Es gibt bei den Olympischen Spielen in Paris ein Kopftuchverbot, das aber nur für französische Sportlerinnen gilt. Was steckt dahinter?

Katharina Masoud: Genau, es handelt sich nicht um eine Regelung des Internationalen Olympischen Komitees, sondern um eine Regelung, die es nur in Frankreich gibt. Es ist aber nicht so, dass es in Frankreich ein nationales Gesetz gibt, das das Tragen religiöser Kleidung im Sport verbietet. Vielmehr werden diese Verbote von den einzelnen Sportverbänden ausgesprochen. Dies betrifft die nationalen Verbände in den Sportarten Fußball, Basketball und Volleyball.

Wie begründen die französischen Sportverbände diese Regeln?

Anfang des 20. Jahrhunderts wurde in Frankreich die Trennung von Staat und Kirche festgeschrieben und in der Verfassung von 1958 das Prinzip der Laizität verankert. Auf dieses Prinzip berufen sich auch die Sportverbände. In den letzten Jahren gab es immer wieder verschiedene Gesetze und Gerichtsurteile, die den öffentlichen Raum betreffen und sich auf das Prinzip der Laizität beziehen. Diese Grundsätze werden als Begründung für ein Kopftuchverbot im Sport angeführt.

"Geschlechtsspezifische Diskriminierung wird oft so gestaltet, dass sie neutral erscheint"

In der Praxis betroffen sind von dem Verbot also nur muslimische Frauen?

Geschlechtsspezifische Diskriminierung wird oft so gestaltet, dass sie neutral erscheint, aber in Wirklichkeit nur eine bestimmte Gruppe von Frauen betrifft – in diesem Fall muslimische Frauen. Andere große Religionen haben in der Regel keine oder weniger strenge Bekleidungsvorschriften, die für den Sport relevant sind. So wird beispielsweise das Tragen einer Halskette mit einem Kreuz nicht als Bekleidung angesehen, das Tragen eines Kopftuches hingegen schon. Dies wirkt sich vor allem für muslimische Frauen negativ aus.

Gehen Sie davon aus, dass diese Wirkung beabsichtigt ist?

Ja, man merkt auch, dass sich die Argumentationslinie geändert hat. Eine Zeit lang wurde argumentiert, dass das Tragen eines Kopftuches – und das sieht man auch bei den Diskussionen um das Burkini-Verbot – aus Sicherheits- oder Hygienegründen problematisch sei. Nach einem Gerichtsurteil, das ursprünglich nur für einen Einzelfall gedacht war, beriefen sich jedoch auch andere Sportverbände auf dessen Begründung, da die Argumente der Sicherheit und Hygiene widerlegt waren.

Später wurde das Argument der Laizität als wichtiger Grund angeführt, obwohl dies nicht menschenrechtskonform ist. Die Berufung auf eine Staatsideologie wie die Laizität ist kein legitimer Grund für die Einschränkung von Menschenrechten. Aber genau das tut Frankreich in diesem Fall.

Eine Frau mit Brille
Katharina Masoud, Expertin für Geschlechtergerechtigkeit, Intersektionalität und Antirassismus bei Amnesty International in Deutschland.

"Auch Beamtinnen und Beamte genießen den Schutz der Menschenrechte und damit die Religionsfreiheit"

Wie beurteilt Amnesty dieses Vorgehen der Sportverbände?

Das ist aus unserer Sicht völlig absurd. Die Argumentation beruht darauf, dass die Sportlerinnen im Namen Frankreichs antreten und somit einen beamtenähnlichen Status hätten. Deshalb dürften sie Frankreich nicht in dieser Weise nach außen vertreten. Diese Argumentation ist jedoch inhaltlich nicht korrekt, denn auch Beamtinnen und Beamte genießen den Schutz der Menschenrechte und damit die Religionsfreiheit. Sie müssten ihre religiöse Kleidung tragen dürfen.

Im September 2023 hat die Sportministerin angekündigt, dass es in der französischen Delegation bei den Olympischen Spielen keine Vertreterinnen geben wird, die ein Kopftuch tragen. Dies ist aus unserer Sicht besonders problematisch und führt zu einer Ungleichbehandlung. Französische Sportlerinnen dürfen bei den Olympischen Spielen im eigenen Land kein Kopftuch tragen, Sportlerinnen aus anderen Ländern hingegen schon. Dies führt zu einer Diskriminierung, die sowohl rassistisch als auch geschlechtsspezifisch ist und ausschließlich muslimische Frauen und Mädchen betrifft, die sich dafür entscheiden, ein Kopftuch zu tragen. Ihnen wird der Zugang zum Sport verwehrt.

"Mädchen, die ein Kopftuch tragen, entscheiden sich vielleicht gar nicht erst, Sport zu treiben"

Ein bedeutender Teil der französischen Bevölkerung wird aus Ihrer Sicht also in der Möglichkeit gesellschaftlicher Teilhabe beschnitten?

Der Ausschluss vom Profisport ist in der Tat ein großes Problem und spiegelt das gesellschaftliche Klima wider, in dem muslimische Sportlerinnen systemischer Diskriminierung und Stereotypen ausgesetzt sind. Diese Stereotypen bestehen in Frankreich gegenüber allen muslimischen Frauen, die ein Kopftuch tragen. Das hat auch eine abschreckende Wirkung: Mädchen, die ein Kopftuch tragen, entscheiden sich vielleicht gar nicht erst, Sport zu treiben, weil sie wissen, dass sie keine Chance haben, voranzukommen. Sie sehen keine Vorbilder, keine Frauen mit Kopftuch, die sie repräsentieren und zu denen sie aufschauen können. Das hat eine größere gesellschaftliche Signal- und Abschreckungswirkung, die über die einzelne Sportlerin hinausgeht.

Sie haben von einem gesellschaftlichen Klima der systematischen Diskriminierung in Frankreich gesprochen. Können Sie das näher ausführen?

Wir stellen fest, dass es verschiedene Gesetzesinitiativen gibt, die das Tragen religiöser Symbole auch außerhalb des Sports erschweren und verhindern sollen. In den letzten 20 Jahren gab es mehrere Gesetzesinitiativen, die das Tragen von Kopftüchern in der Öffentlichkeit und am Arbeitsplatz erschweren. In jüngster Zeit hat das Bildungsministerium auch das Tragen religiös konnotierter Kleidung in Schulen verboten. Dies zeigt, dass sich diese Tendenzen auch in der Gesellschaft verfestigt haben.

Gleichzeitig nehmen die betroffenen Frauen dies nicht einfach hin und gehen zum Teil juristisch gegen diese Verbote vor. Anfang des Jahres hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eine Klage angenommen, die nun verhandelt wird. Solche Verfahren sind oft langwierig, da erst alle nationalen Instanzen durchlaufen werden müssen, bevor eine Klage eingereicht werden kann.

"Das ist eindeutig diskriminierend"

Inwiefern ist die Regelung mit den olympischen Werten vereinbar?

Tatsächlich verstößt diese Praxis auch gegen den Grundsatz 4 der Olympischen Charta, der das Diskriminierungsverbot festschreibt. Dieses Prinzip ist tief in den olympischen Idealen verankert, die auf Freiheit, Freundschaft und Solidarität basieren. Es verstößt eindeutig gegen diese Prinzipien, wenn französischen Sportlerinnen das Tragen eines Kopftuches verboten wird, während es Frauen aus anderen Ländern erlaubt ist. Das ist eindeutig diskriminierend.

Das Internationale Olympsiche Komitee (IOC) hat jedoch nichts gegen die Praxis der franzöischen Verbände unternommen. Warum?

Wir haben beim IOC nachgefragt und eine sehr unbefriedigende Antwort erhalten. Es wurde lediglich erwähnt, dass man mit den französischen Behörden in Kontakt stehe. Es scheint, dass die französischen Behörden das IOC davon überzeugt haben, dass sie auf nationaler Ebene selbst entscheiden können, wie sie mit dem Thema umgehen. Dies ist jedoch nicht der Fall, da es sich um eine internationale Sportveranstaltung handelt – und um international geltende Menschenrechte.

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Engel am Mo, 22.07.2024 - 13:48 Link

Frau Masoud führt aus "Dies wirkt sich vor allem für muslimische Frauen negativ aus."
Und anstatt nachzuhaken "Wie denn", wird ihr servierfertig die Frage vorgelegt "Gehen Sie davon aus, dass diese Wirkung beabsichtigt ist?". Da ja bereits erwähnt wurde, das weder hygienische noch Sicherheitsbedenken einem Kopftuch entgegenstehen, gibt es keinen sachlichen Grund auf das Tragen eines Kopftuches zu verzichten. Oder kann man Sport nur mit religiösem Eifer als Antrieb betreiben? Reicht Nationalstolz oder schlicht der Erfolg einer berühmten Sportlerin zum Nacheifern nicht aus?
Es ist im Gegenteil ein tolerantes Zeichen Frankreichs Sportlerinnen anderer Nationen ihr Kopftuch zu gestatten. Ich wäre dagegen.
Die Behauptung, das Mädchen auf Sport verzichten wenn sie dabei kein Kopf tragen dürfen entlarvt vielmehr die Intoleranz der betreffenden Religion, als die angebliche Intoleranz des betreffenden Sportverbandes. Besonders deutlich wird das ja grade in Sportarten wie Schwimmen oder Basketball, wo Trans"frauen" in Frauenmannschaften mitspielen wollen. Da wird Ungleichheit kultiviert und nicht etwa von Übervorteilung gesprochen. Aber sie wird gerne genutzt.
Zu guter Letzt: Islam ist selbst keine tolerante Religion, zumindest gebiert er sich derzeit so, fordert aber in toleranten Gesellschaften gerne "Menschenrechte - nämlich Religionsfreiheit ein. Die ihnen in allen europäischen Nationen grundsätzlich gewährt wird. Was derzeit an intoleranten Menschen nach Europa importiert wird ist eine harte Belastungsprobe für unsere freiheitlich, weltoffene, tolerante Gesellschaft. Organisationen wie AI ignorieren das geflissentlich und dissen es mit "Rassismus".

Man stelle sich einmal vor wir hätten einen Staat, wo die Menschen grundsätzlich nackt herumlaufen und das als Teil ihrer Religionsfreiheit deklarieren. Und erwarten, dass sie in einem Fußballspiel auch nackt spielen dürfen. Dann kommt wieder Frau Masoud von AI vorbei und schwafelt von Menschenrechten. Und Hunderte Millionen Menschen dürfen vor den Kopf gestoßen werden, weil Frau Masoud es so will. Im Namen der Toleranz etwa? Nein, eher im Namen ideologischer Engstirnigkeit und religiösem Fanatismus.

Oliver Marquart am Mo, 22.07.2024 - 14:55 Link

Es hat den Staat mMn schlicht nicht zu interessieren, wie sich Menschen bekleiden, um Sport auszuüben, erst recht nicht ohne sachliche Begründung, die hier offensichtlich nicht vorliegt. 

Und wer glaubt, solche Einschränkungen der Freiheit blieben auf eine bestimmte gesellschaftliche Gruppe beschränkt und beträfen einen selbst nicht: Autoritäre Vorschriften treffen früher oder später jeden. 

 

 

Johann am So, 21.07.2024 - 13:02 Link

Ich versteh die ganze Debatte nicht ganz... Der Veranstalter legt die Regeln fest - ob sie mir passen oder nicht .. wenn ich dabei sein will hab ich sie zu befolgen OHNE wenn und aber... wenn nicht, muss ich Zuhause und der Veranstaltung fern bleiben... So einfach ist das...

PeterG am So, 21.07.2024 - 07:47 Link

Ich kenne die Beamtengesetze in Frankreich nicht. Wenn diese aber z. B. den bayer. ähnlich sind, ist das Tragen von sichtbaren religiösen Zeichen verboten.

Oliver Marquart am Mo, 22.07.2024 - 11:01 Link

Es stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, ob Bekleidungsvorschriften in einer Demokratie wirklich angemessen sind. Zumal, wenn sie in der Praxis nur muslimische Frauen einschränken.