Die neu gegründete Republik Fremdistan ist ein unangenehmer Ort. Da sind zum einen die giftgrünen Badelatschen in Einheitsgröße, die jeder Einreisende an der Grenzstation anziehen muss. Und dann werden gleich auch noch alle Handys einkassiert. Danach geht es erst einmal in die Zentralregistratur, wo unverständliche Formulare darauf warten, mit arabischen Zahlen ausgefüllt zu werden. Und das unter den strengen Augen des bärtigen Präsidenten, der an der Seite eines Tigers streng von einem Foto an der Wand auf die Antragsteller herabblickt.
Wer setzt sich so einer Situation freiwillig aus? Tatsächlich haben bereits rund 1.500 Menschen das fiktive Land von der Größe einer Drei-Zimmer-Wohnung besucht. Denn es handelt sich um einen sogenannten Escape Room: Ein Spiel, bei dem die Teilnehmerinnen und Teilnehmer Aufgaben lösen müssen, um den Ausgang aus einem geschlossenen Raum zu finden. Konzipiert wurde der Escape Room "UNbekanntes Unbehagen" von der Flüchtlingshilfe Bonn. Im Februar vergangenen Jahres hatte er erstmals in Bonn seine Türen geöffnet und ist nach Stationen im Oberbergischen Kreis und in Wuppertal ab Samstag wieder zurück am Rhein.
Flüchtlingshilfe nutzt Escape-Room-Trend
Escape Rooms liegen im Trend. Das macht sich die Flüchtlingshilfe Bonn zunutze, um spielerisch mehr Verständnis für die Situation Geflüchteter zu wecken. "Wir wollen durch das Spiel einen Perspektivwechsel ermöglichen und Empathie für Geflüchtete fördern", erklärt Jana Gigl, die die Idee zusammen mit ihrer Kollegin Nadja Müller de Ossio entwickelte. Der Escape Room besteht aus Sperrholzelementen, die drei miteinander verbundene Räume bilden.
Das Storyboard, also die dem Spiel zugrundeliegende Geschichte, entwickelte der Theaterregisseur Jens Kerbel auf Grundlage persönlicher Erfahrungen von Flüchtlingen. Die Aufgaben, die die Spieler im Escape Room lösen müssen, entsprächen natürlich nicht hundertprozentig den tatsächlichen Vorgängen bei der Ankunft Geflüchteter in Deutschland, erklärt Abbas Obaid, der von Anfang an zum Escape-Room-Team gehört. Allerdings seien die Erfahrungen und Gefühle, die der Escape Room vermittele, durchaus realistisch, betont Obaid, der für den fiktiven "Präsidenten" der Republik Fremdistan Modell stand. Der Kampf mit unverständlichen Formularen und Amts-Schreiben gehöre zum Beispiel zum Alltag von Flüchtlingen, weiß Obaid, der vor acht Jahren aus dem Irak nach Deutschland kam.
Man kennt sich nicht aus und hat Angst
In der "Registratur" des Escape Rooms werden die Teilnehmenden zusätzlich durch die Spielleiterin oder den Spielleiter unter Druck gesetzt, die hinter einem Schiebefenster sitzen. Weiter geht es erst, wenn Zahlen in arabischer Schrift in der richtigen Reihenfolge in einen fiktiven "Asylantrag" übertragen wurden. Dann geht es zum "Sammelpunkt", einem stockfinsteren Raum, in dem nur eine UV-Taschenlampe Orientierung bietet. Entscheidende Hinweise für die Weiterreise geben ein Fahrplan und ein Stadtplan.
"So fühlt sich das Leben am Anfang an: Dunkel. Man kennt sich nicht aus und man hat Angst", sagt Obaid. Tatsächlich sei gerade der Umgang mit Fahrplänen öffentlicher Verkehrsmittel für viele Flüchtlinge zunächst ein großes Problem, sagtß Gigl. Bei den Vorbereitungen zum Escape Room hätten mehrere berichtet, dass sie Fahrpläne aus ihren Heimatländern nicht kennen. Er sei sogar am Anfang weite Strecken zu Fuß gelaufen, weil er einfach nicht gewusst habe, wie er den Bus benutzen könne, erzählt Obaid.
Die letzte Station des Escape Rooms führt in eine Flüchtlingsunterkunft. Das Zimmer ist mit Original-Betten und -Spinden möbliert. Hier muss ein Lösungswort gefunden werden, um die Ausgangstür aufschließen zu können. Aufgabe ist unter anderem das Erschnuppern und Zuordnen exotischer Gewürze zu Abbildungen. Wer das geschafft hat, kann sich erst einmal auf einem Sofa bei einer Tasse Tee erholen und mit den Spielleiterinnen sowie mit Flüchtlingen ins Gespräch kommen.
Viele haben mehr Verständnis für Geflüchtete
Viele Besucherinnen und Besucher hätten nach ihrer Reise durch den Escape Room mehr Verständnis für die Situation Geflüchteter, beobachtet Müller de Ossio. Und es kämen auch Menschen, die noch nie mit Flüchtlingen gesprochen hätten. Genau das sei Ziel des Escape Rooms. "Wir wollten auch Menschen erreichen, die das Thema nicht interessiert und die vielleicht nur kommen, weil unser Escape Room kostenlos ist."
Gigl hat schon Besucherinnen und Besucher erlebt, die am Ende sehr erstaunt waren. Manche fragten sich, wie Flüchtlinge unter diesen Bedingungen leben und zugleich Deutsch lernen und sich integrieren sollen. Gigl und Müller de Ossio hoffen nun, dass ihre Idee weiter Schule macht. Die Flüchtlingshilfe Bonn verleiht den Escape Room an Institutionen. Konzept und Anleitung für den Escape Room stehen kostenlos online zur Verfügung.
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