Frau Mihaljević, Sie haben zum Gender Gap in der Wissenschaft geforscht. Was kann man sich darunter vorstellen?
Helena Mihaljević: Es gibt verschiedene Perspektiven auf das Thema Gender Gap im Allgemein, eine davon ist der Gender Gap in der Wissenschaft. Ein Hauptfokus liegt dabei darauf, zu analysieren, wie weit es Frauen in akademischen Berufen schaffen oder wie viele von ihnen eine feste Professur innehaben. Der Gender Pay Gap spielt dabei auch eine Rolle.
Also wie viel Bezahlung bekommt man oder wie viel Zugang zu Ressourcen steht zur Verfügung. Ich habe mir speziell das Publikationsverhalten in Fächern angeschaut, in denen es tendenziell wenige Frauen gibt. Mathematik, Physik oder Informatik zum Beispiel. Dabei spielen verschiedene Parameter, die relevant sind für akademische Karrieren, eine Rolle. Zum Beispiel, wer in welchen Zeitschriften seine Studien veröffentlicht. Im Grunde ging es um publikationsbasierte Unterschiede auf Geschlechterebene.
Wie wirkt sich denn das Geschlecht auf das Publikationsverhalten in diesen Wissenschaften aus?
Die einzelnen Ergebnisse hängen stark von den Fachrichtungen ab. Wir sehen beispielsweise in Bereichen wie Astronomie und Astrophysik, in denen der Anteil von Frauen über die letzten Jahrzehnte stark angestiegen ist, dass sich die Lücke fast geschlossen hat, wenn wir uns zum Beispiel anschauen, wie viel publiziert wird. In der Mathematik schaut es schlechter aus, genauso in der theoretischen Physik. Die Zahl an Frauen unter den Mathematik-Autorinnen ist zwar gestiegen, aber sie gehen früher aus dem Berufsfeld heraus. Viele verlassen den Unibetrieb, bevor sie eine Festanstellung bekommen.
Wenn man sich das Netzwerkverhalten genauer anschaut, kann man sehen, dass Frauen sogar leicht größere Netzwerke haben, aber sie publizieren weniger allein, was für eine Professur nachteilig sein kann.
Der Anteil an weiblichen Mathematik-Professorinnen im Vergleich zu den männlichen ist sehr gering. Wie kommt das zustande?
Da gibt es natürlich einige Gründe. Zum Beispiel die Unvereinbarkeit von Beruf und Privatleben oder die Tatsache, dass Care-Arbeit zum Großteil auf Frauen lastet und sie sich daher zwischen einem risikoreichen, akademischen Leben, mit Umzügen und einem Privatleben, was dann einem gewissen Risiko ausgesetzt ist, entscheiden müssen. Gerade im Fachbereich der Mathematik spezialisiert man sich sehr stark, was dazu führt, dass man sich nur an relativ wenigen Universitäten auf eine Stelle bewerben kann. Insgesamt gibt es viele Gründe, gegen die es aber Strategien gibt, die auch ein Stück weit fruchten. Man sieht durchaus einen positiven, aber keinen bahnbrechenden Trend.
In einer Ihrer Studien schreiben Sie: "Es ist Zeit, die bestehenden Prozesse zu hinterfragen und mehr Transparenz, Fairness einzufordern." Was meinten Sie damit?
Dabei ging es um das Peer-Review. Ausgangspunkt ist, dass es für eine Professur nicht nur von Bedeutung ist, wie viel man publiziert hat, sondern auch in welchen Zeitschriften. Es gibt sehr renommierte, bei denen man eher versuchen würde, seine Arbeit unterzubringen, wenn man beispielsweise eine akademische Karriere plant. Bei vielen dieser Zeitschriften haben wir festgestellt, dass der Anteil von Frauen sich in den letzten 20 bis 30 Jahren kaum erhöht hat.
Im Rahmen eines internationalen Forschungsprojekts haben wir eine sehr groß angelegte Umfrage durchgeführt, die gezeigt hat, dass Wissenschaftler*innen unabhängig vom Geschlecht eine ähnliche Wahrnehmung haben, wie häufig sie bei renommierten Zeitschriften ihre Papers einreichen. Nun stellt sich die Frage, ob die Publikationen von Frauen seltener angenommen werden. Hierbei ist es wichtig zu wissen, dass es in der Mathematik größtenteils keine anonymen Peer-Review-Prozesse gibt.
Diese Prozesse sollten transparenter sein, das ist auch unsere Forderung. Die Verlage sollten beispielsweise kommunizieren, wie viele Frauen einreichen und abgelehnt werden und wer in die Gutachten, die karriereentscheidend sind, involviert ist.
Dann gibt es also auch einige strukturelle Probleme?
Es ist sicherlich ein Mix an größtenteils strukturellen Problemen, gepaart mit individuellen Entscheidungen. Aber die Frage ist ja, wer entscheidet zum Beispiel über die Vergabe von Geldern für Forschungsprojekte, für Reisen oder für Publikationen. Das sind Stellschrauben, die eine relevante Auswirkung auf akademische Karrieren haben.
Wie sind denn Ihre persönlichen Erfahrungen? Sie gehören ja zu den wenigen Frauen, die eine Professur in der Mathematik innehaben.
Meine Professur ist eher interdisziplinär angelegt. Ich muss allerdings sagen, dass ich ein Stück weit Glück hatte, weil die Fachrichtung, die ich nach meinem ersten Post-Doc anfing zu verfolgen, zu der Zeit sehr viel gesucht wurde an Hochschulen in Deutschland. Insgesamt hatte ich bisher viel Unterstützung erlebt und persönlich sehr gute Erfahrungen gemacht. Natürlich ist mir bewusst, dass ganz viele andere um mich herum solche Erfahrungen nicht hatten und strukturelle Benachteiligung habe ich mitbekommen.
Deswegen versuche ich heute durch meine Erfahrung Vorbild für meine Studentinnen zu sein, sie zu unterstützen und ihnen mit auf den Weg zu geben, was die Schwierigkeiten sind, die einem begegnen, und wie man sie bewältigen kann.
Wie schaffen Sie es, Ihre Studentinnen zu motivieren, später eine Professur anzustreben?
Zu lernen, für sich selbst einzutreten, ist nur ein Teil, denn es liegt eher weniger am eigenen Willen, ob man es auch schafft. Der Studiengang, den ich betreue, ist ein Frauenstudiengang und mehr auf Informatik ausgerichtet. In diesem Berufsfeld hat man aktuell relativ große Handhabe darüber, in welcher Firma man arbeiten kann. Unternehmen, die ein ernstzunehmendes und gelebtes Diversity-Konzept haben oder die mehr Frauen einstellen, sodass diese sich nicht stets als Minderheit fühlen, sind dann begehrter. Abgesehen davon, soll unser Studiengang einen Safe Space darstellen. Wir fangen beim Studium quasi bei null an, und setzen nicht voraus, dass man umfassende Informatik-Kenntnisse hat. Damit wollen wir auch den Stereotypen entgegentreten und versuchen Selbstsicherheit und Offenheit vorzuleben.
Digitale Rebellinnen
Eine Plakat-Ausstellung über "Digitale Rebellinnen" entsteht auf dem Festival für die digitale Gesellschaft "re:publica" in Berlin. Das Projekt wurde aus über 1.300 Ideen ausgewählt und ist von 5. bis 7. Juni in der Arena Berlin zu sehen.
Hier geht es zur Übersicht mit allen "Digitalen Rebellinnen"
Die Ausstellung wird täglich live vor Ort ergänzt mit Porträts von Frauen aus der Tech-Branche. "Wir wollen mit unserer Plakat-Ausstellung Personen der digitalen Welt vorstellen und greifbar machen, die sich für Diversität, Empowerment, Ethik und Soziales stark machen", so Kuratorin Rieke C. Harmsen.
Live und vor Ort können die Teilnehmer*innen der re:publica ihre Vorschläge für Personen einreichen, die Teil der "Rebellinnen"-Ausstellung werden sollten. Hier kannst du deinen Vorschlag einreichen!
Ausgangspunkt der Ausstellung bildet die bereits bestehende Schau über "Rebellinnen". Diese zeigt eine Auswahl von über 20 Frauen aus der deutschen Geschichte - aus Politik, Gesellschaft, Kultur oder Wissenschaft. Diese wird ergänzt durch weitere Frauenportraits in einer digitalen Ausstellung.
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