Um die Weihnachtsgeschichte ranken sich Legenden, Mythen und Heile-Welt-Erzählungen. Der wahre Kern der Botschaft bleibe dabei oftmals verborgen oder gar unverständlich, sagte der Regensburger Theologe Martin Schulte im Gespräch mit Sonntagsblatt.de. Er empfiehlt, die Geburt Jesu vor 2000 Jahren modern zu interpretieren. Dann helfe sie den Menschen auch, wenn sie verzweifelt sind oder nicht weiter wissen, wenn sie sich so machtlos fühlten,  "wie Maria und Josef im Stall. Genau dort ist Gott in tiefer Solidarität".

Weihnachtserzählung als Gegenprogramm zur realen Welt

Die Weihnachtserzählung selbst sei zunächst eine "ganz schwierige Geschichte", sagte Schulte. Ein junges Paar werde durch das halbe römische Reich gescheucht, nur weil es sich in Steuerlisten einschreiben muss. Die Hochschwangere gebäre ihr Kind in einem kalten Stall bei Tieren.

"Da denke ich nicht an eine Klinik in Deutschland, sondern an eine Geburt in Afghanistan oder Gaza, wo Menschen um ihr Leben und das ihrer Kinder kämpfen", sagte der evangelische Theologe.

Die Weihnachtserzählung sei als ein Gegenprogramm zur realen Welt zu verstehen, erläuterte er weiter. "Dass in einem kleinen, hilflosen, unselbständigen Säugling Gott erscheint, das ist der entschiedene Protest der damaligen Zeit gegen alle Mächtigen dieser Welt."

Noch heute habe dies eine Bedeutung für Menschen, dass gerade dann, "wenn wir uns ohnmächtig und machtlos fühlen, wenn alles zusammenbricht und scheitert: Gerade da will Gott anwesend und wirksam sein". Zur Illustration verwendet Schulte in seinen Kursen auch Schachfiguren. Das Kind in der Krippe ist demzufolge ein am Boden liegender König.

Was ist dran an der Jungfrauengeburt? 

Problemlos in den Bereich der Legende könne die Jungfrauengeburt verbannt werden, sagte Schulte weiter. Das sei ein Übersetzungsfehler aus dem Alten Testament. Wahr aber sei, dass Menschen daran geglaubt haben, dass in diesem kleinen Kind in der Krippe Gott sichtbar werde, betonte er. Wahr sei zudem auch, dass Menschen dies seit 2000 Jahren bezeugen und dass daraus "eine die Welt verändernde Kraft" entstanden sei.

Das Wissen über die Botschaft der Weihnachtsgeschichte schwinde, stellte Schulte fest. Das liege auch daran, weil Menschen es nicht erlebt haben, einen biblischen Text so auszulegen, "dass er im eigenen Leben eine Bedeutung erlangt. Wenn ich aber eine Gottesvorstellung habe, die von Ohnmacht, Solidarität, von Mitleid und Empathie geprägt ist, dann kann ich diesen Gott sehr wohl in mein Leben hineinlassen, weil er mir dann hilft, wenn ich am Boden bin."

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