziert. Nur Schwerkranke, die nicht entlassen werden können, bleiben in der Klinik.

Krisen sind Teil des Lebens

"Für diese Menschen sind wir an den Feiertagen da und sorgen mit Gesprächen für kleine Pausen im Krankenhausbetrieb", sagt die Seelsorgerin. Sie und ihr Team machen deutlich, dass Krisen Teil des Lebens sind.

"In aller Regel verlassen die Patienten das Krankenhaus ja in einem verbesserten Gesundheitszustand. Das macht Hoffnung."

Anders ist das natürlich bei Diagnosen, die zum Tod führen. Besonders berührt Annegret Reitz-Dinse das Leid junger Frauen, die ihr Baby in der Klinik unter der Geburt verloren haben. "Ich versuche, für die Mütter da zu sein und sie darin zu stärken, mit dem Verlust zu leben." Die Weihnachtsgeschichte erzähle von der schwierigen Geburt Jesu. So komme Gott zur Welt. Reitz-Dinse frage deshalb die Frauen danach, was sie tröstet und stärkt im Leben, was ihnen Mut für die Zukunft macht. "Ich glaube, dass Gott dann nahe ist", meint die Pastorin.

Dreimal so viele Seelsorgetelefone

Wem an Weihnachten die Decke auf den Kopf fällt, kann sich an die Telefonseelsorge der Hamburger Diakonie wenden, bei der sich 90 Ehrenamtliche engagieren. Das Team nimmt mehr als 20.000 Anrufe jährlich entgegen. "In der Weihnachtszeit steigt die Anzahl der Anrufe noch einmal deutlich an. Wir könnten dreimal so viele Seelsorgetelefone aufstellen. Leider reichen unsere Mittel dafür nicht aus", erklärt die Leiterin der Telefonseelsorge, Babette Glöckner.

In den meisten Telefonaten gehe es um Probleme, die sich belastend auf Beziehungen auswirken. Schwere körperliche und seelische Beeinträchtigungen, Versagensängste, finanzielle Not oder Verlusterfahrungen gehörten dazu.

"Fast immer leidet das Selbstwertgefühl darunter. Fast immer ist das Bedürfnis entsprechend groß, ernst genommen zu werden", erklärt Glöckner.

Anrufern Ratschläge zu erteilen, sei allerdings in aller Regel nicht zielführend, sagt sie. "Wir schenken Gehör, versuchen zu verstehen. Das allein eröffnet einen Raum, in dem manches sich ordnen kann."

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