Herr Meyer-Magister, wie viel soll ein guter Christ spenden?

Hendrik Meyer-Magister: Das ist eine interessante Frage. Im Alten Testament wird der Zehnte erwähnt. In manchen Freikirchen ist es üblich, dass man ein Zehntel seiner Einnahmen der Glaubensgemeinschaft zur Verfügung stellt, die es dann für karitative Zwecke und für eigene Belange nutzt. Und wenn wir uns unsere Kirchensteuern anschauen, liegen diese bei acht bzw. neun Prozent.

"Es wird deutlich, dass man von dem Überfluss, den man selbst bekommen hat, einen Teil weitergeben sollte, da man selbst diesen Überfluss auch nur von Gott erhalten hat."

Sind zehn Prozent also der Maßstab beim Spenden?

Wenn ich darüber nachdenke, wie viel ich den Erdbebenopfern in der Türkei und in Syrien spenden oder wie viel ich für Geflüchtete geben sollte, halte ich das für eine mögliche, aber nicht für eine notwendige Orientierung. Anders gesagt: Ich sehe keine Pflicht, das zu tun. Es gibt noch eine aufschlussreiche Stelle am Ende des zweiten Korintherbriefs, wo Paulus über die Kollekte für die Gemeinde in Jerusalem spricht. Dort wird deutlich, dass man von dem Überfluss, den man selbst bekommen hat - wie es auch bei der relativ reichen Gemeinde in Korinth der Fall war - einen Teil weitergeben sollte, da man selbst diesen Überfluss auch nur von Gott erhalten hat.

Paulus betont jedoch auch, dass man nicht selbst in Not geraten sollte, sondern das Ziel der Kollekte ist, einen Ausgleich zwischen Reicheren und Ärmeren zu schaffen. Das bedeutet, in einem Maß zu spenden, dass man nicht selbst in Schieflagen gerät, aber man doch das gibt, was man erübrigen kann, um anderen zu helfen. So schafft man einen materiellen Ausgleich und fördert auch die Verbundenheit unter den Menschen. Eine genaue Vorgabe darüber, wie viel man spenden sollte, würde ich nicht geben wollen. Letztendlich liegt das in der Verantwortung jeder und jeden Einzelnen.

Hendrik Meyer-Magister

Hendrik Meyer-Magister ist stellvertretender Akademiedirektor und Studienleiter für Gesundheit, Künstliche Intelligenz und Spiritual Care an der Evangelischen Akademie Tutzing

Vor seiner Tätigkeit an der Evangelischen Akademie war er als Akademischer Rat a. Z. am Lehrstuhl für Systematische Theologie und Ethik der Ludwig-Maximilians-Universität München bei Prof. Dr. Reiner Anselm beschäftigt. 2017 wurde er dort mit einer Arbeit zur protestantischen Kriegsdienstverweigerungsdebatte in den 1950er Jahren promoviert.

Seine medizinethischen Forschungsinteressen liegen insbesondere bei Fragen der Organspende, des assistierten Suizids sowie der individuellen Patientenvorsorge.

"Es geht nicht nur darum, wie viel man geben kann, sondern auch darum, was wirklich benötigt wird."

Eine weitere wichtige Geschichte, die hier hinzugezogen werden kann, ist die des barmherzigen Samariters in Lukas 10. Da gibt es ja eine spontane Nothilfe: Der Mann, der unter die Räuber gekommen ist, wird erstversorgt. Das ist noch keine Spende. Dann aber bringt der Samariter ihn in eine Herberge und lässt zwei Silbergroschen da, mit der Aufforderung, den Mann weiter zu versorgen. Hier steht im Vordergrund zu überlegen, was der andere tatsächlich benötigt. Es geht also nicht nur darum, wie viel man geben kann, sondern auch darum, was wirklich benötigt wird. In dieser Abwägung sollten Menschen eine Entscheidung darüber treffen, wie viel er oder sie geben kann und was am besten für die Bedürfnisse anderer geeignet ist.

Können wir Kirchensteuer eigentlich getrennt von Spenden betrachten oder ist das im Grunde das Gleiche?

Man kann zwischen der organisierten Form von Nächstenliebe, die unter anderem durch die Beiträge der Kirchensteuer finanziert wird, und der spontanen Hilfe unterscheiden. Die Kirche als Körperschaft öffentlichen Rechts darf die Kirchensteuer erheben, die für ihre diakonischen und kirchlichen Angebote genutzt wird. Es gibt jedoch auch den spontanen Aspekt der Hilfe, der durch den Impuls der Barmherzigkeit entsteht. Im Gleichnis des barmherzigen Samariters wird dieser Impuls in dem für mich zentralen Vers in Lukas 10,33 beschrieben: Es "jammerte ihn". Der Samariter hat Mitleid mit dem Verletzten und hilft ihm – ohne darauf zu verweisen, doch schon Steuern oder Abgaben zu zahlen, mit denen Menschen in Not geholfen werden könne.

Die durch Institutionen organisierte Hilfe stellt schlicht eine andere Form der Nächstenliebe dar. Diakonie und Kirche engagieren sich auch in der Katastrophenhilfe und Flüchtlingsarbeit. Die Kirchensteuer, aber auch Spenden, ermöglichen es der Kirche, diese Angebote dauerhaft und verlässlich bereitzustellen, während die spontane Hilfe auf persönlichem Engagement basiert, das durch ein inneres Bedürfnis motiviert wird. Beide Arten der Hilfe sind wichtig und notwendig, und sie sollten nicht gegeneinander ausgespielt werden. Spenden sind ein guter Weg, den eigenen Impuls zu helfen mit der institutionellen Fürsorge für notleidende Menschen zu verbinden.

"Wer spontan hilft bzw. spendet, sollte diesem Impuls ruhig folgen, auch wenn er weiß, dass er sich nicht für alle Notleidenden gleichermaßen einsetzen kann."

Brauchen wir Barmherzigkeit noch in einem Sozialstaat?

Historisch gesehen war die spontane Barmherzigkeit in einer Gesellschaft ohne ausgebauten Wohlfahrtsstaat wichtiger als heute. Dennoch ist es wichtig, diesem Impuls auch heute noch zu folgen und selbst aktiv zu bleiben, um eine gerechtere Gesellschaft zu schaffen. Es gibt darüber hinaus auch einen Unterschied zwischen persönlicher Barmherzigkeit und organisiertem Wohlfahrtstaat: Wer spontan hilft bzw. spendet, sollte diesem Impuls ruhig folgen, auch wenn er weiß, dass er sich nicht für alle Notleidenden gleichermaßen einsetzen kann. Die organisierte, wohlfahrtsstaatliche Form der Hilfe muss aber sehr wohl auf eine gerechte Verteilung der Mittel achten. Die Frage, an wen und an welche Organisation man persönlich spenden sollte, hängt von der Art der Hilfe ab, die man leisten möchte und letztlich davon, welche Notsituationen mich besonders angehen: "Was jammert mich?" in den Worten des Lukasevangeliums. So hat das persönliche Engagement eine direkte Verbindung zum Bedürfnis anderer Menschen, die mir in ihrer Not zum Nächsten werden.

Bin ich bei einer Notlage wie nach dem Erdbeben verpflichtet, etwas zu spenden – womöglich auch, indem ich anderswo Spenden spare?

Ich finde es richtig, weiterhin für Zwecke zu spenden, für die ich immer gespendet habe, auch in dieser Situation. Man muss nicht immer den aktuellsten Anlass auswählen und sollte kein schlechtes Gewissen haben, wenn man nicht für die Türkei oder Syrien spendet, weil das die eigenen Kapazitäten überschreiten würde. Es ist wichtig zu betonen, dass Geld eine Möglichkeit ist, christliche Nächstenliebe zu zeigen, aber es gibt viele weitere Möglichkeiten. Wenn man in einer Flüchtlingsinitiative mitarbeitet, ist das genauso wertvoll. Viele Menschen tun beides, weil sie von den Situationen, die sie erleben, berührt sind. Letztendlich liegt es in der Verantwortung und Freiheit des Einzelnen, wie er sich engagiert. Dies spiegelt ein urprotestantisches Motiv wider.

Das bekannte Zitat aus Luthers Schrift "Von der Freiheit eines Christenmenschen" lautet ja: "Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Ding und niemand untertan. Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Ding und jedermann untertan." Dahinter steht die protestantische Grundfigur, dass man aus Dankbarkeit und Freiheit handeln soll, um sich in die Gesellschaft einzubringen. Spenden ist eine Möglichkeit, dies zu tun, aber es sollte aus der Verantwortung für die Welt heraus geschehen und frei von sekundären Motiven sein.

"Sich um die Welt zu kümmern, ist ein essenzieller Bestandteil des Glaubens."

Also kann ich auch gar nicht spenden?

Ich würde immer sagen, es gibt keine Pflicht, irgendeinen spezifischen Geldbetrag für diese oder jene Angelegenheit zu spenden. Das liegt in der Freiheit eines Christenmenschen. Aber sich um die Welt zu kümmern, ist ein essenzieller Bestandteil des Glaubens.

Bin ich verpflichtet, beim Spenden darauf zu achten, dass mein Geld nicht in die falschen Hände gerät?

Bei den Spendenaufrufen in letzter Zeit gab es auch zweifelhafte Akteure, die versucht haben, die Hilfsbereitschaft auszunutzen und Geld zu sammeln, das letztendlich nie bei den Bedürftigen ankommt. Daher tendiere ich persönlich dazu, eher etablierte und vertrauenswürdige Organisationen zu unterstützen, wie zum Beispiel die Diakonie. Ich möchte damit allerdings keine Werbung machen, sondern nur betonen, wie wichtig es ist, sich vor einer Spende zu informieren. Wenn man den Impuls spürt zu helfen, sollte man nicht direkt die erstbeste Organisation unterstützen, die einem auf dem Handydisplay angezeigt wird. Stattdessen empfehle ich, im Internet zu recherchieren, die Organisationen genauer anzusehen und sicherzustellen, dass sie entsprechende Ausweise und Zertifikate – z.B. das DZI Spenden-Siegel – haben und Teil eines vertrauenswürdigen Netzwerks von Organisationen sind. So kann man am ehesten sicherstellen, dass das Geld tatsächlich bei den Bedürftigen ankommt.

"Spenden bedeutet nicht, dass wir uns alle materiell völlig verausgaben müssen. Dies würde nur zu neuen Problemen führen."

Kann man auch zu viel spenden?

Im Lukasevangelium werden die Jünger ausgesandt und sollen dabei nicht einmal Brot, Geld oder zusätzliche Kleidung mitnehmen, sondern sich auf die Gastfreundschaft anderer verlassen. Es gibt eine lange Tradition eines Armutsideals im Christentum. Sich von allem Besitz freizumachen sollte meiner Meinung nach aber nicht als Grundlage für unsere Spendenhaltung dienen, da es dazu führen kann, dass wir selbst am Ende auf Spenden und Almosen angewiesen sind. Stattdessen geht es darum, dass unser Besitz uns nicht daran hindern, offen für Gott und die Welt zu sein. In diesem Sinne heißt es: "Es ist leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe, als dass ein Reicher in den Himmel komme". Wir sollten als Christinnen und Christen in der Lage sind, unseren Besitz und unser Einkommen so zu verwalten, dass wir innerlich nicht davon abhängig werden. Vielmehr sollten wir in der Lage sein, etwas von dem, was wir bekommen haben, für einen guten Zweck zu geben, ohne dass es uns schmerzt.

Ich will noch mal betonen: Spenden bedeutet nicht, dass wir uns alle materiell völlig verausgaben müssen. Dies würde nur zu neuen Problemen führen. Es geht darum, dass ein materieller Ausgleich zwischen den Menschen stattfindet, Not gelindert und soziale Unterschiede ausgeglichen werden. Es ist wichtig, dass wir uns nicht nur auf die christliche Gemeinde beschränken oder das unmittelbare soziale Umfeld, sondern in globalen Kontexten denken: Die Nächsten sind immer die, um die "es mich jammert", egal wie nah oder fern sie mir stehen! Es geht beim Spenden nicht um Dogmen oder Pflichten, sondern immer um Abwägungen: Was kann ich geben? Was wird benötigt? Am Ende müssen wir unsere Haltung und unser Handeln vor uns selbst und unserem Gott verantworten können.

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Theodor Ziegler am Mo, 13.03.2023 - 23:18 Link

Kann es sein, dass hier Herrn Hendrik Meyer-Magister ein Fehler unterlaufen ist? Während die Mitglieder von Freikirchen meines Wissens den Zehnten ihres Nettoeinkommens spenden, berechnen sich die 8 bzw. 9 Prozent der Kirchensteuern lediglich vom Lohn- bzw. Einkommenssteuerbetrag. Beispiel: Bei einem Jahres-Netto-Einkommen von 36.000 € spendet ein Freikirchenmitglied 3.600 €. Ein Landeskirchenmitglied mit gleichem Netto-Einkommen hat bei dem Steuersatz von ca. 20 % davon 8 % Kirchensteuer = 1,6 % zu bezahlen, was dann nur 576 € ausmacht.