Nach den tödlichen Polizeischüssen auf einen Mann aus Gambia in Nienburg an der Weser dringt der Flüchtlingsrat Niedersachsen auf eine umfassende und lückenlose Aufklärung. Für die Nichtregierungsorganisaton bleibe es weiterhin unbegreiflich, wieso der Polizeieinsatz eskalierte und warum der 46-jährige Lamin Touray sterben musste, teilte der Flüchtlingsrat am Donnerstag in Hannover mit.

Touray war am Karsamstag bei einem Einsatz von insgesamt 14 Polizeibeamten durch acht Schüsse getötet worden. Laut Obduktionsbericht wurde er ins Herz und in die Leber getroffen. Die Staatsanwaltschaft und die Polizei ermitteln nach dem Vorfall routinemäßig gegen alle beteiligten Beamten. Eine 45-jährige Polizistin, die versehentlich durch eine Polizeikugel getroffen und schwer verletzt wurde, ist inzwischen außer Lebensgefahr. Nach Polizeiangaben soll der 46-Jährige die Polizisten und einen Diensthund im Verlauf des Einsatzes mit einem Messer angegriffen haben.

Freundin: Wie ein Tier erschossen

Der Flüchtlingsrat trat der polizeilichen Darstellung entgegen, dass Mann zuvor auch seine Freundin mit dem Messer bedroht habe. Die Freundin bestreite dies. Sie habe ihm vielmehr helfen wollen und daher zunächst den Notruf gewählt. Sanitäter hätten dann die Polizei hinzugezogen.

Die Freundin habe dann die Beamten darüber informiert, dass sich der Mann in einem psychischen Ausnahmezustand befunden habe. Es müsse geklärt werden, ob dies bei dem Einsatz berücksichtigt worden sei und warum es der Frau verwehrt worden sei, den Gambier zur Kooperation zu bewegen, forderte der Flüchtlingsrat.

Der Tageszeitung "taz" sagte die Freundin: "Statt zu helfen, haben sie ihn wie ein Tier im Wald erschossen."

Es stelle sich die Frage, warum die Polizeibeamten den Druck auf den Mann erhöht hätten, statt sich zunächst zurückzuziehen und die Situation mithilfe von Psychologen zu deeskalieren. Geklärt werden müsse zudem, warum die Polizeikräfte den Hund auf den Gambier losgelassen hätten und weshalb Schusswaffen eingesetzt worden seien.

Flüchtlingsrat: Kein Einzelfall

Nach Angaben des Flüchtlingsrates sind in den vergangenen vier Jahren in Niedersachsen fünf Menschen mit Fluchtgeschichte im Zusammenhang mit Polizeieinsätzen gestorben. Mindestens drei von ihnen hätten sich wie Lamin Touray in einem psychischen Ausnahmezustand befunden.

In allen dieser drei Fälle hätten Angehörige oder Freunde die Polizei gerufen, um Hilfe zu erhalten. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft soll der Mann zwei Tage vor den tödlichen Schüssen in Hamburg Bundespolizisten bedroht und angegriffen haben.

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