Diese Predigt hätte ihn fast das Leben gekostet: Am 16. November 1938, kurz nach der Reichspogromnacht, verurteilt der württembergische Theologe Julius von Jan (1897 - 1964) das Niederbrennen der Synagogen, den Raub jüdischen Eigentums und die Verschleppung von Juden in Konzentrationslager.

In einer neuen Biografie schildert der Journalist Martin Stährmann, welche Risiken von Jan dabei auf sich genommen hat - und welchen Preis er für seinen Mut bezahlen musste. Posthum wurde der mutige Pfarrer Mitte Oktober von der israelischen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem als "Gerechter unter den Völkern" geehrt.

 Julius von Jans Geschichte

Julius von Jan stammt aus einer Familie, die bereits eine Reihe von Pfarrern und Missionaren hervorgebracht hatte. Wie sein Vater schlägt er die klassische württembergische Theologenlaufbahn ein: Seminarbesuch in Maulbronn, Theologiestudium im Evangelischen Stift in Tübingen.

Als Soldat im Ersten Weltkrieg treffen ihn bei der Explosion einer englischen Handgranate Splitter in Arm, Brust und Oberschenkel. Er gerät für zweieinhalb Jahre in englische Kriegsgefangenschaft, die er teilweise in einem "Hungerlager" verbringen muss.

Der junge Theologe bleibt Patriot und begrüßt 1933 als Pfarrer die Machtübernahme der Nationalsozialisten, denen er - wie damals viele Christen - die Abwehr kommunistischer Umtriebe sowie die Stärkung von Sitte und Moral zutraut.

1927 hatte er Martha Munz geheiratet. Die beiden führen eine glückliche Ehe, auch wenn sie den Verlust von drei ihrer fünf Kinder durch Tot- oder Frühgeburt verkraften müssen.

Kritik am NS-Regime

Julius von Jan merkt schon nach wenigen Monaten, dass die NS-Ideologie mit dem christlichen Glauben unvereinbar ist. Am meisten besorgt ihn, dass die Kirche in Deutschland sich so unkritisch auf die Seite von Adolf Hitler stellt. 

Deshalb engagiert er sich in der Bekennenden Kirche. In einer Predigt im September 1934 kritisiert er den neu eingeführten Diensteid auf den "Führer" als Verstoß gegen das erste der Zehn Gebote, das andere Götter neben dem Gott der Bibel verbietet.

"Deutschland wird leben, so lange Gott der Herr der Deutschen ist. Deutschland wird sterben umso schneller, je mehr Menschen vergöttert werden", ruft er von der Kanzel.

Die Bußtagspredigt von 1938

Legendär wird seine Bußtagspredigt von 1938 in Oberlenningen bei Esslingen nach der Reichspogromnacht. Darin verurteilt er die rechtswidrigen Attacken gegen Juden aufs Schärfste.

"Männer, die unserem deutschen Volk treu gedient haben und ihre Pflicht gewissenhaft erfüllt haben, wurden ins Konzentrationslager geworfen, bloß weil sie einer andern Rasse angehörten."

Folgen seiner Äußerungen

Die Reaktion der Nazis bleibt nicht aus. Neun Tage nach der Predigt liegen rund ums Pfarrhaus Plakate mit der Aufschrift "Judenknecht".

Am selben Abend schlägt eine aus anderen Orten angereiste Menge von mehreren Hundert Teilnehmern am Pfarrhaus Scheiben ein, zertrümmert eine Haustüre und wartet auf Julius von Jan, der gerade auswärts eine Bibelstunde gehalten hat. Von dort wird er nach Oberlenningen entführt und von den Protestierern malträtiert.

Die Polizei nimmt ihn in Schutzhaft - und tatsächlich bleibt er dadurch vor weiteren Attacken bewahrt.

Später muss sich der Bekenntnis-Pfarrer wegen angeblichen Verstoßes gegen den "Kanzelparagrafen" und das "Heimtückegesetz" verantworten und wird zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Einen Teil davon sitzt er ab, dann weisen ihn die Behörden aus Württemberg aus.

Er findet Unterschlupf bei der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, für die er in der Nähe von Passau verschiedene Dienste tut. Nach dem Zweiten Weltkrieg, in dem er zwischenzeitlich noch einmal an vorderster Front als Soldat kämpfen muss, kann er auf seine geliebte Pfarrstelle in Oberlenningen zurückkehren.

Die Biografie 

Stährmanns Buch zeichnet nicht nur anhand vieler Quellen den Weg des aufrechten Theologen Julius von Jan nach. Auch das Handeln der Kirchenleitung, insbesondere von Bischof Theophil Wurm, wird analysiert.

Wurm stand bereits stark unter dem Druck der Nazis und konnte die Württemberger vor einer Eingliederung in die deutsche Reichskirche bewahren. Doch dafür machte er viele Kompromisse und schwieg offenbar an Stellen, an denen er - wie Julius von Jan - hätte reden müssen.

Württembergs heutiger Landesbischof, Frank Otfried July, äußert sich im Vorwort dankbar über das Erscheinen der Biografie. Seiner Kirche bescheinigt er im Umgang mit Julius von Jan Fehler und Versagen. Ohne den Prediger aus Oberlenningen hätte eine wichtige Stimme in der evangelischen Kirche und in Deutschland gefehlt.